Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den eine Reihe von geschickt gestellten Amendements eingebracht und ver¬
theidigt, um die schärferen Stellen des Entwurfs abzudämpfen oder zu
beseitigen. Die meisten ohne Erfolg. Satz um Satz wurde der Probst'sche
Entwurf genehmigt. Doch gelang es eine derjenigen Stellen auszumerzen,
in welchen das Ministerium ein Mißtrauensvotum sah. Ebenso ging ein
(übrigens von Oesterlen hilfreich gestelltes) Amendement durch, welches einen
unnöthigen Ausfall aus die preußische Gewaltpolitik beseitigte. Der Kuriosi¬
tät halber sei erwähnt, daß in letzter Stunde auch noch eine großdeutsche
Erwähnung Oestreichs Aufnahme fand. Aber die dramatische Wendung trat
erst ein, als der Zusatzantrag von Sick zur Debatte kam, welcher die aus¬
drückliche Erwähnung der mit Preußen abgeschlossenen Verträge verlangte,
um allen Zweideutigkeiten in dieser Beziehung ein Ende zu machen. Das
verhängnißvolle Amendement lautete: "Niemals wird sich das württem¬
bergische Volk der Pflicht entbinden, mit seiner Regierung Hand in Hand
die nationalen Interessen zu pflegen und die nationalen Pflichten in Ueber¬
einstimmung mit den Allianz- und Zollverträgen zu erfüllen."

Jetzt hieß es also Farbe bekennen. Zwar schien die Erwähnung der
Verträge etwas ganz Unverfängliches zu sein, da die Linke ja größtentheils ihre
Vertragstreue betheuerte und wiederholte, was Oesterlen schon auf der
Volksversammlung in Berlin gesagt hatte, daß die Verträge eigentlich sogar
überflüssig seien, da man in Schwaben auch ohne Verträge wisse, was die
nationale Pflicht vorschreibe. Allein man hatte im Lauf der Debatte doch
mannigfache Commentare zu denselben gehört. Und daß ihre Erwähnung
ganz und gar nicht überflüssig war, sollte sich nun eben jetzt an dem Beneh¬
men der Linken zeigen, die förmlich außer sich gerieth, daß man sie fort¬
während mit diesen Verträgen torquire, ihnen immer wieder die Pistole auf
die Brust setze, ihnen wie ermatteten Stieren immer wieder das rothe Tuch
dieser Verträge vorhalte u. tgi. Es fielen dabei Aeußerungen die in einer
deutschen Versammlung nicht gehört werden sollten, und ohne Zweifel waren
es diese leidenschaftlichen Ausbrüche, welche dann doch zur Besinnung darüber
aufforderten, vor welchem Abgrund man angelangt war. In der That war
es jetzt gelungen Bresche zu schießen. Es fand sich eine Mehrheit von 50 gegen
36 Stimmen, für das Sick'sche Amendement, für die erneuerte Giltigkeitserklärung
der Verträge, die größte Mehrheit, die überhaupt im Lauf der Debatte erzielt
wurde. Nun war mit einem Schlag die Lage geändert. Neben einer Reihe von.
geschraubten, zweideutigen Sätzen stand nun ein ganz unzweifelhafter Satz, der
die Verträge ausdrücklich anerkannte. Und damit war die Adresse für die
äußerste Linke ungenießbar gemacht, sie war jetzt "ausgebeint", "verpreußt",
und während die Regierungspartei noch einen Augenblick schwankte, ob sie nicht
für die so purificirte Adresse stimmen solle, beschloß ein Theil der Linken sie zu


den eine Reihe von geschickt gestellten Amendements eingebracht und ver¬
theidigt, um die schärferen Stellen des Entwurfs abzudämpfen oder zu
beseitigen. Die meisten ohne Erfolg. Satz um Satz wurde der Probst'sche
Entwurf genehmigt. Doch gelang es eine derjenigen Stellen auszumerzen,
in welchen das Ministerium ein Mißtrauensvotum sah. Ebenso ging ein
(übrigens von Oesterlen hilfreich gestelltes) Amendement durch, welches einen
unnöthigen Ausfall aus die preußische Gewaltpolitik beseitigte. Der Kuriosi¬
tät halber sei erwähnt, daß in letzter Stunde auch noch eine großdeutsche
Erwähnung Oestreichs Aufnahme fand. Aber die dramatische Wendung trat
erst ein, als der Zusatzantrag von Sick zur Debatte kam, welcher die aus¬
drückliche Erwähnung der mit Preußen abgeschlossenen Verträge verlangte,
um allen Zweideutigkeiten in dieser Beziehung ein Ende zu machen. Das
verhängnißvolle Amendement lautete: „Niemals wird sich das württem¬
bergische Volk der Pflicht entbinden, mit seiner Regierung Hand in Hand
die nationalen Interessen zu pflegen und die nationalen Pflichten in Ueber¬
einstimmung mit den Allianz- und Zollverträgen zu erfüllen."

