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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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verwerfen. Schließlich hielt auch die Regierungspartei es für das Vernünftigste,
die Niederlage der Linken zu vollenden und so ergab sich bei der Schlußabsttm,-
mung das unerwartete Resultat, daß die Adresse, die in allen einzelnen Absätzen
genehmigt war, als Ganzes mit 49 gegen 38 Stimmen verworfen wurde. Da¬
gegen stimmte die deutsche Partei, die Regierungspartei, die Ritter und Prä¬
laten und 7 von der äußersten Linken unter Führung K Mayers. Dafür
die ganze übrige Linke und die Ultramontanen. Drastischer konnte die Zer¬
fahrenheit der politischen Meinungen nicht constatirt werden. Die Kammer
hatte nach viertägiger Debatte ihre Inkompetenz erklärt, ein Votum in der
deutschen Frage abzugeben.

Und doch kann man es nur höchst erfreulich finden, daß die Debatte stattge-
funden hat. Nicht nur ist nun doch die Expectöration reichlich erfolgt/ die
namentlich manche Neulinge schwer hätten verhalten können, sondern der ab-
genöthigte Rückzug der Linken in der Frage des Südbundes und der Ver¬
träge, die Erklärungen Varnbüler's und der durch sie herbeigeführte Bruch
der großdeutschen Linken mit dem Ministerium, der Beschluß zu Gunsten der
Verträge, der nun jede weitere Erörterung hierüber in dieser Kammer ab¬
schneidet, endlich die Verwerfung der ganzen, großdeutsch intentirten Adresse:
dies alles sind Momente, die dafür entschädigen, daß eine deutsche Kammer
wieder Tage lang das widerliche Schauspiel bot sich in Vorwänden zu er¬
schöpfen, um der nationalen Pflicht sich zu entziehen oder sie doch auf ein
niederstes Maß herunterzufeilschen. Die Absicht der Urheber schlug in das
Gegentheil um. Der gewaltige Anlauf des schwäbischen Particularismus
endete mit einem Rückzug, der noch vollständiger wird, wenn man sich noch
einmal jener Adresse vom September 1866 erinnert. Denn damals stand in
der Adresse wirklich der unverblümte Südbund, als eine parlamentarische
Institution, ganz ohne Feigenblatt, und diese Adresse war von einer über¬
wältigenden Mehrheit angenommen worden. Die Regierungspartei und die
Linke standen damals in geschlossenen Reihen gegen das kleine Häuflein der
nationalen. Heute wagt sich der Südbund nur noch in sehr verschämter
Weise hervor und selbst in dieser Gestalt ist ihm ein officieller Ausdruck von
derjenigen Körperschaft versagt worden, welche -- von Schützenfesten abge¬
sehen -- allein das traurige Privileg hat, solche Projecte überhaupt in ihre
Mitte gebracht zu sehen. Ein solches Schicksal spricht denn doch nicht dafür,
daß der Südbundgedanke seit zwei Jahren Fortschritte gemacht hat.

Die Intrigue aber, die hinter der Adresse lauerte, war vereitelt. Herr
von Varnbüler steht heute fester als je. Und die Kammer ist heute vertagt
worden, cjMgi rs bene Zestg.. Vor dem Spätjahr 1869 wird sie schwerlich
wieder einberufen werden.
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verwerfen. Schließlich hielt auch die Regierungspartei es für das Vernünftigste,
die Niederlage der Linken zu vollenden und so ergab sich bei der Schlußabsttm,-
mung das unerwartete Resultat, daß die Adresse, die in allen einzelnen Absätzen
genehmigt war, als Ganzes mit 49 gegen 38 Stimmen verworfen wurde. Da¬
gegen stimmte die deutsche Partei, die Regierungspartei, die Ritter und Prä¬
laten und 7 von der äußersten Linken unter Führung K Mayers. Dafür
die ganze übrige Linke und die Ultramontanen. Drastischer konnte die Zer¬
fahrenheit der politischen Meinungen nicht constatirt werden. Die Kammer
hatte nach viertägiger Debatte ihre Inkompetenz erklärt, ein Votum in der
deutschen Frage abzugeben.

Und doch kann man es nur höchst erfreulich finden, daß die Debatte stattge-
funden hat. Nicht nur ist nun doch die Expectöration reichlich erfolgt/ die
namentlich manche Neulinge schwer hätten verhalten können, sondern der ab-
genöthigte Rückzug der Linken in der Frage des Südbundes und der Ver¬
träge, die Erklärungen Varnbüler's und der durch sie herbeigeführte Bruch
der großdeutschen Linken mit dem Ministerium, der Beschluß zu Gunsten der
Verträge, der nun jede weitere Erörterung hierüber in dieser Kammer ab¬
schneidet, endlich die Verwerfung der ganzen, großdeutsch intentirten Adresse:
dies alles sind Momente, die dafür entschädigen, daß eine deutsche Kammer
wieder Tage lang das widerliche Schauspiel bot sich in Vorwänden zu er¬
schöpfen, um der nationalen Pflicht sich zu entziehen oder sie doch auf ein
niederstes Maß herunterzufeilschen. Die Absicht der Urheber schlug in das
Gegentheil um. Der gewaltige Anlauf des schwäbischen Particularismus
endete mit einem Rückzug, der noch vollständiger wird, wenn man sich noch
einmal jener Adresse vom September 1866 erinnert. Denn damals stand in
der Adresse wirklich der unverblümte Südbund, als eine parlamentarische
Institution, ganz ohne Feigenblatt, und diese Adresse war von einer über¬
wältigenden Mehrheit angenommen worden. Die Regierungspartei und die
Linke standen damals in geschlossenen Reihen gegen das kleine Häuflein der
nationalen. Heute wagt sich der Südbund nur noch in sehr verschämter
Weise hervor und selbst in dieser Gestalt ist ihm ein officieller Ausdruck von
derjenigen Körperschaft versagt worden, welche — von Schützenfesten abge¬
sehen — allein das traurige Privileg hat, solche Projecte überhaupt in ihre
Mitte gebracht zu sehen. Ein solches Schicksal spricht denn doch nicht dafür,
daß der Südbundgedanke seit zwei Jahren Fortschritte gemacht hat.

Die Intrigue aber, die hinter der Adresse lauerte, war vereitelt. Herr
von Varnbüler steht heute fester als je. Und die Kammer ist heute vertagt
worden, cjMgi rs bene Zestg.. Vor dem Spätjahr 1869 wird sie schwerlich
wieder einberufen werden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/42>, abgerufen am 28.09.2024.