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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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nicht die Fremdherrschaft mit einer neuen zu vertauschen, sondern den einen
Fremden gegen den anderen zu benutzen zum Zweck der nationalen Unab¬
hängigkeit. Allein durch Galeazzo Visconti, dem sich Morone jetzt eröffnete,
und der ein wankelmüthiger Intriguant war, scheinen die Franzosen zuerst
Nachricht von seinen Umtrieben erhallen zu haben. Sie versuchten ihn erst
mit Schmeicheleien nach Mailand zu locken, boten ihm die Gesandtschaft bei
den Schweizern, eine französische Senatorenstelle an; als sie ihm aber auch
nach dem Leben stellten, floh er nach Modena. Nicht ohne Selbstgefällig¬
keit schreibt er: "die Franzosen wußten wohl, wie beliebt ich bin, von großem
Anhang und Einfluß bei den Bürgern jedes Standes, und wie auf einen
einzigen Wink von mir unser Volk sich gewöhnt hatte, entweder wüthend auf¬
zustehen oder sich zu beruhigen."

Seitdem Ferdinand der Katholische gestorben, trat mehr und mehr Eng¬
land in dessen bisherige Rolle, die Staaten im Gleichgewicht zu halten.
Dazu war es schon durch seine insulare Lage besonders befähigt und so fin¬
den wir bei ihm zuerst die Ansätze zu der späteren Doctrin der Nichtinter-
ventionspolitik. Zu dem venetianischen Gesandten Seb. Giustiniant sagte
Heinrich VIII., (der freilich selbst diesem Grundsatz keineswegs immer treu
blieb): "Wir möchten, daß ein Jeder sich mit seinem Staate begnüge. Wir
begnügen uns mit diesem unserem Eiland/' Mit noch größerem Nachdruck
arbeitete Heinrich VIII. für einen allgemeinen Frieden, als Karl, der Enkel
Maximilians, nun wirklich zum Kaiser erwählt war, und in Folge dieses
gewaltigen Machtzuwachses durch Europa ein Jahr lang die bange Er¬
wartung ging, daß es zwischen den beiden ebenbürtigen Mächten, die sich um
die Hegemonie stritten, zum Kriege komme, ein Bruch, den Alle voraushaben
und auf den sich Alle vorbereiteten, während England es vergebens mit
Congressen, Conferenzen und Schiedsgerichten versuchte und vergebens er¬
klärte, daß es dör Feind dessen sein werde, welcher zuerst den Frieden bräche,
-- eine Lage, die bis in ihre Einzelheiten mannigfache Aehnlichkeit bietet
mit viel späteren Zeiten und Situationen. --

Als die Nebenbuhlerschaft Karls V. und Franz I. sich deutlicher zu zeichnen
begann, schöpfte Morone neue Hoffnungen für seinen Herzog. Von Modena
aus verfolgte er aufmerksam das diplomatische Spiel. Er erkannte wohl,
daß wenn Karl und Franz wirklich aufrichtige Freundschaft schließen und
die Treue halten würden, die sie sich so ohr gelobten, es dann mit den Aus¬
sichten Italiens vorbei wäre. Hatten doch die Beiden bereits die Theilung
Italiens in ein K<zMv ä'Ita,Ils, für Karl und ein Koßno 6i 1.0mdg.räia für
Franz verabredet. Allein Morone konnte sich nicht darüber täuschen , daß ein
wirklicher Friede zwischen den Rivalen unmöglich sei, und daraus rechnete er
bei seiner Zuversicht auf die Vertreibung der Franzosen. "Und wenn ich auch


Grenzboten I. 1869. 38

nicht die Fremdherrschaft mit einer neuen zu vertauschen, sondern den einen
Fremden gegen den anderen zu benutzen zum Zweck der nationalen Unab¬
hängigkeit. Allein durch Galeazzo Visconti, dem sich Morone jetzt eröffnete,
und der ein wankelmüthiger Intriguant war, scheinen die Franzosen zuerst
Nachricht von seinen Umtrieben erhallen zu haben. Sie versuchten ihn erst
mit Schmeicheleien nach Mailand zu locken, boten ihm die Gesandtschaft bei
den Schweizern, eine französische Senatorenstelle an; als sie ihm aber auch
nach dem Leben stellten, floh er nach Modena. Nicht ohne Selbstgefällig¬
keit schreibt er: „die Franzosen wußten wohl, wie beliebt ich bin, von großem
Anhang und Einfluß bei den Bürgern jedes Standes, und wie auf einen
einzigen Wink von mir unser Volk sich gewöhnt hatte, entweder wüthend auf¬
zustehen oder sich zu beruhigen."

