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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Künstlern, sondern von bescheidenen Arbeitern, nicht aus dem goldenen Zeit¬
alter künstlerischer Leistungen wie die griechischen Vasen, in deren Bildern
wir einen Abglanz aus der Höhe der Kunst bewundern, sondern im Schooße
eines Volkes erwachsen, welches, wenn man von seiner großartigen Bau¬
geschichte absieht, der Kunst Anforderungen ohne Verständniß stellte, den
Künstlern Aufträge ohne Theilnahme entgegenbrachte und sich kaum anders für
Bildwerke zu interesstren verstand als durch den Namen des Urhebers und den
Preis. Recht eigentlich in Rom und vornehmlich an den Denkmälern, von
denen ich rede, hat sich eine Richtung der alten Kunst ausgebildet, die mit
derjenigen unserer Zopfzeit in wesentlichen Dingen verwandt ist. Was in
der jüngsten Geschichte der Aesthetik treffend von dieser ausgesagt wird
"ein Hinneigen zu dem Lärmen angeblicher Großartigkeit, zu der Friedlosig-
keit des Gewaltsamen, der Ueberladung gesuchter Reize" gilt mit den natür¬
lichen Einschränkungen, deren jeder geschichtliche Vergleich bedarf, auch von
jener. Hand in Hand mit einer ähnlich bewundernswürdigen technischen
Herrschaft und Schnellfertigkeit geht in dieser Periode der alten Kunst eine
ähnliche inmitten ihres Reichthums arme Freiheit der Erfindung, welche die
gegenseitigen Grenzen der bildenden Künste nicht mehr achtet und mitunter
nach einem Ausdrucke strebt, welcher billiger Weise außerhalb der Kunst ge>
sucht werden sollte.

Während sich die Archäologie in der Würdigung großer Kunstwerke,
wie sie uns vorzugsweise bei den Griechen als Offenbarungen des Schönen
überhaupt gelten, mit der Aesthetik berührt, so liefert sie mit der Behandlung
der Erzeugnisse des Kunsthandwerks ein unverächtliches Material für die
Geschichte. Was uns die in jedem Betracht große Classe griechischer Vasen¬
gemälde bedeutet, wenn wir aus ihnen in immer zunehmender Deutlichkeit
ein Bild von dem Fortschreiten der Kunst und eine Fülle von Anschauung
erhalten für Sitten und Gebräuche, für Handelsverkehr und Handwerk, für
Cultus und Religion, dies Alles bedeuten uns, wenn auch in viel beschränkterer
Weise, die Darstellungen der römischen Sarkophage. Und wenn die Aus¬
beutung ihres auteur- und kunstgeschichtlichen Werthes in der Regel nur für
den einzelnen Fall und in den verschiedenen denkbaren Beziehungen noch mit
ungleichem Erfolge geschehen ist, so wird der Versuch eines Ueberblicks über
die bereits gewonnenen und noch zu erreichenden Zielpunkte der Forschung in
eben diesem Umstände Berechtigung und Entschuldigung finden. --

Schon die bloße Existenz der Sarkophage ist von geschichtlicher Bedeutung.
Cicero war der Ansicht, daß in Italien die Sitte des Begrabens älter sei, als
die des Verbrennens. Jedenfalls reicht die letztere in hohes Alterthum zurück, wie
noch jüngst klar wurde, als man unter der Lava des schon in vorgeschicht¬
licher Zeit erstorbenen Vulkans im Albanergebirge allerlei irdene Aschen-


Künstlern, sondern von bescheidenen Arbeitern, nicht aus dem goldenen Zeit¬
alter künstlerischer Leistungen wie die griechischen Vasen, in deren Bildern
wir einen Abglanz aus der Höhe der Kunst bewundern, sondern im Schooße
eines Volkes erwachsen, welches, wenn man von seiner großartigen Bau¬
geschichte absieht, der Kunst Anforderungen ohne Verständniß stellte, den
Künstlern Aufträge ohne Theilnahme entgegenbrachte und sich kaum anders für
Bildwerke zu interesstren verstand als durch den Namen des Urhebers und den
Preis. Recht eigentlich in Rom und vornehmlich an den Denkmälern, von
denen ich rede, hat sich eine Richtung der alten Kunst ausgebildet, die mit
derjenigen unserer Zopfzeit in wesentlichen Dingen verwandt ist. Was in
der jüngsten Geschichte der Aesthetik treffend von dieser ausgesagt wird
„ein Hinneigen zu dem Lärmen angeblicher Großartigkeit, zu der Friedlosig-
keit des Gewaltsamen, der Ueberladung gesuchter Reize" gilt mit den natür¬
lichen Einschränkungen, deren jeder geschichtliche Vergleich bedarf, auch von
jener. Hand in Hand mit einer ähnlich bewundernswürdigen technischen
Herrschaft und Schnellfertigkeit geht in dieser Periode der alten Kunst eine
ähnliche inmitten ihres Reichthums arme Freiheit der Erfindung, welche die
gegenseitigen Grenzen der bildenden Künste nicht mehr achtet und mitunter
nach einem Ausdrucke strebt, welcher billiger Weise außerhalb der Kunst ge>
sucht werden sollte.

