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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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kommt, die oft einige Fuß über die Fahrstraße erhöht sind. Zur Communi-
cation zwischen den Trottoirs dienen je zwei oder drei große ovale Schritt¬
steine, die in großen Zwischenräumen in den Fahrweg eingesetzt sind und
zwischen denen die Wagengleise hindurchgehen. Diese Vorrichtung war für
die starken Regengüsse berechnet, die zu Zeiten in den Straßen herabrausck/ten.
Viel breiter als die Straßen der inneren Stadt sind die der von Augustus
angelegten Vorstadt; man unterscheidet hier deutlich die alte und die moderne
Zeit. Auch in der Anlage der Häuser selbst. Die Villa des Diomedes, in
der Vorstadt, kommt in ihren Verhältnissen denen unserer modernen Villen
sehr nahe, und behandelt die überlieferte Norm mit voller Freiheit; die Häu¬
ser der inneren Stadt sind fast durchgängig von großer Gleichförmigkeit der
Anlage und ihre Verhältnisse weichen von denen der unseren sehr stark ab.
Uebngens erscheinen diese doch nur demjenigen so auffällig klein, der sie mit
der Vorstellung und der Voraussetzung nordischer Lebensweise betrachtet;
wer nur acht Tage in Neapel das Leben und Wohnen des Volkes beobach¬
tet hat, sieht alsbald, daß diese Wohnungen nicht nur ausreichend und an¬
gemessen, sondern auch bequem waren. Vergleicht man freilich nur die Größe
der Zimmer mit der unserer einzelnen Zimmer, so bekommt man die Vor¬
stellung der Enge und Bedrängthcit; denn wenigstens die Gemächer im
Vorderhause, z. B. das Arbeitszimmer des Herrn, sind in der Regel nur
6 bis höchstens 8 Schritt breit und eben so tief. Aber diese Räume sollten
eben blos ein Unterkommen bieten; gelebt und gearbeitet wurde halb im
Freien, im Atrium und Peristyl. Diese beiden Anlagen, welche das antike
Haus so wesentlich von dem modernen unterscheiden und seinen Charakter
bezeichnen, ließ das südliche Klima erfinden. Wollte man nämlich ein gegen
Außen einigermaßen abgeschlossenes Heimwesen haben und doch -- was das
Klima fordert und in jeder Jahreszeit erlaubt -- stets die frische Lust ge¬
nießen, ohne zugleich dem Regen und dem Winde ausgesetzt zu sein, so
mußte man Räume bauen, die halb Saal, halb Hof waren, und wenn sie
jeden Augenblick zugänglich und bequem sein sollten, mußte man sie in die
Mitte aller übrigen Wohnlichkeiten legen. So entstand ein Haus, das als
die Umkehrung des unseren erscheint. Nun wäre ein einziger solcher saal¬
artiger Hof genug gewesen -- und in der That begnügten sich sehr viele
Häuser mit einem, ja die Armen benutzten, wie noch heute die neapolitani¬
schen Lazzaroni. die Straßen als ihren Familiensaal, -- aber der Römer liebte
es. sein Familienleben von der Berührung mit der Welt ganz abzuschließen
und baute deshalb hinter die erste Abtheilung des Hauses, in der er seine
Geschäfte betrieb, seine Clienten empfing u. s. w., noch eine zweite, ziemlich
ähnliche, aber schönere für sich und die Seinigen. So haben wir nun vorn
das Atrium mit etwa je 4 Piecen rechts und links, wovon die beiden letzten


kommt, die oft einige Fuß über die Fahrstraße erhöht sind. Zur Communi-
cation zwischen den Trottoirs dienen je zwei oder drei große ovale Schritt¬
steine, die in großen Zwischenräumen in den Fahrweg eingesetzt sind und
zwischen denen die Wagengleise hindurchgehen. Diese Vorrichtung war für
die starken Regengüsse berechnet, die zu Zeiten in den Straßen herabrausck/ten.
Viel breiter als die Straßen der inneren Stadt sind die der von Augustus
angelegten Vorstadt; man unterscheidet hier deutlich die alte und die moderne
Zeit. Auch in der Anlage der Häuser selbst. Die Villa des Diomedes, in
der Vorstadt, kommt in ihren Verhältnissen denen unserer modernen Villen
sehr nahe, und behandelt die überlieferte Norm mit voller Freiheit; die Häu¬
ser der inneren Stadt sind fast durchgängig von großer Gleichförmigkeit der
Anlage und ihre Verhältnisse weichen von denen der unseren sehr stark ab.
Uebngens erscheinen diese doch nur demjenigen so auffällig klein, der sie mit
der Vorstellung und der Voraussetzung nordischer Lebensweise betrachtet;
wer nur acht Tage in Neapel das Leben und Wohnen des Volkes beobach¬
tet hat, sieht alsbald, daß diese Wohnungen nicht nur ausreichend und an¬
gemessen, sondern auch bequem waren. Vergleicht man freilich nur die Größe
der Zimmer mit der unserer einzelnen Zimmer, so bekommt man die Vor¬
stellung der Enge und Bedrängthcit; denn wenigstens die Gemächer im
Vorderhause, z. B. das Arbeitszimmer des Herrn, sind in der Regel nur
6 bis höchstens 8 Schritt breit und eben so tief. Aber diese Räume sollten
eben blos ein Unterkommen bieten; gelebt und gearbeitet wurde halb im
Freien, im Atrium und Peristyl. Diese beiden Anlagen, welche das antike
Haus so wesentlich von dem modernen unterscheiden und seinen Charakter
bezeichnen, ließ das südliche Klima erfinden. Wollte man nämlich ein gegen
Außen einigermaßen abgeschlossenes Heimwesen haben und doch — was das
Klima fordert und in jeder Jahreszeit erlaubt — stets die frische Lust ge¬
nießen, ohne zugleich dem Regen und dem Winde ausgesetzt zu sein, so
mußte man Räume bauen, die halb Saal, halb Hof waren, und wenn sie
jeden Augenblick zugänglich und bequem sein sollten, mußte man sie in die
Mitte aller übrigen Wohnlichkeiten legen. So entstand ein Haus, das als
die Umkehrung des unseren erscheint. Nun wäre ein einziger solcher saal¬
artiger Hof genug gewesen — und in der That begnügten sich sehr viele
Häuser mit einem, ja die Armen benutzten, wie noch heute die neapolitani¬
schen Lazzaroni. die Straßen als ihren Familiensaal, — aber der Römer liebte
es. sein Familienleben von der Berührung mit der Welt ganz abzuschließen
und baute deshalb hinter die erste Abtheilung des Hauses, in der er seine
Geschäfte betrieb, seine Clienten empfing u. s. w., noch eine zweite, ziemlich
ähnliche, aber schönere für sich und die Seinigen. So haben wir nun vorn
das Atrium mit etwa je 4 Piecen rechts und links, wovon die beiden letzten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/444>, abgerufen am 28.09.2024.