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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Bei einer politisch reifen Nation wäre dieser Schritt vielleicht am Platz ge¬
wesen, bei einem unreifen absichtlich corrumpirten Volk war diese von einer ver¬
haßten Regierung ohne Befragung des Volks versuchte Maßregel ein Wahnsinn.

Der Erfolg hat gezeigt, daß Spanien die Henne umbrachte, die ihm die
goldenen Eier legte.

Die neue Steuer sollte eigentlich eine Einkommensteuer sein, wurde
aber so willkürlich, so planlos, ungerecht und unvernünftig vertheilt, daß,
während einzelne Personen kaum 2"/" ihres Einkommens bezahlten, kleine
Leute 10. 15, und bis 20"/o steuerten.

Natürlich schuf diese Ungleichheit sofort Unzufriedenheit, und wenn diese
erst kürzlich zum Ausbruch kam, so ist das dem geduldigen Sinn, dem Mangel
an Energie der Creolen zuzuschreiben, welche sich nicht leicht zu thätlichen Wider-
stand ermannen können. Aber der Boden war vorbereitet, und sowie die
ersten Nachrichten über die spanische Revolution kamen, ging es auch auf
Cuba los. Aus einem kleinen Auflauf in Uara, der gegen die Steuern ge¬
richtet war, entwickelte sich eine Jnsurection. die Anfangs nur gewisse Re¬
formen durchsetzen wollte, nach kurzer Zeit aber schon die Unabhängigkeit
Cubas von Spanien zu ihrem Feldgeschrei machte.

Schon nach wenig Wochen hatte sich der Aufstand über das ganze öst¬
liche Departement verbreitet, und nur die Hafenplätze Manzonillo, Cuba
Gibara und Nuevita wurden durch die spanischen Truppen gehalten, da diese
von der Marine unterstützt werden konnten; im Inneren des Landes hielten
sich außerdem Puerto Principe und Holguin; der ganze Rest, also ungefähr
die Hälfte der Insel war im Besitz der Insurgenten. --

Einen großen Theil der Schuld trägt jedenfalls der bisherige General-
capitän Lersundi. Dieser, ein eifriger Anhänger der Königin, seit Narvaez'
Tode der hervorragendste Militär unter den sogenannten Moderados (d. h.
der Partei des klerikalen und militärischen Despotismus) wollte offenbar
die Insel für die Königin halten, verheimlichte nach Möglichkeit alle Nach¬
richten aus Spanien, ließ überall den Namen der Königin und deren Bild¬
nisse beibehalten, und statt die Reformen zu geben, die die Revolution den
Spaniern gebracht hatte, oder doch in Aussicht stellte, suchte er die Regierung
im alten despotischen Styl fortzuführen, trieb dadurch alle Creolen in die
Opposition, und machte selbst liberale wohldenkende Spanier irre. Zugleich
wurde der Krieg gegen die Insurgenten ohne Kraft getrieben; dieselben
machten Fortschritte über Fortschritte. Daß es an Truppen fehlte, mußte
Lerfundi wissen, er hätte sich darum nur durch liberale Concessionen helfen
können. Damals, im November, hätte die Gewährung derselben Freiheiten,
wie sie Spanien besitzt, sowie die Bewilligung einer colonialen Legislative
noch Alles retten können. So geschah nichts, 'und fast alle Creolen fielen


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Bei einer politisch reifen Nation wäre dieser Schritt vielleicht am Platz ge¬
wesen, bei einem unreifen absichtlich corrumpirten Volk war diese von einer ver¬
haßten Regierung ohne Befragung des Volks versuchte Maßregel ein Wahnsinn.

Der Erfolg hat gezeigt, daß Spanien die Henne umbrachte, die ihm die
goldenen Eier legte.

Die neue Steuer sollte eigentlich eine Einkommensteuer sein, wurde
aber so willkürlich, so planlos, ungerecht und unvernünftig vertheilt, daß,
während einzelne Personen kaum 2«/» ihres Einkommens bezahlten, kleine
Leute 10. 15, und bis 20«/o steuerten.

Natürlich schuf diese Ungleichheit sofort Unzufriedenheit, und wenn diese
erst kürzlich zum Ausbruch kam, so ist das dem geduldigen Sinn, dem Mangel
an Energie der Creolen zuzuschreiben, welche sich nicht leicht zu thätlichen Wider-
stand ermannen können. Aber der Boden war vorbereitet, und sowie die
ersten Nachrichten über die spanische Revolution kamen, ging es auch auf
Cuba los. Aus einem kleinen Auflauf in Uara, der gegen die Steuern ge¬
richtet war, entwickelte sich eine Jnsurection. die Anfangs nur gewisse Re¬
formen durchsetzen wollte, nach kurzer Zeit aber schon die Unabhängigkeit
Cubas von Spanien zu ihrem Feldgeschrei machte.

