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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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zu betrachten, wie das der Bewohner nordischer Küstenstädte in jedem freien
Augenblicke thut. Am Nordseestrande wird der ausruhende Fischer immer
Angesichts des ewig wechselnden Meeres ausruhen; hier kehrt er ihm den
Rücken zu und, legt sich auf das Straßenpflaster. Auch die muntere Arbeit
der Schiffswerfte, die in andern Seestädten wieder Tausende von Menschen
an den Dienst des beweglichen Elementes bindet, fehlt hier ganz; die ganze
Schifffahrt scheint wie 'geliehen. Vergeblich sahen wir uns auch nach den
imposanten Ballen und Fässern um, vor denen man an anderen Häfen immer
den Hut ziehen möchte, wenn man nicht gar zu sehr den Provinzler zu ver¬
rathen fürchtete; vergebens spüren wir nach ihren wunderbaren ahnungs¬
vollen Gerüchen, die uns mit einem Male die ganze Geographie der süd¬
lichen Hemisphäre und eine Welt von Insulanern, Schlangen und Affen
in die Phantasie werfen. Der Neapolitaner hat eine unglückselige Geschick-
ten, Alles von Haus aus zu zerkleinern; wir belächeln in seinen Düten, was
uns in Ballen mit Ehrfurcht erfüllen würde.

Der Großhandel ist von geringem Belang; um so üppiger wuchert der
Kleinhandel, und das Mißverhältniß, in welchem er zur productiven Arbeit
steht, ist der zweite der ausfallenden Contraste, die den Verkehr Neapels
charakterisiren. Eine gewisse Rührigkeit, um sich die gewöhnlichen Bedürf¬
nisse zu sichern, die nächsten Genüsse zu verschaffen, beherrscht die ganze Be¬
völkerung; aber außer der Fabrikation von Handschuhen, Korallen-, Schild-
krot- und Lava-Artikeln nimmt man kein kräftig blühendes Gewerbe wahr,
und weder die Zeit noch die natürlichen Hilfsquellen des Landes werden ge¬
hörig ausgenutzt. Die Pflege der einheimischen Fruchtbäume ist sehr mangel¬
haft und für den Export wird wenig gezogen. Der Wein wird in einer
so nachlässigen Weise behandelt, daß schließlich aus der süßesten Traube ein
herber und unerfreulicher Wein producirt wird, der draußen keinen Markt
findet. Die moussirenden Weine sind mostartig und sauer, die übrigen ohne
Blume und meist mit herbem Nachgeschmack. Ohne die Poesie des Landes
zu zerstören, ohne gar zu viel Schornsteine darauf zu bauen -- jetzt möchte
der Vesuv wohl der einzige sein -- müßte man diesem Boden unendlich mehr
Ertrag abgewinnen können.

Der Detail-, Hausir- und Straßen-Handel wuchert, wie gesagt, ungemein.
Er ist wesentlich auf die Fremden berechnet, die hier seit den Römerzeiten jahr¬
aus jahrein in Schaaren landen und an denen der Neapolitaner eine Art Strand¬
recht üben zu dürfen glaubt. Unter dieser vagirenden Kaufmannschaft ist das
Ueberbieten die Regel, ebenso wie bei allen Fiakerkutschern. Man muß nicht
sauer dazu sehen; es ist zu unterhaltend, mit ihnen um den Preis zu ringen,
und ihre Beredtsamkeit zu entfesseln. Ihr Gesichtsausdruck auf das erste
Gegnergebot ist so überlegen vernichtend und maßlos erstaunt, daß ein Fremd-


Grenzbotcn I. 1809. 34

zu betrachten, wie das der Bewohner nordischer Küstenstädte in jedem freien
Augenblicke thut. Am Nordseestrande wird der ausruhende Fischer immer
Angesichts des ewig wechselnden Meeres ausruhen; hier kehrt er ihm den
Rücken zu und, legt sich auf das Straßenpflaster. Auch die muntere Arbeit
der Schiffswerfte, die in andern Seestädten wieder Tausende von Menschen
an den Dienst des beweglichen Elementes bindet, fehlt hier ganz; die ganze
Schifffahrt scheint wie 'geliehen. Vergeblich sahen wir uns auch nach den
imposanten Ballen und Fässern um, vor denen man an anderen Häfen immer
den Hut ziehen möchte, wenn man nicht gar zu sehr den Provinzler zu ver¬
rathen fürchtete; vergebens spüren wir nach ihren wunderbaren ahnungs¬
vollen Gerüchen, die uns mit einem Male die ganze Geographie der süd¬
lichen Hemisphäre und eine Welt von Insulanern, Schlangen und Affen
in die Phantasie werfen. Der Neapolitaner hat eine unglückselige Geschick-
ten, Alles von Haus aus zu zerkleinern; wir belächeln in seinen Düten, was
uns in Ballen mit Ehrfurcht erfüllen würde.

Der Großhandel ist von geringem Belang; um so üppiger wuchert der
Kleinhandel, und das Mißverhältniß, in welchem er zur productiven Arbeit
steht, ist der zweite der ausfallenden Contraste, die den Verkehr Neapels
charakterisiren. Eine gewisse Rührigkeit, um sich die gewöhnlichen Bedürf¬
nisse zu sichern, die nächsten Genüsse zu verschaffen, beherrscht die ganze Be¬
völkerung; aber außer der Fabrikation von Handschuhen, Korallen-, Schild-
krot- und Lava-Artikeln nimmt man kein kräftig blühendes Gewerbe wahr,
und weder die Zeit noch die natürlichen Hilfsquellen des Landes werden ge¬
hörig ausgenutzt. Die Pflege der einheimischen Fruchtbäume ist sehr mangel¬
haft und für den Export wird wenig gezogen. Der Wein wird in einer
so nachlässigen Weise behandelt, daß schließlich aus der süßesten Traube ein
herber und unerfreulicher Wein producirt wird, der draußen keinen Markt
findet. Die moussirenden Weine sind mostartig und sauer, die übrigen ohne
Blume und meist mit herbem Nachgeschmack. Ohne die Poesie des Landes
zu zerstören, ohne gar zu viel Schornsteine darauf zu bauen — jetzt möchte
der Vesuv wohl der einzige sein — müßte man diesem Boden unendlich mehr
Ertrag abgewinnen können.

Der Detail-, Hausir- und Straßen-Handel wuchert, wie gesagt, ungemein.
Er ist wesentlich auf die Fremden berechnet, die hier seit den Römerzeiten jahr¬
aus jahrein in Schaaren landen und an denen der Neapolitaner eine Art Strand¬
recht üben zu dürfen glaubt. Unter dieser vagirenden Kaufmannschaft ist das
Ueberbieten die Regel, ebenso wie bei allen Fiakerkutschern. Man muß nicht
sauer dazu sehen; es ist zu unterhaltend, mit ihnen um den Preis zu ringen,
und ihre Beredtsamkeit zu entfesseln. Ihr Gesichtsausdruck auf das erste
Gegnergebot ist so überlegen vernichtend und maßlos erstaunt, daß ein Fremd-


Grenzbotcn I. 1809. 34
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/277>, abgerufen am 28.09.2024.