Seitdem Ferdinand der Katholische gestorben, trat mehr und mehr Eng¬
land in dessen bisherige Rolle, die Staaten im Gleichgewicht zu halten.
Dazu war es schon durch seine insulare Lage besonders befähigt und so fin¬
den wir bei ihm zuerst die Ansätze zu der späteren Doctrin der Nichtinter-
ventionspolitik. Zu dem venetianischen Gesandten Seb. Giustiniant sagte
Heinrich VIII., (der freilich selbst diesem Grundsatz keineswegs immer treu
blieb): „Wir möchten, daß ein Jeder sich mit seinem Staate begnüge. Wir
begnügen uns mit diesem unserem Eiland/' Mit noch größerem Nachdruck
arbeitete Heinrich VIII. für einen allgemeinen Frieden, als Karl, der Enkel
Maximilians, nun wirklich zum Kaiser erwählt war, und in Folge dieses
gewaltigen Machtzuwachses durch Europa ein Jahr lang die bange Er¬
wartung ging, daß es zwischen den beiden ebenbürtigen Mächten, die sich um
die Hegemonie stritten, zum Kriege komme, ein Bruch, den Alle voraushaben
und auf den sich Alle vorbereiteten, während England es vergebens mit
Congressen, Conferenzen und Schiedsgerichten versuchte und vergebens er¬
klärte, daß es dör Feind dessen sein werde, welcher zuerst den Frieden bräche,
— eine Lage, die bis in ihre Einzelheiten mannigfache Aehnlichkeit bietet
mit viel späteren Zeiten und Situationen. —

Als die Nebenbuhlerschaft Karls V. und Franz I. sich deutlicher zu zeichnen
begann, schöpfte Morone neue Hoffnungen für seinen Herzog. Von Modena
aus verfolgte er aufmerksam das diplomatische Spiel. Er erkannte wohl,
daß wenn Karl und Franz wirklich aufrichtige Freundschaft schließen und
die Treue halten würden, die sie sich so ohr gelobten, es dann mit den Aus¬
sichten Italiens vorbei wäre. Hatten doch die Beiden bereits die Theilung
Italiens in ein K<zMv ä'Ita,Ils, für Karl und ein Koßno 6i 1.0mdg.räia für
Franz verabredet. Allein Morone konnte sich nicht darüber täuschen , daß ein
wirklicher Friede zwischen den Rivalen unmöglich sei, und daraus rechnete er
bei seiner Zuversicht auf die Vertreibung der Franzosen. „Und wenn ich auch


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[0309] nicht die Fremdherrschaft mit einer neuen zu vertauschen, sondern den einen Fremden gegen den anderen zu benutzen zum Zweck der nationalen Unab¬ hängigkeit. Allein durch Galeazzo Visconti, dem sich Morone jetzt eröffnete, und der ein wankelmüthiger Intriguant war, scheinen die Franzosen zuerst Nachricht von seinen Umtrieben erhallen zu haben. Sie versuchten ihn erst mit Schmeicheleien nach Mailand zu locken, boten ihm die Gesandtschaft bei den Schweizern, eine französische Senatorenstelle an; als sie ihm aber auch nach dem Leben stellten, floh er nach Modena. Nicht ohne Selbstgefällig¬ keit schreibt er: „die Franzosen wußten wohl, wie beliebt ich bin, von großem Anhang und Einfluß bei den Bürgern jedes Standes, und wie auf einen einzigen Wink von mir unser Volk sich gewöhnt hatte, entweder wüthend auf¬ zustehen oder sich zu beruhigen." Seitdem Ferdinand der Katholische gestorben, trat mehr und mehr Eng¬ land in dessen bisherige Rolle, die Staaten im Gleichgewicht zu halten. Dazu war es schon durch seine insulare Lage besonders befähigt und so fin¬ den wir bei ihm zuerst die Ansätze zu der späteren Doctrin der Nichtinter- ventionspolitik. Zu dem venetianischen Gesandten Seb. Giustiniant sagte Heinrich VIII., (der freilich selbst diesem Grundsatz keineswegs immer treu blieb): „Wir möchten, daß ein Jeder sich mit seinem Staate begnüge. Wir begnügen uns mit diesem unserem Eiland/' Mit noch größerem Nachdruck arbeitete Heinrich VIII. für einen allgemeinen Frieden, als Karl, der Enkel Maximilians, nun wirklich zum Kaiser erwählt war, und in Folge dieses gewaltigen Machtzuwachses durch Europa ein Jahr lang die bange Er¬ wartung ging, daß es zwischen den beiden ebenbürtigen Mächten, die sich um die Hegemonie stritten, zum Kriege komme, ein Bruch, den Alle voraushaben und auf den sich Alle vorbereiteten, während England es vergebens mit Congressen, Conferenzen und Schiedsgerichten versuchte und vergebens er¬ klärte, daß es dör Feind dessen sein werde, welcher zuerst den Frieden bräche, — eine Lage, die bis in ihre Einzelheiten mannigfache Aehnlichkeit bietet mit viel späteren Zeiten und Situationen. — Als die Nebenbuhlerschaft Karls V. und Franz I. sich deutlicher zu zeichnen begann, schöpfte Morone neue Hoffnungen für seinen Herzog. Von Modena aus verfolgte er aufmerksam das diplomatische Spiel. Er erkannte wohl, daß wenn Karl und Franz wirklich aufrichtige Freundschaft schließen und die Treue halten würden, die sie sich so ohr gelobten, es dann mit den Aus¬ sichten Italiens vorbei wäre. Hatten doch die Beiden bereits die Theilung Italiens in ein K<zMv ä'Ita,Ils, für Karl und ein Koßno 6i 1.0mdg.räia für Franz verabredet. Allein Morone konnte sich nicht darüber täuschen , daß ein wirklicher Friede zwischen den Rivalen unmöglich sei, und daraus rechnete er bei seiner Zuversicht auf die Vertreibung der Franzosen. „Und wenn ich auch Grenzboten I. 1869. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/309>, abgerufen am 20.10.2024.