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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Simulationen auch die Wiedereinsetzung der Sforza gehörte, und berieth mit
den Ausgewanderten den Feldzugsplan gegen die Franzosen in Oberitalien.

Das Glück war auf Seite der Kaiserlichen. Von Prospero Colonna
geführt, nahmen sie im November 1621 Mailand ein, und sofort wurde von
den Siegern Franz Sforza proclamirt, in dessen Namen Morone die Ver¬
waltung mit weitesten Vollmachten übernahm. Mit Ausnahme des Kastells
von Mailand und einiger anderer Städten ging die ganze Lombardei für
die Franzosen verloren. Lautree erschien zwar im folgenden Jahr wieder,
allein er konnte nicht verhindern, daß im April der Herzog selbst nach Mai¬
land gelangte, wo er mit unbeschreiblichem Jubel von der Bevölkerung em¬
pfangen wurde. Nach der Niederlage von Bicocca (29. April 1322) waren
die Franzosen zur Rückkehr über die Alpen genöthigt, und Sforza besaß nun
das ganze Herzogthum, freilich jetzt die Domäne der siegreichen Spanier und
Deutschen, die sich mit solcher Gier nach Beute über Mailand stürzten, daß
man sie mit 100,000 Ducaten beschwichtigen mußte. Morone sorgte für die
Befestigung des Staats im Inneren und rieth dem Herzog, den Senat zu
rehabilitiren, dem in der Handhabung der Gesetze und der Rechtspflege die
oberste und unbeschränkte Gewalt eingeräumt wurde. Er selbst erhielt die
Würde eines Großkanzlers. Die Venetianer hatten bisher zu Franz ge.
halten. Als sie aber sahen, daß Karl das Herzogthum Mailand in den
Händen Sforza's ließ und ihm später auch das von den Franzosen ge¬
räumte Kastell von Mailand übergab, war zwar ihr Mißtrauen gegen Karl
nicht beseitigt, aber es schien ihnen doch besser, daß ein nationaler Fürst in
Mailand herrsche, als der französische König; auch sie schlössen ein Bündniß
mit Karl (Juli 1S23) dem fast alle italienischen Fürsten beitraten. Bereits
gaben sich die Italiener der Freude hin, daß die ersehnte Zeit der Ruhe für
ihr Land gekommen sei (und Girolamo Negro schrieb aus Rom an einen
Landsmann: "Jetzt können wir mit Horaz ausrufen: Nuuo est dibenäum,
nunc peäe libero pulsanäs. tsllus, denn nunmehr darf man hoffen, endlich
die schon so lang ersehnte Ruhe Italiens zu erleben.").

Auch das Heer, das im Herbst 1S23 der Admiral Bonnivet über die
Alpen führte, konnte nichts ausrichten. Aber das Land war jetzt furchtbar,
verheert und ausgesogen. Morone that sein möglichstes, nicht blos um den
immer steigenden Anforderungen der Heere zu genügen, sondern auch um
den moralischen Muth der Mailänder zu heben. Auf jede Weise suchte er
den Geist der Bevölkerung gegen die Franzosen anzufachen. Dazu diente
ihm namentlich die Beredtsamkeit eines Augustinermönchs, der unter un¬
geheurem Zulauf predigte und die Opferwilligkeit der Mailänder aufrecht
hielt. Gegen die furchtbaren Wirkungen der Pest gab es freilich kein Mittel,
sie raffte 50,000, nach anderer Angabe 100,000 Menschen hinweg, und als


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Simulationen auch die Wiedereinsetzung der Sforza gehörte, und berieth mit
den Ausgewanderten den Feldzugsplan gegen die Franzosen in Oberitalien.

Das Glück war auf Seite der Kaiserlichen. Von Prospero Colonna
geführt, nahmen sie im November 1621 Mailand ein, und sofort wurde von
den Siegern Franz Sforza proclamirt, in dessen Namen Morone die Ver¬
waltung mit weitesten Vollmachten übernahm. Mit Ausnahme des Kastells
von Mailand und einiger anderer Städten ging die ganze Lombardei für
die Franzosen verloren. Lautree erschien zwar im folgenden Jahr wieder,
allein er konnte nicht verhindern, daß im April der Herzog selbst nach Mai¬
land gelangte, wo er mit unbeschreiblichem Jubel von der Bevölkerung em¬
pfangen wurde. Nach der Niederlage von Bicocca (29. April 1322) waren
die Franzosen zur Rückkehr über die Alpen genöthigt, und Sforza besaß nun
das ganze Herzogthum, freilich jetzt die Domäne der siegreichen Spanier und
Deutschen, die sich mit solcher Gier nach Beute über Mailand stürzten, daß
man sie mit 100,000 Ducaten beschwichtigen mußte. Morone sorgte für die
Befestigung des Staats im Inneren und rieth dem Herzog, den Senat zu
rehabilitiren, dem in der Handhabung der Gesetze und der Rechtspflege die
oberste und unbeschränkte Gewalt eingeräumt wurde. Er selbst erhielt die
Würde eines Großkanzlers. Die Venetianer hatten bisher zu Franz ge.
halten. Als sie aber sahen, daß Karl das Herzogthum Mailand in den
Händen Sforza's ließ und ihm später auch das von den Franzosen ge¬
räumte Kastell von Mailand übergab, war zwar ihr Mißtrauen gegen Karl
nicht beseitigt, aber es schien ihnen doch besser, daß ein nationaler Fürst in
Mailand herrsche, als der französische König; auch sie schlössen ein Bündniß
mit Karl (Juli 1S23) dem fast alle italienischen Fürsten beitraten. Bereits
gaben sich die Italiener der Freude hin, daß die ersehnte Zeit der Ruhe für
ihr Land gekommen sei (und Girolamo Negro schrieb aus Rom an einen
Landsmann: „Jetzt können wir mit Horaz ausrufen: Nuuo est dibenäum,
nunc peäe libero pulsanäs. tsllus, denn nunmehr darf man hoffen, endlich
die schon so lang ersehnte Ruhe Italiens zu erleben.").

