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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Akkon" und die neue Städteordnung.

Die jüngst beendigte Landtagssession hat der Provinz Schleswig-Holstein
schließlich doch noch das Geschenk einer Städteordnung gebracht. Wir sind
glücklicherweise hier zu Lande nicht von einer nervösen Constitution. Sonst
hätte uns die schwebende Pein, in der wir, eigentlich schon seit den Be¬
rathungen des Provinztallandtages, unsere Munizipalverfassung von den dispa-
ratesten Elementen der Legislative, altländischer Bureaukratie, schleswig-
holstein'sehen Particularismus, demokratischen und konservativen Principien,
den buntesten Fraktionsstimmungen des Abgeordnetenhauses und den un¬
berechenbaren Launen des Herrenhauses hin- und hergeschleudert sehen mu߬
ten, wol in eine gelinde Verzweiflung versetzen müssen. Noch vierzehn Tage
vor dem Schluß der Session konnte kein Mensch auch nur mit Wahrschein¬
lichkeit errathen, ob und was für ein Ding aus diesen legislativen Wehen
zu Tage kommen würde. Jetzt liegt das Werk als vollendete Thatsache vor
uns, und. wenn es auch weit ab von dem Wesen eines aus einheitlichem
schöpferischen Willen hervorgegangenen Erzeugnisses weder durch fruchtbare
Ideen, noch durchsichtige Principien ausgezeichnet die Spuren seines künstli¬
chen Werdeprozesses reichlich an sich trägt, so wird es dem Schleswig-holstein-
schen Städtewesen doch immerhin Gewinn bringen. Zunächst wird unsere
neue Städteordnung, wie jede Codification, klar erkennbare, feststehende, zu¬
sammenhängende, gleichartige Normen auf einem wichtigen Gebiete des öffent¬
lichen Rechts schaffen, wo bisher theils höchst lückenhafte Statute, theils die
willkürlichsten Observanzen in Geltung waren, und wo der ganze municipale
Rechtszustand gegenüber dem preußischen Verfassungsrecht haltlos in der Luft
schwebte. Darin sehe ich den hauptsächlichsten Vorzug des neuen Städte¬
rechts. Dann ist's wenigstens ein relativer Gewinn, daß unseren Städten
in der grundsätzlich festgehaltenen organischen Verbindung der städtischen
Collegien (Magistrat und Stadtverordnete), sowie in dem Wahlmodus, der
die Gemeindebeamten aus der Bürgerschaft unmittelbar hervorgehen läßt,
Eigenthümlichkeiten erhalten geblieben sind, an die wir uns nun einmal ge-


Grenzbotcn I. 1869. 56
Akkon« und die neue Städteordnung.

