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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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im October 1624 Franz selbst mit einem Heere anrückte, hielt unter diesen
Umständen auch Morone jeden Widerstand für vergeblich. Am 26. October
zogen die Franzosen zur Plünderung in Mailand ein. Dagegen hielt Pavia
den Siegeslauf des Königs auf, das von Antonio de Leva -- dem Borfahr
unseres Autors -- aufs tapferste vertheidigt wurde, bis die Schlacht vom
24. Februar 1525, dem Krieg und der ganzen politischen Lage eine ent¬
scheidende Wendung gab. --'

Wir verweilen hier nur bei den Versuchen, welche von nationaler Seite
gemacht wurden, die Unabhängigkeit Italiens gegen den Kaiser sowohl als
gegen Frankreich zu erlangen, und deren Wiederaufnahme in diesem Augen¬
blick eine der interessantesten Episoden in dem unaufhörlichen Krieg Aller
gegen Alle bildet. So oft waren die nationalen Hoffnungen getäuscht wor¬
den, aber eben jetzt nach der Schlacht von Pavia schienen sie weniger chi¬
märisch als je. So entscheidend auch der Sieg Karl's war, so war es ihm
doch nicht möglich, ihn auszunützen. Daran hinderten ihn die Wirren in
Deutschland und Flandern, wie der Mangel an Geld, der Zustand des
Heeres, die Uneinigkeit der Generale. Im ersten Augenblick machte der Sieg
des Kaisers in ganz Italien den größten Eindruck. Abermals stand man
vor der drohenden Gefahr eines Weltreichs. Noch vor Kurzem hatte ganz
Italien sich um den Kaiser geschaart, um Frankreich aus dem Mailänder
Besitz zu vertreiben, jetzt drohte die Uebermacht wieder von der anderen Seite.
Anstalt daß, wie die italienischen Fürsten gehofft hatten, die beiden Rivalen
in dem langen Krieg einander gegenseitig aufrieben, sah man jetzt die Halb¬
insel dem Wüthen einer siegreichen Soldatesca ausgesetzt. Die Venetianer
waren die ersten, die sich zu neuem Widerstand rüsteten, und nach einigem
Schwanken schien es auch dem Papst räthlich, nicht auf Seite dessen zu stehen,
der es auf die Unterdrückung ganz Italiens abgesehen hatte, sondern auf
Seite derer, die gemeinsame Sache mit ihm hatten. Gleichzeitig trat Eng¬
land, getreu seinem Balancirsystem auf dem Festland aus denselben Gründen
jetzt auf die Seite Franz I., aus welchen es bisher zu Karl gehalten hatte,
und endlich sah sich auf dieselbe Seite auch der Herzog von Mailand ge¬
drängt, der aus verschiedenen Anzeichen Verdacht schöpfte, daß der Kaiser das
Herzogthum für sich behalten wolle. Die kaiserlichen Generale betrugen sich
ohnedies wie in eroberten Feindesland.

Schon wenige Tage nach der Schlacht von Pavia besprach Morone mit
Domenico Vendramin, dem Secretär des venetianischen Gesandten Venier,
den Gedanken einer nationalen Union. Im Juli kam es zu förmlichen Ver¬
handlungen wegen eines Bündnisses zwischen Mailand, Venedig und dem
Papst. Freilich wurde auch sofort über den Beitritt Frankreichs zu der Liga
verhandelt. Nur sollte Frankreich von vornherein auf alle Ansprüche in


im October 1624 Franz selbst mit einem Heere anrückte, hielt unter diesen
Umständen auch Morone jeden Widerstand für vergeblich. Am 26. October
zogen die Franzosen zur Plünderung in Mailand ein. Dagegen hielt Pavia
den Siegeslauf des Königs auf, das von Antonio de Leva — dem Borfahr
unseres Autors — aufs tapferste vertheidigt wurde, bis die Schlacht vom
24. Februar 1525, dem Krieg und der ganzen politischen Lage eine ent¬
scheidende Wendung gab. —'

