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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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schließlich doch überrascht? Wenn wir nicht in einer Zeit lebten, in der die
Frage nach Deutschlands Beziehung zu seinen Nachbarn alle anderen Fra¬
gen vollständig beherrscht und die ungegebene Antwort darauf wahrhaft das
Geheimniß der Situation ist, verlohnte es sich kaum der Mühe, zu consta-
tiren, daß die Leichtfertigkeit der Girardin und Cassagnac sich wieder einmal
in gedankenlosem Säbelklirren Luft gemacht hat. Ader die Dinge liegen in
Wirklichkeit so, daß Alles möglich ist. und daß das Vernünftige die Prci-
sumtion gegen sich hat. Genau zwölf Monate ist es her, daß die Kölnische
Zeitung, ohne daß man sie Lügen strafte, die Nachricht von gegen Preußen
gerichteten östreichisch-französisch-italienischen Verhandlungen brachte; als die¬
selben resultatlos blieben, wurde von zwanzig Seiten der Beweis geführt,
daß ein derartiges Unternehmen zu thöricht sei, um je ernsthaft werden
zu können. Im Februar 1869 hat eine derartige Intrigue wieder in der
Luft gelegen. Wenn das auch weiter Nichts sagen will, als daß die franzö¬
sische Regierung die Kriegsmöglichkeit noch immer im Auge behält, so ist
damit doch sehr viel gesagt. Vor dem Zusammentritt des ersten deutschen
Zollparlaments wurden die Befürchtungen vor Ueberschreitung des Main für
den Hauptgrund der französischen Kriegslust und Kriegsbereitschaft ausge¬
geben; die Spanne Zeit, die seitdem verflossen, hat die süddeutsche Frage so
vollständig zu den Akten gelegt, daß von derselben bei Niemand, am wenig¬
sten bei der preußischen Regierung im Ernst die Rede ist, und daß die con-
sequente Weiterführung des 1866 begonnenen Werks eigentlich allenthalben
für einen legalen easus bölli, nicht mehr für ein Jnternum gilt, das zu kei¬
nerlei fremden Einmischungen berechtigt. Auf unsere Unkosten hat die Fri¬
volität der französischen Compensations- und Kriegsgelüste binnen Jahresfrist
so erhebliche Fortschritte gemacht, daß ein Krieg ohne Scheinveranlassung, ja
ohne Scheinvorwand bereits zu den Möglichkeiten gehört, die in Frankreich
erwogen werden, und daß die pariser Hosblätter keck von französischer Gro߬
muth reden, wenn man der belgischen Regierung die Gelrendmachung ihr zu¬
stehender Hoheitsrechte ungestraft hingehen läßt. Wenn das im Februar ge¬
schehen konnte, -- was ist da nicht Alles vom April zu erwarten?

Das Hauptinteresse der letzten vier Wochen hat aber nicht diesen occi-
dentalen, sondern den orientalischen Dingen angehört. Jene zustimmende
Antwort des griechischen Cabinets zu den Conferenzvorschlägen, welche für
die ersten Februartage zugesagt war, ist in der letzten Woche endlich ein¬
getroffen, nachdem König Georgios von den interessirten Cabinetten, nament¬
lich dem russischen, wiederholt und dringend zum Gehorsam gegen die
Wünsche des europäischen Areopags eingeladen worden war. Die innere
Geschichte der griechischen Entschließungen ist noch nicht geschrieben; Alles
was wir von derselben wissen, stammt aus zweiter und dritter Hand, und die


schließlich doch überrascht? Wenn wir nicht in einer Zeit lebten, in der die
Frage nach Deutschlands Beziehung zu seinen Nachbarn alle anderen Fra¬
gen vollständig beherrscht und die ungegebene Antwort darauf wahrhaft das
Geheimniß der Situation ist, verlohnte es sich kaum der Mühe, zu consta-
tiren, daß die Leichtfertigkeit der Girardin und Cassagnac sich wieder einmal
in gedankenlosem Säbelklirren Luft gemacht hat. Ader die Dinge liegen in
Wirklichkeit so, daß Alles möglich ist. und daß das Vernünftige die Prci-
sumtion gegen sich hat. Genau zwölf Monate ist es her, daß die Kölnische
Zeitung, ohne daß man sie Lügen strafte, die Nachricht von gegen Preußen
gerichteten östreichisch-französisch-italienischen Verhandlungen brachte; als die¬
selben resultatlos blieben, wurde von zwanzig Seiten der Beweis geführt,
daß ein derartiges Unternehmen zu thöricht sei, um je ernsthaft werden
zu können. Im Februar 1869 hat eine derartige Intrigue wieder in der
Luft gelegen. Wenn das auch weiter Nichts sagen will, als daß die franzö¬
sische Regierung die Kriegsmöglichkeit noch immer im Auge behält, so ist
damit doch sehr viel gesagt. Vor dem Zusammentritt des ersten deutschen
Zollparlaments wurden die Befürchtungen vor Ueberschreitung des Main für
den Hauptgrund der französischen Kriegslust und Kriegsbereitschaft ausge¬
geben; die Spanne Zeit, die seitdem verflossen, hat die süddeutsche Frage so
vollständig zu den Akten gelegt, daß von derselben bei Niemand, am wenig¬
sten bei der preußischen Regierung im Ernst die Rede ist, und daß die con-
sequente Weiterführung des 1866 begonnenen Werks eigentlich allenthalben
für einen legalen easus bölli, nicht mehr für ein Jnternum gilt, das zu kei¬
nerlei fremden Einmischungen berechtigt. Auf unsere Unkosten hat die Fri¬
volität der französischen Compensations- und Kriegsgelüste binnen Jahresfrist
so erhebliche Fortschritte gemacht, daß ein Krieg ohne Scheinveranlassung, ja
ohne Scheinvorwand bereits zu den Möglichkeiten gehört, die in Frankreich
erwogen werden, und daß die pariser Hosblätter keck von französischer Gro߬
muth reden, wenn man der belgischen Regierung die Gelrendmachung ihr zu¬
stehender Hoheitsrechte ungestraft hingehen läßt. Wenn das im Februar ge¬
schehen konnte, — was ist da nicht Alles vom April zu erwarten?