Schon nach wenig Wochen hatte sich der Aufstand über das ganze öst¬
liche Departement verbreitet, und nur die Hafenplätze Manzonillo, Cuba
Gibara und Nuevita wurden durch die spanischen Truppen gehalten, da diese
von der Marine unterstützt werden konnten; im Inneren des Landes hielten
sich außerdem Puerto Principe und Holguin; der ganze Rest, also ungefähr
die Hälfte der Insel war im Besitz der Insurgenten. —

Einen großen Theil der Schuld trägt jedenfalls der bisherige General-
capitän Lersundi. Dieser, ein eifriger Anhänger der Königin, seit Narvaez'
Tode der hervorragendste Militär unter den sogenannten Moderados (d. h.
der Partei des klerikalen und militärischen Despotismus) wollte offenbar
die Insel für die Königin halten, verheimlichte nach Möglichkeit alle Nach¬
richten aus Spanien, ließ überall den Namen der Königin und deren Bild¬
nisse beibehalten, und statt die Reformen zu geben, die die Revolution den
Spaniern gebracht hatte, oder doch in Aussicht stellte, suchte er die Regierung
im alten despotischen Styl fortzuführen, trieb dadurch alle Creolen in die
Opposition, und machte selbst liberale wohldenkende Spanier irre. Zugleich
wurde der Krieg gegen die Insurgenten ohne Kraft getrieben; dieselben
machten Fortschritte über Fortschritte. Daß es an Truppen fehlte, mußte
Lerfundi wissen, er hätte sich darum nur durch liberale Concessionen helfen
können. Damals, im November, hätte die Gewährung derselben Freiheiten,
wie sie Spanien besitzt, sowie die Bewilligung einer colonialen Legislative
noch Alles retten können. So geschah nichts, 'und fast alle Creolen fielen


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[0367] Bei einer politisch reifen Nation wäre dieser Schritt vielleicht am Platz ge¬ wesen, bei einem unreifen absichtlich corrumpirten Volk war diese von einer ver¬ haßten Regierung ohne Befragung des Volks versuchte Maßregel ein Wahnsinn. Der Erfolg hat gezeigt, daß Spanien die Henne umbrachte, die ihm die goldenen Eier legte. Die neue Steuer sollte eigentlich eine Einkommensteuer sein, wurde aber so willkürlich, so planlos, ungerecht und unvernünftig vertheilt, daß, während einzelne Personen kaum 2«/» ihres Einkommens bezahlten, kleine Leute 10. 15, und bis 20«/o steuerten. Natürlich schuf diese Ungleichheit sofort Unzufriedenheit, und wenn diese erst kürzlich zum Ausbruch kam, so ist das dem geduldigen Sinn, dem Mangel an Energie der Creolen zuzuschreiben, welche sich nicht leicht zu thätlichen Wider- stand ermannen können. Aber der Boden war vorbereitet, und sowie die ersten Nachrichten über die spanische Revolution kamen, ging es auch auf Cuba los. Aus einem kleinen Auflauf in Uara, der gegen die Steuern ge¬ richtet war, entwickelte sich eine Jnsurection. die Anfangs nur gewisse Re¬ formen durchsetzen wollte, nach kurzer Zeit aber schon die Unabhängigkeit Cubas von Spanien zu ihrem Feldgeschrei machte. Schon nach wenig Wochen hatte sich der Aufstand über das ganze öst¬ liche Departement verbreitet, und nur die Hafenplätze Manzonillo, Cuba Gibara und Nuevita wurden durch die spanischen Truppen gehalten, da diese von der Marine unterstützt werden konnten; im Inneren des Landes hielten sich außerdem Puerto Principe und Holguin; der ganze Rest, also ungefähr die Hälfte der Insel war im Besitz der Insurgenten. — Einen großen Theil der Schuld trägt jedenfalls der bisherige General- capitän Lersundi. Dieser, ein eifriger Anhänger der Königin, seit Narvaez' Tode der hervorragendste Militär unter den sogenannten Moderados (d. h. der Partei des klerikalen und militärischen Despotismus) wollte offenbar die Insel für die Königin halten, verheimlichte nach Möglichkeit alle Nach¬ richten aus Spanien, ließ überall den Namen der Königin und deren Bild¬ nisse beibehalten, und statt die Reformen zu geben, die die Revolution den Spaniern gebracht hatte, oder doch in Aussicht stellte, suchte er die Regierung im alten despotischen Styl fortzuführen, trieb dadurch alle Creolen in die Opposition, und machte selbst liberale wohldenkende Spanier irre. Zugleich wurde der Krieg gegen die Insurgenten ohne Kraft getrieben; dieselben machten Fortschritte über Fortschritte. Daß es an Truppen fehlte, mußte Lerfundi wissen, er hätte sich darum nur durch liberale Concessionen helfen können. Damals, im November, hätte die Gewährung derselben Freiheiten, wie sie Spanien besitzt, sowie die Bewilligung einer colonialen Legislative noch Alles retten können. So geschah nichts, 'und fast alle Creolen fielen 45*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/367>, abgerufen am 28.09.2024.