Wir verweilen hier nur bei den Versuchen, welche von nationaler Seite
gemacht wurden, die Unabhängigkeit Italiens gegen den Kaiser sowohl als
gegen Frankreich zu erlangen, und deren Wiederaufnahme in diesem Augen¬
blick eine der interessantesten Episoden in dem unaufhörlichen Krieg Aller
gegen Alle bildet. So oft waren die nationalen Hoffnungen getäuscht wor¬
den, aber eben jetzt nach der Schlacht von Pavia schienen sie weniger chi¬
märisch als je. So entscheidend auch der Sieg Karl's war, so war es ihm
doch nicht möglich, ihn auszunützen. Daran hinderten ihn die Wirren in
Deutschland und Flandern, wie der Mangel an Geld, der Zustand des
Heeres, die Uneinigkeit der Generale. Im ersten Augenblick machte der Sieg
des Kaisers in ganz Italien den größten Eindruck. Abermals stand man
vor der drohenden Gefahr eines Weltreichs. Noch vor Kurzem hatte ganz
Italien sich um den Kaiser geschaart, um Frankreich aus dem Mailänder
Besitz zu vertreiben, jetzt drohte die Uebermacht wieder von der anderen Seite.
Anstalt daß, wie die italienischen Fürsten gehofft hatten, die beiden Rivalen
in dem langen Krieg einander gegenseitig aufrieben, sah man jetzt die Halb¬
insel dem Wüthen einer siegreichen Soldatesca ausgesetzt. Die Venetianer
waren die ersten, die sich zu neuem Widerstand rüsteten, und nach einigem
Schwanken schien es auch dem Papst räthlich, nicht auf Seite dessen zu stehen,
der es auf die Unterdrückung ganz Italiens abgesehen hatte, sondern auf
Seite derer, die gemeinsame Sache mit ihm hatten. Gleichzeitig trat Eng¬
land, getreu seinem Balancirsystem auf dem Festland aus denselben Gründen
jetzt auf die Seite Franz I., aus welchen es bisher zu Karl gehalten hatte,
und endlich sah sich auf dieselbe Seite auch der Herzog von Mailand ge¬
drängt, der aus verschiedenen Anzeichen Verdacht schöpfte, daß der Kaiser das
Herzogthum für sich behalten wolle. Die kaiserlichen Generale betrugen sich
ohnedies wie in eroberten Feindesland.

Schon wenige Tage nach der Schlacht von Pavia besprach Morone mit
Domenico Vendramin, dem Secretär des venetianischen Gesandten Venier,
den Gedanken einer nationalen Union. Im Juli kam es zu förmlichen Ver¬
handlungen wegen eines Bündnisses zwischen Mailand, Venedig und dem
Papst. Freilich wurde auch sofort über den Beitritt Frankreichs zu der Liga
verhandelt. Nur sollte Frankreich von vornherein auf alle Ansprüche in


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[0312] im October 1624 Franz selbst mit einem Heere anrückte, hielt unter diesen Umständen auch Morone jeden Widerstand für vergeblich. Am 26. October zogen die Franzosen zur Plünderung in Mailand ein. Dagegen hielt Pavia den Siegeslauf des Königs auf, das von Antonio de Leva — dem Borfahr unseres Autors — aufs tapferste vertheidigt wurde, bis die Schlacht vom 24. Februar 1525, dem Krieg und der ganzen politischen Lage eine ent¬ scheidende Wendung gab. —' Wir verweilen hier nur bei den Versuchen, welche von nationaler Seite gemacht wurden, die Unabhängigkeit Italiens gegen den Kaiser sowohl als gegen Frankreich zu erlangen, und deren Wiederaufnahme in diesem Augen¬ blick eine der interessantesten Episoden in dem unaufhörlichen Krieg Aller gegen Alle bildet. So oft waren die nationalen Hoffnungen getäuscht wor¬ den, aber eben jetzt nach der Schlacht von Pavia schienen sie weniger chi¬ märisch als je. So entscheidend auch der Sieg Karl's war, so war es ihm doch nicht möglich, ihn auszunützen. Daran hinderten ihn die Wirren in Deutschland und Flandern, wie der Mangel an Geld, der Zustand des Heeres, die Uneinigkeit der Generale. Im ersten Augenblick machte der Sieg des Kaisers in ganz Italien den größten Eindruck. Abermals stand man vor der drohenden Gefahr eines Weltreichs. Noch vor Kurzem hatte ganz Italien sich um den Kaiser geschaart, um Frankreich aus dem Mailänder Besitz zu vertreiben, jetzt drohte die Uebermacht wieder von der anderen Seite. Anstalt daß, wie die italienischen Fürsten gehofft hatten, die beiden Rivalen in dem langen Krieg einander gegenseitig aufrieben, sah man jetzt die Halb¬ insel dem Wüthen einer siegreichen Soldatesca ausgesetzt. Die Venetianer waren die ersten, die sich zu neuem Widerstand rüsteten, und nach einigem Schwanken schien es auch dem Papst räthlich, nicht auf Seite dessen zu stehen, der es auf die Unterdrückung ganz Italiens abgesehen hatte, sondern auf Seite derer, die gemeinsame Sache mit ihm hatten. Gleichzeitig trat Eng¬ land, getreu seinem Balancirsystem auf dem Festland aus denselben Gründen jetzt auf die Seite Franz I., aus welchen es bisher zu Karl gehalten hatte, und endlich sah sich auf dieselbe Seite auch der Herzog von Mailand ge¬ drängt, der aus verschiedenen Anzeichen Verdacht schöpfte, daß der Kaiser das Herzogthum für sich behalten wolle. Die kaiserlichen Generale betrugen sich ohnedies wie in eroberten Feindesland. Schon wenige Tage nach der Schlacht von Pavia besprach Morone mit Domenico Vendramin, dem Secretär des venetianischen Gesandten Venier, den Gedanken einer nationalen Union. Im Juli kam es zu förmlichen Ver¬ handlungen wegen eines Bündnisses zwischen Mailand, Venedig und dem Papst. Freilich wurde auch sofort über den Beitritt Frankreichs zu der Liga verhandelt. Nur sollte Frankreich von vornherein auf alle Ansprüche in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/312>, abgerufen am 20.10.2024.