Das Hauptinteresse der letzten vier Wochen hat aber nicht diesen occi-
dentalen, sondern den orientalischen Dingen angehört. Jene zustimmende
Antwort des griechischen Cabinets zu den Conferenzvorschlägen, welche für
die ersten Februartage zugesagt war, ist in der letzten Woche endlich ein¬
getroffen, nachdem König Georgios von den interessirten Cabinetten, nament¬
lich dem russischen, wiederholt und dringend zum Gehorsam gegen die
Wünsche des europäischen Areopags eingeladen worden war. Die innere
Geschichte der griechischen Entschließungen ist noch nicht geschrieben; Alles
was wir von derselben wissen, stammt aus zweiter und dritter Hand, und die


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[0334] schließlich doch überrascht? Wenn wir nicht in einer Zeit lebten, in der die Frage nach Deutschlands Beziehung zu seinen Nachbarn alle anderen Fra¬ gen vollständig beherrscht und die ungegebene Antwort darauf wahrhaft das Geheimniß der Situation ist, verlohnte es sich kaum der Mühe, zu consta- tiren, daß die Leichtfertigkeit der Girardin und Cassagnac sich wieder einmal in gedankenlosem Säbelklirren Luft gemacht hat. Ader die Dinge liegen in Wirklichkeit so, daß Alles möglich ist. und daß das Vernünftige die Prci- sumtion gegen sich hat. Genau zwölf Monate ist es her, daß die Kölnische Zeitung, ohne daß man sie Lügen strafte, die Nachricht von gegen Preußen gerichteten östreichisch-französisch-italienischen Verhandlungen brachte; als die¬ selben resultatlos blieben, wurde von zwanzig Seiten der Beweis geführt, daß ein derartiges Unternehmen zu thöricht sei, um je ernsthaft werden zu können. Im Februar 1869 hat eine derartige Intrigue wieder in der Luft gelegen. Wenn das auch weiter Nichts sagen will, als daß die franzö¬ sische Regierung die Kriegsmöglichkeit noch immer im Auge behält, so ist damit doch sehr viel gesagt. Vor dem Zusammentritt des ersten deutschen Zollparlaments wurden die Befürchtungen vor Ueberschreitung des Main für den Hauptgrund der französischen Kriegslust und Kriegsbereitschaft ausge¬ geben; die Spanne Zeit, die seitdem verflossen, hat die süddeutsche Frage so vollständig zu den Akten gelegt, daß von derselben bei Niemand, am wenig¬ sten bei der preußischen Regierung im Ernst die Rede ist, und daß die con- sequente Weiterführung des 1866 begonnenen Werks eigentlich allenthalben für einen legalen easus bölli, nicht mehr für ein Jnternum gilt, das zu kei¬ nerlei fremden Einmischungen berechtigt. Auf unsere Unkosten hat die Fri¬ volität der französischen Compensations- und Kriegsgelüste binnen Jahresfrist so erhebliche Fortschritte gemacht, daß ein Krieg ohne Scheinveranlassung, ja ohne Scheinvorwand bereits zu den Möglichkeiten gehört, die in Frankreich erwogen werden, und daß die pariser Hosblätter keck von französischer Gro߬ muth reden, wenn man der belgischen Regierung die Gelrendmachung ihr zu¬ stehender Hoheitsrechte ungestraft hingehen läßt. Wenn das im Februar ge¬ schehen konnte, — was ist da nicht Alles vom April zu erwarten? Das Hauptinteresse der letzten vier Wochen hat aber nicht diesen occi- dentalen, sondern den orientalischen Dingen angehört. Jene zustimmende Antwort des griechischen Cabinets zu den Conferenzvorschlägen, welche für die ersten Februartage zugesagt war, ist in der letzten Woche endlich ein¬ getroffen, nachdem König Georgios von den interessirten Cabinetten, nament¬ lich dem russischen, wiederholt und dringend zum Gehorsam gegen die Wünsche des europäischen Areopags eingeladen worden war. Die innere Geschichte der griechischen Entschließungen ist noch nicht geschrieben; Alles was wir von derselben wissen, stammt aus zweiter und dritter Hand, und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/334>, abgerufen am 28.09.2024.