Während sich die Archäologie in der Würdigung großer Kunstwerke,
wie sie uns vorzugsweise bei den Griechen als Offenbarungen des Schönen
überhaupt gelten, mit der Aesthetik berührt, so liefert sie mit der Behandlung
der Erzeugnisse des Kunsthandwerks ein unverächtliches Material für die
Geschichte. Was uns die in jedem Betracht große Classe griechischer Vasen¬
gemälde bedeutet, wenn wir aus ihnen in immer zunehmender Deutlichkeit
ein Bild von dem Fortschreiten der Kunst und eine Fülle von Anschauung
erhalten für Sitten und Gebräuche, für Handelsverkehr und Handwerk, für
Cultus und Religion, dies Alles bedeuten uns, wenn auch in viel beschränkterer
Weise, die Darstellungen der römischen Sarkophage. Und wenn die Aus¬
beutung ihres auteur- und kunstgeschichtlichen Werthes in der Regel nur für
den einzelnen Fall und in den verschiedenen denkbaren Beziehungen noch mit
ungleichem Erfolge geschehen ist, so wird der Versuch eines Ueberblicks über
die bereits gewonnenen und noch zu erreichenden Zielpunkte der Forschung in
eben diesem Umstände Berechtigung und Entschuldigung finden. —

Schon die bloße Existenz der Sarkophage ist von geschichtlicher Bedeutung.
Cicero war der Ansicht, daß in Italien die Sitte des Begrabens älter sei, als
die des Verbrennens. Jedenfalls reicht die letztere in hohes Alterthum zurück, wie
noch jüngst klar wurde, als man unter der Lava des schon in vorgeschicht¬
licher Zeit erstorbenen Vulkans im Albanergebirge allerlei irdene Aschen-


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[0257] Künstlern, sondern von bescheidenen Arbeitern, nicht aus dem goldenen Zeit¬ alter künstlerischer Leistungen wie die griechischen Vasen, in deren Bildern wir einen Abglanz aus der Höhe der Kunst bewundern, sondern im Schooße eines Volkes erwachsen, welches, wenn man von seiner großartigen Bau¬ geschichte absieht, der Kunst Anforderungen ohne Verständniß stellte, den Künstlern Aufträge ohne Theilnahme entgegenbrachte und sich kaum anders für Bildwerke zu interesstren verstand als durch den Namen des Urhebers und den Preis. Recht eigentlich in Rom und vornehmlich an den Denkmälern, von denen ich rede, hat sich eine Richtung der alten Kunst ausgebildet, die mit derjenigen unserer Zopfzeit in wesentlichen Dingen verwandt ist. Was in der jüngsten Geschichte der Aesthetik treffend von dieser ausgesagt wird „ein Hinneigen zu dem Lärmen angeblicher Großartigkeit, zu der Friedlosig- keit des Gewaltsamen, der Ueberladung gesuchter Reize" gilt mit den natür¬ lichen Einschränkungen, deren jeder geschichtliche Vergleich bedarf, auch von jener. Hand in Hand mit einer ähnlich bewundernswürdigen technischen Herrschaft und Schnellfertigkeit geht in dieser Periode der alten Kunst eine ähnliche inmitten ihres Reichthums arme Freiheit der Erfindung, welche die gegenseitigen Grenzen der bildenden Künste nicht mehr achtet und mitunter nach einem Ausdrucke strebt, welcher billiger Weise außerhalb der Kunst ge> sucht werden sollte. Während sich die Archäologie in der Würdigung großer Kunstwerke, wie sie uns vorzugsweise bei den Griechen als Offenbarungen des Schönen überhaupt gelten, mit der Aesthetik berührt, so liefert sie mit der Behandlung der Erzeugnisse des Kunsthandwerks ein unverächtliches Material für die Geschichte. Was uns die in jedem Betracht große Classe griechischer Vasen¬ gemälde bedeutet, wenn wir aus ihnen in immer zunehmender Deutlichkeit ein Bild von dem Fortschreiten der Kunst und eine Fülle von Anschauung erhalten für Sitten und Gebräuche, für Handelsverkehr und Handwerk, für Cultus und Religion, dies Alles bedeuten uns, wenn auch in viel beschränkterer Weise, die Darstellungen der römischen Sarkophage. Und wenn die Aus¬ beutung ihres auteur- und kunstgeschichtlichen Werthes in der Regel nur für den einzelnen Fall und in den verschiedenen denkbaren Beziehungen noch mit ungleichem Erfolge geschehen ist, so wird der Versuch eines Ueberblicks über die bereits gewonnenen und noch zu erreichenden Zielpunkte der Forschung in eben diesem Umstände Berechtigung und Entschuldigung finden. — Schon die bloße Existenz der Sarkophage ist von geschichtlicher Bedeutung. Cicero war der Ansicht, daß in Italien die Sitte des Begrabens älter sei, als die des Verbrennens. Jedenfalls reicht die letztere in hohes Alterthum zurück, wie noch jüngst klar wurde, als man unter der Lava des schon in vorgeschicht¬ licher Zeit erstorbenen Vulkans im Albanergebirge allerlei irdene Aschen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/257>, abgerufen am 20.10.2024.