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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Die römischen Sarkophage.

Unter den mannigfaltigen Wahrnehmungen, welche sich dem nordischen
Reisenden aufdrängen, wenn er in den classischen Ländern mit empfänglichen
Sinn dem Studium der Antike nachgeht, steht neben der natürlichen Be¬
wunderung ihres unübersehbaren Reichthums oft ein billiges Erstaunen über
die naive Weise, wie man allenthalben mit dem mühelos erworbenen Besitz
antiker Kunstschätze zu schalten sich erlaubt. Ich rede nicht von der Theil-
nahmlosigkeit, welche oft das Beste verwahrlost, statt ihm ersprießliche Ver¬
wendung zu geben; von dem knabenhaften Zerstörungsdrang, dem aller-
wärts fast bei jedem neuen Funde beklagenswerthe Opfer fallen; von dem
Aberglauben, welcher selten bei der bloßen Scheu vor dem Unverstandenen
stehen bleibt und nicht immer so langsam zerstört wie in Orchomenos, wo
man eine schöne Grabstele stückweise zu Pulver stößt, um dasselbe als Arznei¬
mittel gegen das Fieber einzunehmen. Aehnliche Züge wiederholen sich überall,
wo im Volke die Unwissenheit die Oberhand hat. Mehr aber fällt uns,
die wir Kunstwerke kaum anders als Feiertags in Museen zu sehen gewohnt
sind, jene unmittelbare vertrauliche Stellung der Antike im täglichen Leben
auf, der man in den meisten Fällen mit einem Tadel unrecht thun würde.
Zwischen der Volkssitte, alte Münzen zu durchbohren und als Amulette am
Halse zu tragen, und der künstlerischen Verwendung der Antike zur Decoration
in Wohnhäusern und Gärten, wie sie uns am lehrreichsten und geschmack¬
vollsten in der Villa Albani entgegentritt, liegen zwar zahlreiche Fälle von
verschiedenem Werth; aber alle haben das eine Gute gemein, daß sie dem
gleichsam wieder erstandenen Kunstwerk ein zweites Leben sichern. Denn wir
besitzen ja nur was wir gebrauchen, und das Kunstwerk, auch das antike, ist
nicht da, um blos erhalten zu werden, sondern um zu wirken.

Bei keiner Classe antiker Denkmäler tritt uns ihre Verwendung zu stehen¬
dem Gebrauch mannigfaltiger entgegen als bei römischen Sarkophagen. Vor
allem hat sich ihrer die Kirche schon in frühen Zeiten mit einer nicht immer
verständlichen Unbefangenheit bemächtigt. Nicht nur daß sie in Capellen und


Grenzboten I. 1869. 31
Die römischen Sarkophage.

Unter den mannigfaltigen Wahrnehmungen, welche sich dem nordischen
Reisenden aufdrängen, wenn er in den classischen Ländern mit empfänglichen
Sinn dem Studium der Antike nachgeht, steht neben der natürlichen Be¬
wunderung ihres unübersehbaren Reichthums oft ein billiges Erstaunen über
die naive Weise, wie man allenthalben mit dem mühelos erworbenen Besitz
antiker Kunstschätze zu schalten sich erlaubt. Ich rede nicht von der Theil-
nahmlosigkeit, welche oft das Beste verwahrlost, statt ihm ersprießliche Ver¬
wendung zu geben; von dem knabenhaften Zerstörungsdrang, dem aller-
wärts fast bei jedem neuen Funde beklagenswerthe Opfer fallen; von dem
Aberglauben, welcher selten bei der bloßen Scheu vor dem Unverstandenen
stehen bleibt und nicht immer so langsam zerstört wie in Orchomenos, wo
man eine schöne Grabstele stückweise zu Pulver stößt, um dasselbe als Arznei¬
mittel gegen das Fieber einzunehmen. Aehnliche Züge wiederholen sich überall,
wo im Volke die Unwissenheit die Oberhand hat. Mehr aber fällt uns,
die wir Kunstwerke kaum anders als Feiertags in Museen zu sehen gewohnt
sind, jene unmittelbare vertrauliche Stellung der Antike im täglichen Leben
auf, der man in den meisten Fällen mit einem Tadel unrecht thun würde.
Zwischen der Volkssitte, alte Münzen zu durchbohren und als Amulette am
Halse zu tragen, und der künstlerischen Verwendung der Antike zur Decoration
in Wohnhäusern und Gärten, wie sie uns am lehrreichsten und geschmack¬
vollsten in der Villa Albani entgegentritt, liegen zwar zahlreiche Fälle von
verschiedenem Werth; aber alle haben das eine Gute gemein, daß sie dem
gleichsam wieder erstandenen Kunstwerk ein zweites Leben sichern. Denn wir
besitzen ja nur was wir gebrauchen, und das Kunstwerk, auch das antike, ist
nicht da, um blos erhalten zu werden, sondern um zu wirken.