Jetzt hieß es also Farbe bekennen. Zwar schien die Erwähnung der
Verträge etwas ganz Unverfängliches zu sein, da die Linke ja größtentheils ihre
Vertragstreue betheuerte und wiederholte, was Oesterlen schon auf der
Volksversammlung in Berlin gesagt hatte, daß die Verträge eigentlich sogar
überflüssig seien, da man in Schwaben auch ohne Verträge wisse, was die
nationale Pflicht vorschreibe. Allein man hatte im Lauf der Debatte doch
mannigfache Commentare zu denselben gehört. Und daß ihre Erwähnung
ganz und gar nicht überflüssig war, sollte sich nun eben jetzt an dem Beneh¬
men der Linken zeigen, die förmlich außer sich gerieth, daß man sie fort¬
während mit diesen Verträgen torquire, ihnen immer wieder die Pistole auf
die Brust setze, ihnen wie ermatteten Stieren immer wieder das rothe Tuch
dieser Verträge vorhalte u. tgi. Es fielen dabei Aeußerungen die in einer
deutschen Versammlung nicht gehört werden sollten, und ohne Zweifel waren
es diese leidenschaftlichen Ausbrüche, welche dann doch zur Besinnung darüber
aufforderten, vor welchem Abgrund man angelangt war. In der That war
es jetzt gelungen Bresche zu schießen. Es fand sich eine Mehrheit von 50 gegen
36 Stimmen, für das Sick'sche Amendement, für die erneuerte Giltigkeitserklärung
der Verträge, die größte Mehrheit, die überhaupt im Lauf der Debatte erzielt
wurde. Nun war mit einem Schlag die Lage geändert. Neben einer Reihe von.
geschraubten, zweideutigen Sätzen stand nun ein ganz unzweifelhafter Satz, der
die Verträge ausdrücklich anerkannte. Und damit war die Adresse für die
äußerste Linke ungenießbar gemacht, sie war jetzt „ausgebeint", „verpreußt",
und während die Regierungspartei noch einen Augenblick schwankte, ob sie nicht
für die so purificirte Adresse stimmen solle, beschloß ein Theil der Linken sie zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0041" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120230"/>
          <p xml:id="ID_99" prev="#ID_98"> den eine Reihe von geschickt gestellten Amendements eingebracht und ver¬<lb/>
theidigt, um die schärferen Stellen des Entwurfs abzudämpfen oder zu<lb/>
beseitigen. Die meisten ohne Erfolg. Satz um Satz wurde der Probst'sche<lb/>
Entwurf genehmigt. Doch gelang es eine derjenigen Stellen auszumerzen,<lb/>
in welchen das Ministerium ein Mißtrauensvotum sah. Ebenso ging ein<lb/>
(übrigens von Oesterlen hilfreich gestelltes) Amendement durch, welches einen<lb/>
unnöthigen Ausfall aus die preußische Gewaltpolitik beseitigte. Der Kuriosi¬<lb/>
tät halber sei erwähnt, daß in letzter Stunde auch noch eine großdeutsche<lb/>
Erwähnung Oestreichs Aufnahme fand. Aber die dramatische Wendung trat<lb/>
erst ein, als der Zusatzantrag von Sick zur Debatte kam, welcher die aus¬<lb/>
drückliche Erwähnung der mit Preußen abgeschlossenen Verträge verlangte,<lb/>
um allen Zweideutigkeiten in dieser Beziehung ein Ende zu machen. Das<lb/>
verhängnißvolle Amendement lautete: &#x201E;Niemals wird sich das württem¬<lb/>
bergische Volk der Pflicht entbinden, mit seiner Regierung Hand in Hand<lb/>
die nationalen Interessen zu pflegen und die nationalen Pflichten in Ueber¬<lb/>
einstimmung mit den Allianz- und Zollverträgen zu erfüllen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_100" next="#ID_101"> Jetzt hieß es also Farbe bekennen. Zwar schien die Erwähnung der<lb/>
Verträge etwas ganz Unverfängliches zu sein, da die Linke ja größtentheils ihre<lb/>
Vertragstreue betheuerte und wiederholte, was Oesterlen schon auf der<lb/>
Volksversammlung in Berlin gesagt hatte, daß die Verträge eigentlich sogar<lb/>
überflüssig seien, da man in Schwaben auch ohne Verträge wisse, was die<lb/>
nationale Pflicht vorschreibe. Allein man hatte im Lauf der Debatte doch<lb/>
mannigfache Commentare zu denselben gehört. Und daß ihre Erwähnung<lb/>
ganz und gar nicht überflüssig war, sollte sich nun eben jetzt an dem Beneh¬<lb/>
men der Linken zeigen, die förmlich außer sich gerieth, daß man sie fort¬<lb/>
während mit diesen Verträgen torquire, ihnen immer wieder die Pistole auf<lb/>
die Brust setze, ihnen wie ermatteten Stieren immer wieder das rothe Tuch<lb/>
dieser Verträge vorhalte u. tgi. Es fielen dabei Aeußerungen die in einer<lb/>