Auch das Heer, das im Herbst 1S23 der Admiral Bonnivet über die
Alpen führte, konnte nichts ausrichten. Aber das Land war jetzt furchtbar,
verheert und ausgesogen. Morone that sein möglichstes, nicht blos um den
immer steigenden Anforderungen der Heere zu genügen, sondern auch um
den moralischen Muth der Mailänder zu heben. Auf jede Weise suchte er
den Geist der Bevölkerung gegen die Franzosen anzufachen. Dazu diente
ihm namentlich die Beredtsamkeit eines Augustinermönchs, der unter un¬
geheurem Zulauf predigte und die Opferwilligkeit der Mailänder aufrecht
hielt. Gegen die furchtbaren Wirkungen der Pest gab es freilich kein Mittel,
sie raffte 50,000, nach anderer Angabe 100,000 Menschen hinweg, und als


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[0311] Simulationen auch die Wiedereinsetzung der Sforza gehörte, und berieth mit den Ausgewanderten den Feldzugsplan gegen die Franzosen in Oberitalien. Das Glück war auf Seite der Kaiserlichen. Von Prospero Colonna geführt, nahmen sie im November 1621 Mailand ein, und sofort wurde von den Siegern Franz Sforza proclamirt, in dessen Namen Morone die Ver¬ waltung mit weitesten Vollmachten übernahm. Mit Ausnahme des Kastells von Mailand und einiger anderer Städten ging die ganze Lombardei für die Franzosen verloren. Lautree erschien zwar im folgenden Jahr wieder, allein er konnte nicht verhindern, daß im April der Herzog selbst nach Mai¬ land gelangte, wo er mit unbeschreiblichem Jubel von der Bevölkerung em¬ pfangen wurde. Nach der Niederlage von Bicocca (29. April 1322) waren die Franzosen zur Rückkehr über die Alpen genöthigt, und Sforza besaß nun das ganze Herzogthum, freilich jetzt die Domäne der siegreichen Spanier und Deutschen, die sich mit solcher Gier nach Beute über Mailand stürzten, daß man sie mit 100,000 Ducaten beschwichtigen mußte. Morone sorgte für die Befestigung des Staats im Inneren und rieth dem Herzog, den Senat zu rehabilitiren, dem in der Handhabung der Gesetze und der Rechtspflege die oberste und unbeschränkte Gewalt eingeräumt wurde. Er selbst erhielt die Würde eines Großkanzlers. Die Venetianer hatten bisher zu Franz ge. halten. Als sie aber sahen, daß Karl das Herzogthum Mailand in den Händen Sforza's ließ und ihm später auch das von den Franzosen ge¬ räumte Kastell von Mailand übergab, war zwar ihr Mißtrauen gegen Karl nicht beseitigt, aber es schien ihnen doch besser, daß ein nationaler Fürst in Mailand herrsche, als der französische König; auch sie schlössen ein Bündniß mit Karl (Juli 1S23) dem fast alle italienischen Fürsten beitraten. Bereits gaben sich die Italiener der Freude hin, daß die ersehnte Zeit der Ruhe für ihr Land gekommen sei (und Girolamo Negro schrieb aus Rom an einen Landsmann: „Jetzt können wir mit Horaz ausrufen: Nuuo est dibenäum, nunc peäe libero pulsanäs. tsllus, denn nunmehr darf man hoffen, endlich die schon so lang ersehnte Ruhe Italiens zu erleben."). Auch das Heer, das im Herbst 1S23 der Admiral Bonnivet über die Alpen führte, konnte nichts ausrichten. Aber das Land war jetzt furchtbar, verheert und ausgesogen. Morone that sein möglichstes, nicht blos um den immer steigenden Anforderungen der Heere zu genügen, sondern auch um den moralischen Muth der Mailänder zu heben. Auf jede Weise suchte er den Geist der Bevölkerung gegen die Franzosen anzufachen. Dazu diente ihm namentlich die Beredtsamkeit eines Augustinermönchs, der unter un¬ geheurem Zulauf predigte und die Opferwilligkeit der Mailänder aufrecht hielt. Gegen die furchtbaren Wirkungen der Pest gab es freilich kein Mittel, sie raffte 50,000, nach anderer Angabe 100,000 Menschen hinweg, und als 38*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/311>, abgerufen am 20.10.2024.