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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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rechte Achtung vor den Beamten und wird unruhig an der Unsicherheit, die
es den administrativen Maßregeln anfühlt, und der Staat selbst bekennt,
daß ihm nicht genug geschehe, denn in einem der letzten Tentamina z. B.
ließ er nur 16 Procent der Examinanden bestehen. Aber dergleichen ein
einziges Mal erleben und dem Uebel nicht an die Wurzel greifen -- wie ist
das möglich, da die Kur hierin wahrhaftig nicht so schwer ist? Denn wenn
man auch annehmen darf, daß die eine Hälfte der Durchgefallenen sich noch
emporarbeitet, so ist doch so gut wie gewiß, daß die andere die verderblichen
Elemente in der Gesellschaft auf bedenkliche Weise verstärkt. So erzieht sich
der Staat an eben der Stelle, wo er sich seine Kraft bereiten sollte, mit
eigenen kostbaren Mitteln seine Feinde.




Nicht weit von Capodimonte hinter der Kirche San Gennaro dei Po-
veri, die zu einem großen Mrmenhause gehört, öffnen sich die Katakomben
Neapels. Sie sind in den aus Travertin (Schlammlava) bestehenden Höhen¬
zug hineingearbeitet, an den sich die Stadt anlehnt. Ehemals waren sie von
sehr beträchtlicher Ausdehnung; jetzt sind sie, weil räuberisches Gesinde! darin
nistete, bis auf einen geringen Rest unzugänglich gemacht, nachdem das mit
Pestleichen angefüllte unterste Stockwerk bereits im 17. Jahrhundert ver¬
schüttet worden war. Ursprünglich gab es nämlich drei Etagen über einander.

Unmittelbar neben dem Eingange findet sich ein natürliches Gewölbe,
in welchem ein alter einfacher Altar und ein aus dem Felsen gearbeiteter
Bischofsstuhl stehen. Hier soll der heilige Januarius eine Zeit lang gelebt
und dann nach seiner Hinrichtung die Ruhestatt gefunden haben, bis seine
Gebeine in den Dom übertragen wurden. Die Katakomben selbst bestehen
aus ziemlich breiten Gängen, die wohl zehn bis zwölf Fuß hoch sind und sich
hie und da zu großen Gewölben ausweiden, in welche an einigen Stellen
das Tageslicht fällt. In die Wände dieser Gänge sind schrankartige horizon¬
tale Vertiefungen getrieben, groß genug, um einen menschlichen Körper zu
fassen, und wol drei, vier übereinander. Auch in den Boden sind Grüfte
gearbeitet. Familienbegräbnisse sondern sich gegen einander ab; sie werden
oft durch ein in die Wand gemeißeltes Gewölbe gebildet, das dann rechts
und links und in der Hinterwand wieder die Oeffnungen zur Aufnahme der
Leichen enthält. Ein solches Famtliengewölbe sieht einem altrömischen Kolum¬
barium ähnlich, nur daß seine Verhältnisse wett größer sind, weil seine loouli
nicht die kleinen Aschenreste, sondern die ganzen Körper aufzunehmen hatten.
Gegenwärtig sind die Vertiefungen bis auf vereinzelte Knochen alle leer, und
die Marmorplatten, mit denen sie geschlossen und auf denen die Namen der


rechte Achtung vor den Beamten und wird unruhig an der Unsicherheit, die
es den administrativen Maßregeln anfühlt, und der Staat selbst bekennt,
daß ihm nicht genug geschehe, denn in einem der letzten Tentamina z. B.
ließ er nur 16 Procent der Examinanden bestehen. Aber dergleichen ein
einziges Mal erleben und dem Uebel nicht an die Wurzel greifen — wie ist
das möglich, da die Kur hierin wahrhaftig nicht so schwer ist? Denn wenn
man auch annehmen darf, daß die eine Hälfte der Durchgefallenen sich noch
emporarbeitet, so ist doch so gut wie gewiß, daß die andere die verderblichen
Elemente in der Gesellschaft auf bedenkliche Weise verstärkt. So erzieht sich
der Staat an eben der Stelle, wo er sich seine Kraft bereiten sollte, mit
eigenen kostbaren Mitteln seine Feinde.




Nicht weit von Capodimonte hinter der Kirche San Gennaro dei Po-
veri, die zu einem großen Mrmenhause gehört, öffnen sich die Katakomben
Neapels. Sie sind in den aus Travertin (Schlammlava) bestehenden Höhen¬
zug hineingearbeitet, an den sich die Stadt anlehnt. Ehemals waren sie von
sehr beträchtlicher Ausdehnung; jetzt sind sie, weil räuberisches Gesinde! darin
nistete, bis auf einen geringen Rest unzugänglich gemacht, nachdem das mit
Pestleichen angefüllte unterste Stockwerk bereits im 17. Jahrhundert ver¬
schüttet worden war. Ursprünglich gab es nämlich drei Etagen über einander.