deutschen Versammlung nicht gehört werden sollten, und ohne Zweifel waren<lb/>
es diese leidenschaftlichen Ausbrüche, welche dann doch zur Besinnung darüber<lb/>
aufforderten, vor welchem Abgrund man angelangt war. In der That war<lb/>
es jetzt gelungen Bresche zu schießen. Es fand sich eine Mehrheit von 50 gegen<lb/>
36 Stimmen, für das Sick'sche Amendement, für die erneuerte Giltigkeitserklärung<lb/>
der Verträge, die größte Mehrheit, die überhaupt im Lauf der Debatte erzielt<lb/>
wurde. Nun war mit einem Schlag die Lage geändert. Neben einer Reihe von.<lb/>
geschraubten, zweideutigen Sätzen stand nun ein ganz unzweifelhafter Satz, der<lb/>
die Verträge ausdrücklich anerkannte. Und damit war die Adresse für die<lb/>
äußerste Linke ungenießbar gemacht, sie war jetzt &#x201E;ausgebeint", &#x201E;verpreußt",<lb/>
und während die Regierungspartei noch einen Augenblick schwankte, ob sie nicht<lb/>
für die so purificirte Adresse stimmen solle, beschloß ein Theil der Linken sie zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0041] den eine Reihe von geschickt gestellten Amendements eingebracht und ver¬ theidigt, um die schärferen Stellen des Entwurfs abzudämpfen oder zu beseitigen. Die meisten ohne Erfolg. Satz um Satz wurde der Probst'sche Entwurf genehmigt. Doch gelang es eine derjenigen Stellen auszumerzen, in welchen das Ministerium ein Mißtrauensvotum sah. Ebenso ging ein (übrigens von Oesterlen hilfreich gestelltes) Amendement durch, welches einen unnöthigen Ausfall aus die preußische Gewaltpolitik beseitigte. Der Kuriosi¬ tät halber sei erwähnt, daß in letzter Stunde auch noch eine großdeutsche Erwähnung Oestreichs Aufnahme fand. Aber die dramatische Wendung trat erst ein, als der Zusatzantrag von Sick zur Debatte kam, welcher die aus¬ drückliche Erwähnung der mit Preußen abgeschlossenen Verträge verlangte, um allen Zweideutigkeiten in dieser Beziehung ein Ende zu machen. Das verhängnißvolle Amendement lautete: „Niemals wird sich das württem¬ bergische Volk der Pflicht entbinden, mit seiner Regierung Hand in Hand die nationalen Interessen zu pflegen und die nationalen Pflichten in Ueber¬ einstimmung mit den Allianz- und Zollverträgen zu erfüllen." Jetzt hieß es also Farbe bekennen. Zwar schien die Erwähnung der Verträge etwas ganz Unverfängliches zu sein, da die Linke ja größtentheils ihre Vertragstreue betheuerte und wiederholte, was Oesterlen schon auf der Volksversammlung in Berlin gesagt hatte, daß die Verträge eigentlich sogar überflüssig seien, da man in Schwaben auch ohne Verträge wisse, was die nationale Pflicht vorschreibe. Allein man hatte im Lauf der Debatte doch mannigfache Commentare zu denselben gehört. Und daß ihre Erwähnung ganz und gar nicht überflüssig war, sollte sich nun eben jetzt an dem Beneh¬ men der Linken zeigen, die förmlich außer sich gerieth, daß man sie fort¬ während mit diesen Verträgen torquire, ihnen immer wieder die Pistole auf die Brust setze, ihnen wie ermatteten Stieren immer wieder das rothe Tuch dieser Verträge vorhalte u. tgi. Es fielen dabei Aeußerungen die in einer deutschen Versammlung nicht gehört werden sollten, und ohne Zweifel waren es diese leidenschaftlichen Ausbrüche, welche dann doch zur Besinnung darüber aufforderten, vor welchem Abgrund man angelangt war. In der That war es jetzt gelungen Bresche zu schießen. Es fand sich eine Mehrheit von 50 gegen 36 Stimmen, für das Sick'sche Amendement, für die erneuerte Giltigkeitserklärung der Verträge, die größte Mehrheit, die überhaupt im Lauf der Debatte erzielt wurde. Nun war mit einem Schlag die Lage geändert. Neben einer Reihe von. geschraubten, zweideutigen Sätzen stand nun ein ganz unzweifelhafter Satz, der die Verträge ausdrücklich anerkannte. Und damit war die Adresse für die äußerste Linke ungenießbar gemacht, sie war jetzt „ausgebeint", „verpreußt", und während die Regierungspartei noch einen Augenblick schwankte, ob sie nicht für die so purificirte Adresse stimmen solle, beschloß ein Theil der Linken sie zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/41
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/41>, abgerufen am 28.09.2024.