Bei keiner Classe antiker Denkmäler tritt uns ihre Verwendung zu stehen¬
dem Gebrauch mannigfaltiger entgegen als bei römischen Sarkophagen. Vor
allem hat sich ihrer die Kirche schon in frühen Zeiten mit einer nicht immer
verständlichen Unbefangenheit bemächtigt. Nicht nur daß sie in Capellen und


Grenzboten I. 1869. 31
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[0253] Die römischen Sarkophage. Unter den mannigfaltigen Wahrnehmungen, welche sich dem nordischen Reisenden aufdrängen, wenn er in den classischen Ländern mit empfänglichen Sinn dem Studium der Antike nachgeht, steht neben der natürlichen Be¬ wunderung ihres unübersehbaren Reichthums oft ein billiges Erstaunen über die naive Weise, wie man allenthalben mit dem mühelos erworbenen Besitz antiker Kunstschätze zu schalten sich erlaubt. Ich rede nicht von der Theil- nahmlosigkeit, welche oft das Beste verwahrlost, statt ihm ersprießliche Ver¬ wendung zu geben; von dem knabenhaften Zerstörungsdrang, dem aller- wärts fast bei jedem neuen Funde beklagenswerthe Opfer fallen; von dem Aberglauben, welcher selten bei der bloßen Scheu vor dem Unverstandenen stehen bleibt und nicht immer so langsam zerstört wie in Orchomenos, wo man eine schöne Grabstele stückweise zu Pulver stößt, um dasselbe als Arznei¬ mittel gegen das Fieber einzunehmen. Aehnliche Züge wiederholen sich überall, wo im Volke die Unwissenheit die Oberhand hat. Mehr aber fällt uns, die wir Kunstwerke kaum anders als Feiertags in Museen zu sehen gewohnt sind, jene unmittelbare vertrauliche Stellung der Antike im täglichen Leben auf, der man in den meisten Fällen mit einem Tadel unrecht thun würde. Zwischen der Volkssitte, alte Münzen zu durchbohren und als Amulette am Halse zu tragen, und der künstlerischen Verwendung der Antike zur Decoration in Wohnhäusern und Gärten, wie sie uns am lehrreichsten und geschmack¬ vollsten in der Villa Albani entgegentritt, liegen zwar zahlreiche Fälle von verschiedenem Werth; aber alle haben das eine Gute gemein, daß sie dem gleichsam wieder erstandenen Kunstwerk ein zweites Leben sichern. Denn wir besitzen ja nur was wir gebrauchen, und das Kunstwerk, auch das antike, ist nicht da, um blos erhalten zu werden, sondern um zu wirken. Bei keiner Classe antiker Denkmäler tritt uns ihre Verwendung zu stehen¬ dem Gebrauch mannigfaltiger entgegen als bei römischen Sarkophagen. Vor allem hat sich ihrer die Kirche schon in frühen Zeiten mit einer nicht immer verständlichen Unbefangenheit bemächtigt. Nicht nur daß sie in Capellen und Grenzboten I. 1869. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/253>, abgerufen am 28.09.2024.