Unmittelbar neben dem Eingange findet sich ein natürliches Gewölbe,
in welchem ein alter einfacher Altar und ein aus dem Felsen gearbeiteter
Bischofsstuhl stehen. Hier soll der heilige Januarius eine Zeit lang gelebt
und dann nach seiner Hinrichtung die Ruhestatt gefunden haben, bis seine
Gebeine in den Dom übertragen wurden. Die Katakomben selbst bestehen
aus ziemlich breiten Gängen, die wohl zehn bis zwölf Fuß hoch sind und sich
hie und da zu großen Gewölben ausweiden, in welche an einigen Stellen
das Tageslicht fällt. In die Wände dieser Gänge sind schrankartige horizon¬
tale Vertiefungen getrieben, groß genug, um einen menschlichen Körper zu
fassen, und wol drei, vier übereinander. Auch in den Boden sind Grüfte
gearbeitet. Familienbegräbnisse sondern sich gegen einander ab; sie werden
oft durch ein in die Wand gemeißeltes Gewölbe gebildet, das dann rechts
und links und in der Hinterwand wieder die Oeffnungen zur Aufnahme der
Leichen enthält. Ein solches Famtliengewölbe sieht einem altrömischen Kolum¬
barium ähnlich, nur daß seine Verhältnisse wett größer sind, weil seine loouli
nicht die kleinen Aschenreste, sondern die ganzen Körper aufzunehmen hatten.
Gegenwärtig sind die Vertiefungen bis auf vereinzelte Knochen alle leer, und
die Marmorplatten, mit denen sie geschlossen und auf denen die Namen der


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[0358] rechte Achtung vor den Beamten und wird unruhig an der Unsicherheit, die es den administrativen Maßregeln anfühlt, und der Staat selbst bekennt, daß ihm nicht genug geschehe, denn in einem der letzten Tentamina z. B. ließ er nur 16 Procent der Examinanden bestehen. Aber dergleichen ein einziges Mal erleben und dem Uebel nicht an die Wurzel greifen — wie ist das möglich, da die Kur hierin wahrhaftig nicht so schwer ist? Denn wenn man auch annehmen darf, daß die eine Hälfte der Durchgefallenen sich noch emporarbeitet, so ist doch so gut wie gewiß, daß die andere die verderblichen Elemente in der Gesellschaft auf bedenkliche Weise verstärkt. So erzieht sich der Staat an eben der Stelle, wo er sich seine Kraft bereiten sollte, mit eigenen kostbaren Mitteln seine Feinde. Nicht weit von Capodimonte hinter der Kirche San Gennaro dei Po- veri, die zu einem großen Mrmenhause gehört, öffnen sich die Katakomben Neapels. Sie sind in den aus Travertin (Schlammlava) bestehenden Höhen¬ zug hineingearbeitet, an den sich die Stadt anlehnt. Ehemals waren sie von sehr beträchtlicher Ausdehnung; jetzt sind sie, weil räuberisches Gesinde! darin nistete, bis auf einen geringen Rest unzugänglich gemacht, nachdem das mit Pestleichen angefüllte unterste Stockwerk bereits im 17. Jahrhundert ver¬ schüttet worden war. Ursprünglich gab es nämlich drei Etagen über einander. Unmittelbar neben dem Eingange findet sich ein natürliches Gewölbe, in welchem ein alter einfacher Altar und ein aus dem Felsen gearbeiteter Bischofsstuhl stehen. Hier soll der heilige Januarius eine Zeit lang gelebt und dann nach seiner Hinrichtung die Ruhestatt gefunden haben, bis seine Gebeine in den Dom übertragen wurden. Die Katakomben selbst bestehen aus ziemlich breiten Gängen, die wohl zehn bis zwölf Fuß hoch sind und sich hie und da zu großen Gewölben ausweiden, in welche an einigen Stellen das Tageslicht fällt. In die Wände dieser Gänge sind schrankartige horizon¬ tale Vertiefungen getrieben, groß genug, um einen menschlichen Körper zu fassen, und wol drei, vier übereinander. Auch in den Boden sind Grüfte gearbeitet. Familienbegräbnisse sondern sich gegen einander ab; sie werden oft durch ein in die Wand gemeißeltes Gewölbe gebildet, das dann rechts und links und in der Hinterwand wieder die Oeffnungen zur Aufnahme der Leichen enthält. Ein solches Famtliengewölbe sieht einem altrömischen Kolum¬ barium ähnlich, nur daß seine Verhältnisse wett größer sind, weil seine loouli nicht die kleinen Aschenreste, sondern die ganzen Körper aufzunehmen hatten. Gegenwärtig sind die Vertiefungen bis auf vereinzelte Knochen alle leer, und die Marmorplatten, mit denen sie geschlossen und auf denen die Namen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/358>, abgerufen am 28.09.2024.