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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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schlimmenILage. Das Bedürfniß ist da, so dringend wie irgendwo, und die
Mittel müssen erschlichen werden. Und was aus der Einziehung der Kirchen¬
güter auskommt (die ein Capital von 1200 Millionen Franken repräsentiren
und sich recht gut verkaufen), deckt natürlich nur die Vergangenheit und
kommt der Zukunft nicht zu Gute.

Man darf nun aber aus allen diesen Bemerkungen nicht schließen, daß
es hier an allem politischen Pathos fehle. Wenn Gregorovius das behauptet,
so kann er dabei nur an die oben charakterisirte allerdings massenhafte
Straßenbevölkerung gedacht haben, die allerdings Kriow-notKins in dem
Sinne ist, daß sie von Staat und Krieg nichts wissen will. Die mittlere
Classe der Bevölkerung hat wohl politische Leidenschaft, aber etwa in der
Weise der Franzosen. Das politische Programm wird diesen Leuten zu einer
berauschenden völlig exclusiver Idee, welche alle anderen Berechtigungen er¬
drückt und in ihrer Alleinherrschaft sogar die öffentliche Moral bedroht. Sie
sind vielleicht bereit, jede That dafür zu verrichten, verstehen aber nicht, wie
man von ihnen auch das stets wiederkehrende Opfer und die ruhige Arbeit
dafür fordern mag, und so behelfen sie sich in der Zwischenzeit mit drama¬
tischen Demonstrationen und klangvollen Phrasen. Daß der Gedanke der
Einheit und Macht Italiens, den sie ganz abstract wie ein Idol verehren,
nicht allein durch Krieg, geschweige denn durch Mord, sondern nur in der
gründlichen Verwandlung ihrer selbst sich realisiren läßt, begreifen sie nicht.
Die politische Moral ist hier noch nicht einmal in ihren Elementen begründet.
Man traut seinen Sinnen nicht, wenn man die Schwärmerei der Patrioten
sür Monti und Tognetti wahrnimmt, heimtückische Mörder, die um kein
Haar besser waren, als die Banditen, welche ihr Bourbonismus in die
Abruzzen treibt. Aber gegen den politischen Feind ist geradezu Alles erlaubt.

Die Haltung des Adels kann dem Uneingeweihten vielleicht mehr im-
poniren; denn nachdem nun acht Jahre nach der Revolution verflossen sind,
haben sich doch nur einige wenige Familien bereit finden lassen, sich der
neuen Dynastie zuzuwenden. Aber wie kam es, wird man fragen, daß
König Franz so schmählichem Verrath zum Opfer fiel; wenn er überdieß das
niedere Volk nicht zu fürchten brauchte, das in ihm den Sohn Marie Chri-
stinens verehrte, die es zu seinen Heiligen zählt? Das erklärt sich aus der
Apathie des Adels, der damals so wenig Lust zu dienen hatte wie heute,
und der in der Stunde der Gefahr aus Furcht vor einer Plünderung des
Pöbels, den er stets hatte gewähren und zum Pöbel werden lassen, von hier
auswanderte, um in seinem geliebten Paris den König zu beklagen. So
paralysirten sich gegenseitig die beiden Classen der Bevölkerung, auf welche
der König sich möglicherweise hätte stützen können. Nachmals ist der Adel
zurückgekehrt, um hier eine höchst inhaltsleere und bedeutungslose Existenz zu


schlimmenILage. Das Bedürfniß ist da, so dringend wie irgendwo, und die
Mittel müssen erschlichen werden. Und was aus der Einziehung der Kirchen¬
güter auskommt (die ein Capital von 1200 Millionen Franken repräsentiren
und sich recht gut verkaufen), deckt natürlich nur die Vergangenheit und
kommt der Zukunft nicht zu Gute.

Man darf nun aber aus allen diesen Bemerkungen nicht schließen, daß
es hier an allem politischen Pathos fehle. Wenn Gregorovius das behauptet,
so kann er dabei nur an die oben charakterisirte allerdings massenhafte
Straßenbevölkerung gedacht haben, die allerdings Kriow-notKins in dem
Sinne ist, daß sie von Staat und Krieg nichts wissen will. Die mittlere
Classe der Bevölkerung hat wohl politische Leidenschaft, aber etwa in der
Weise der Franzosen. Das politische Programm wird diesen Leuten zu einer
berauschenden völlig exclusiver Idee, welche alle anderen Berechtigungen er¬
drückt und in ihrer Alleinherrschaft sogar die öffentliche Moral bedroht. Sie
sind vielleicht bereit, jede That dafür zu verrichten, verstehen aber nicht, wie
man von ihnen auch das stets wiederkehrende Opfer und die ruhige Arbeit
dafür fordern mag, und so behelfen sie sich in der Zwischenzeit mit drama¬
tischen Demonstrationen und klangvollen Phrasen. Daß der Gedanke der
Einheit und Macht Italiens, den sie ganz abstract wie ein Idol verehren,
nicht allein durch Krieg, geschweige denn durch Mord, sondern nur in der
gründlichen Verwandlung ihrer selbst sich realisiren läßt, begreifen sie nicht.
Die politische Moral ist hier noch nicht einmal in ihren Elementen begründet.
Man traut seinen Sinnen nicht, wenn man die Schwärmerei der Patrioten
sür Monti und Tognetti wahrnimmt, heimtückische Mörder, die um kein
Haar besser waren, als die Banditen, welche ihr Bourbonismus in die
Abruzzen treibt. Aber gegen den politischen Feind ist geradezu Alles erlaubt.