Die jüngst beendigte Landtagssession hat der Provinz Schleswig-Holstein
schließlich doch noch das Geschenk einer Städteordnung gebracht. Wir sind
glücklicherweise hier zu Lande nicht von einer nervösen Constitution. Sonst
hätte uns die schwebende Pein, in der wir, eigentlich schon seit den Be¬
rathungen des Provinztallandtages, unsere Munizipalverfassung von den dispa-
ratesten Elementen der Legislative, altländischer Bureaukratie, schleswig-
holstein'sehen Particularismus, demokratischen und konservativen Principien,
den buntesten Fraktionsstimmungen des Abgeordnetenhauses und den un¬
berechenbaren Launen des Herrenhauses hin- und hergeschleudert sehen mu߬
ten, wol in eine gelinde Verzweiflung versetzen müssen. Noch vierzehn Tage
vor dem Schluß der Session konnte kein Mensch auch nur mit Wahrschein¬
lichkeit errathen, ob und was für ein Ding aus diesen legislativen Wehen
zu Tage kommen würde. Jetzt liegt das Werk als vollendete Thatsache vor
uns, und. wenn es auch weit ab von dem Wesen eines aus einheitlichem
schöpferischen Willen hervorgegangenen Erzeugnisses weder durch fruchtbare
Ideen, noch durchsichtige Principien ausgezeichnet die Spuren seines künstli¬
chen Werdeprozesses reichlich an sich trägt, so wird es dem Schleswig-holstein-
schen Städtewesen doch immerhin Gewinn bringen. Zunächst wird unsere
neue Städteordnung, wie jede Codification, klar erkennbare, feststehende, zu¬
sammenhängende, gleichartige Normen auf einem wichtigen Gebiete des öffent¬
lichen Rechts schaffen, wo bisher theils höchst lückenhafte Statute, theils die
willkürlichsten Observanzen in Geltung waren, und wo der ganze municipale
Rechtszustand gegenüber dem preußischen Verfassungsrecht haltlos in der Luft
schwebte. Darin sehe ich den hauptsächlichsten Vorzug des neuen Städte¬
rechts. Dann ist's wenigstens ein relativer Gewinn, daß unseren Städten
in der grundsätzlich festgehaltenen organischen Verbindung der städtischen
Collegien (Magistrat und Stadtverordnete), sowie in dem Wahlmodus, der
die Gemeindebeamten aus der Bürgerschaft unmittelbar hervorgehen läßt,
Eigenthümlichkeiten erhalten geblieben sind, an die wir uns nun einmal ge-


Grenzbotcn I. 1869. 56
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[0453] Akkon« und die neue Städteordnung. Die jüngst beendigte Landtagssession hat der Provinz Schleswig-Holstein schließlich doch noch das Geschenk einer Städteordnung gebracht. Wir sind glücklicherweise hier zu Lande nicht von einer nervösen Constitution. Sonst hätte uns die schwebende Pein, in der wir, eigentlich schon seit den Be¬ rathungen des Provinztallandtages, unsere Munizipalverfassung von den dispa- ratesten Elementen der Legislative, altländischer Bureaukratie, schleswig- holstein'sehen Particularismus, demokratischen und konservativen Principien, den buntesten Fraktionsstimmungen des Abgeordnetenhauses und den un¬ berechenbaren Launen des Herrenhauses hin- und hergeschleudert sehen mu߬ ten, wol in eine gelinde Verzweiflung versetzen müssen. Noch vierzehn Tage vor dem Schluß der Session konnte kein Mensch auch nur mit Wahrschein¬ lichkeit errathen, ob und was für ein Ding aus diesen legislativen Wehen zu Tage kommen würde. Jetzt liegt das Werk als vollendete Thatsache vor uns, und. wenn es auch weit ab von dem Wesen eines aus einheitlichem schöpferischen Willen hervorgegangenen Erzeugnisses weder durch fruchtbare Ideen, noch durchsichtige Principien ausgezeichnet die Spuren seines künstli¬ chen Werdeprozesses reichlich an sich trägt, so wird es dem Schleswig-holstein- schen Städtewesen doch immerhin Gewinn bringen. Zunächst wird unsere neue Städteordnung, wie jede Codification, klar erkennbare, feststehende, zu¬ sammenhängende, gleichartige Normen auf einem wichtigen Gebiete des öffent¬ lichen Rechts schaffen, wo bisher theils höchst lückenhafte Statute, theils die willkürlichsten Observanzen in Geltung waren, und wo der ganze municipale Rechtszustand gegenüber dem preußischen Verfassungsrecht haltlos in der Luft schwebte. Darin sehe ich den hauptsächlichsten Vorzug des neuen Städte¬ rechts. Dann ist's wenigstens ein relativer Gewinn, daß unseren Städten in der grundsätzlich festgehaltenen organischen Verbindung der städtischen Collegien (Magistrat und Stadtverordnete), sowie in dem Wahlmodus, der die Gemeindebeamten aus der Bürgerschaft unmittelbar hervorgehen läßt, Eigenthümlichkeiten erhalten geblieben sind, an die wir uns nun einmal ge- Grenzbotcn I. 1869. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/453>, abgerufen am 28.09.2024.