Die Haltung des Adels kann dem Uneingeweihten vielleicht mehr im-
poniren; denn nachdem nun acht Jahre nach der Revolution verflossen sind,
haben sich doch nur einige wenige Familien bereit finden lassen, sich der
neuen Dynastie zuzuwenden. Aber wie kam es, wird man fragen, daß
König Franz so schmählichem Verrath zum Opfer fiel; wenn er überdieß das
niedere Volk nicht zu fürchten brauchte, das in ihm den Sohn Marie Chri-
stinens verehrte, die es zu seinen Heiligen zählt? Das erklärt sich aus der
Apathie des Adels, der damals so wenig Lust zu dienen hatte wie heute,
und der in der Stunde der Gefahr aus Furcht vor einer Plünderung des
Pöbels, den er stets hatte gewähren und zum Pöbel werden lassen, von hier
auswanderte, um in seinem geliebten Paris den König zu beklagen. So
paralysirten sich gegenseitig die beiden Classen der Bevölkerung, auf welche
der König sich möglicherweise hätte stützen können. Nachmals ist der Adel
zurückgekehrt, um hier eine höchst inhaltsleere und bedeutungslose Existenz zu


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[0281] schlimmenILage. Das Bedürfniß ist da, so dringend wie irgendwo, und die Mittel müssen erschlichen werden. Und was aus der Einziehung der Kirchen¬ güter auskommt (die ein Capital von 1200 Millionen Franken repräsentiren und sich recht gut verkaufen), deckt natürlich nur die Vergangenheit und kommt der Zukunft nicht zu Gute. Man darf nun aber aus allen diesen Bemerkungen nicht schließen, daß es hier an allem politischen Pathos fehle. Wenn Gregorovius das behauptet, so kann er dabei nur an die oben charakterisirte allerdings massenhafte Straßenbevölkerung gedacht haben, die allerdings Kriow-notKins in dem Sinne ist, daß sie von Staat und Krieg nichts wissen will. Die mittlere Classe der Bevölkerung hat wohl politische Leidenschaft, aber etwa in der Weise der Franzosen. Das politische Programm wird diesen Leuten zu einer berauschenden völlig exclusiver Idee, welche alle anderen Berechtigungen er¬ drückt und in ihrer Alleinherrschaft sogar die öffentliche Moral bedroht. Sie sind vielleicht bereit, jede That dafür zu verrichten, verstehen aber nicht, wie man von ihnen auch das stets wiederkehrende Opfer und die ruhige Arbeit dafür fordern mag, und so behelfen sie sich in der Zwischenzeit mit drama¬ tischen Demonstrationen und klangvollen Phrasen. Daß der Gedanke der Einheit und Macht Italiens, den sie ganz abstract wie ein Idol verehren, nicht allein durch Krieg, geschweige denn durch Mord, sondern nur in der gründlichen Verwandlung ihrer selbst sich realisiren läßt, begreifen sie nicht. Die politische Moral ist hier noch nicht einmal in ihren Elementen begründet. Man traut seinen Sinnen nicht, wenn man die Schwärmerei der Patrioten sür Monti und Tognetti wahrnimmt, heimtückische Mörder, die um kein Haar besser waren, als die Banditen, welche ihr Bourbonismus in die Abruzzen treibt. Aber gegen den politischen Feind ist geradezu Alles erlaubt. Die Haltung des Adels kann dem Uneingeweihten vielleicht mehr im- poniren; denn nachdem nun acht Jahre nach der Revolution verflossen sind, haben sich doch nur einige wenige Familien bereit finden lassen, sich der neuen Dynastie zuzuwenden. Aber wie kam es, wird man fragen, daß König Franz so schmählichem Verrath zum Opfer fiel; wenn er überdieß das niedere Volk nicht zu fürchten brauchte, das in ihm den Sohn Marie Chri- stinens verehrte, die es zu seinen Heiligen zählt? Das erklärt sich aus der Apathie des Adels, der damals so wenig Lust zu dienen hatte wie heute, und der in der Stunde der Gefahr aus Furcht vor einer Plünderung des Pöbels, den er stets hatte gewähren und zum Pöbel werden lassen, von hier auswanderte, um in seinem geliebten Paris den König zu beklagen. So paralysirten sich gegenseitig die beiden Classen der Bevölkerung, auf welche der König sich möglicherweise hätte stützen können. Nachmals ist der Adel zurückgekehrt, um hier eine höchst inhaltsleere und bedeutungslose Existenz zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/281>, abgerufen am 20.10.2024.