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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Eines Tages erfuhr der preußische Fähnrich (der trotz seiner Bewunderung
für Napoleons militärische Größe das über sein Vaterland hereingebrochene
Weh seiner ganzen Schwere nach empfand), daß seine Heimath dem neu-
gebildeten Herzogthum Warschau einverleibt, die Lage der deutschen Be¬
wohner derselben eine außerordentlich schwierige geworden sei und daß die¬
selben allerlei Verfolgungen erdulden mußten, welche bereits zu zahlreichen
Auswanderungen unabhängiger Leute geführt hätten. Gegen die in den
Preußisch gebliebenen Provinzen lebenden Landeskinder wurde sofort das M
eevaeuationitj angewendet und Brandt mußte auf den dringenden Wunsch seines
Vaters sofort die königliche Armee verlassen, um, wie es in seinem Abschieds¬
zeugniß hieß, "sich nicht dem Dienst seines neuen Landesherrn (des Königs
von Sachsen) zu entziehen."

Er kehrt nach kurzem Aufenthalt in Warschau zunächst in die Heimath
zurück. "Aber wie fand ich hier Alles verändert! Die alte Verwaltung auf¬
gehoben, die neue noch nicht organisirt. Der frühere Wohlstand war ver-
nichtet, die Lasten des Krieges hatten die Gegend ausgesogen; kurz es war
ein Zustand, wie er nur nach einem solchen politischen Umschwung eintreten
konnte!"

Der nächste Abschnitt unseres Buchs hat es nicht mit den Einzelheiten
dieses Umschwungs, sondern mit den merkwürdigen Schicksalen des Verfassers
zu thun, der nach vergeblichen Versuchen, von Blücher oder Schill verwendet
zu werden, in die I6gion polaeeo-italiennö (später Ivgion as 1a Vistulö) treten
und fast vier Jahre lang unter dem bekannten Chlopicki gegen die Spanier
fechten mußte. Mit dem Detail dieser höchst interessanten Kriegsgeschichte,
die mit der Belagerung von Saragossa beginnt und der Gefangennehmung
des Generalcapitän Blake schließt, wird der Leser sich am besten bekannt
machen, wenn er das Buch selbst zur Hand nimmt. Für den Gesichtspunkt,
unter welchem wir dasselbe zunächst betrachten, ist die Heimkehr des Com-
battanten der französisch.spanischen Guerillakriege in seine vaterländische Pro¬
vinz von besonderer Wichtigkeit. -- "Du hast bessere Tage hier gekannt, mein
Sohn. Du kommst in das Haus eines Bettlers" -- das sind die Worte, mit
denen der Vater den jungen Officier im Herbst 1812 aus dessen Durchmarsch
nach Nußland begrüßt. Und das Geschick des einzelnen Gutsbesitzers der ver¬
lorenen und polnisch-französisch'sächsischen Einflüssen preisgegebenen Provinz
ist das der gesammten Landschaft. Verbunden mit den Nachwehen des Krieges
hatten die fünf Jahre der Fremdherrschaft dazu geführt, den größten Theil
der Bevölkerung bankerott zu machen. "Aller Handel und Wandel lag dar¬
nieder, der Ackerbau war im kläglichsten Zustande, die Getreidepreise tief ge-
sunken und reichten seit Jahren kaum hin, die Productionskosten zu decken.
Der Ueberschuß, welchen man gewonnen, wanderte nicht auf die Märkte,


Eines Tages erfuhr der preußische Fähnrich (der trotz seiner Bewunderung
für Napoleons militärische Größe das über sein Vaterland hereingebrochene
Weh seiner ganzen Schwere nach empfand), daß seine Heimath dem neu-
gebildeten Herzogthum Warschau einverleibt, die Lage der deutschen Be¬
wohner derselben eine außerordentlich schwierige geworden sei und daß die¬
selben allerlei Verfolgungen erdulden mußten, welche bereits zu zahlreichen
Auswanderungen unabhängiger Leute geführt hätten. Gegen die in den
Preußisch gebliebenen Provinzen lebenden Landeskinder wurde sofort das M
eevaeuationitj angewendet und Brandt mußte auf den dringenden Wunsch seines
Vaters sofort die königliche Armee verlassen, um, wie es in seinem Abschieds¬
zeugniß hieß, „sich nicht dem Dienst seines neuen Landesherrn (des Königs
von Sachsen) zu entziehen."

Er kehrt nach kurzem Aufenthalt in Warschau zunächst in die Heimath
zurück. „Aber wie fand ich hier Alles verändert! Die alte Verwaltung auf¬
gehoben, die neue noch nicht organisirt. Der frühere Wohlstand war ver-
nichtet, die Lasten des Krieges hatten die Gegend ausgesogen; kurz es war
ein Zustand, wie er nur nach einem solchen politischen Umschwung eintreten
konnte!"

Der nächste Abschnitt unseres Buchs hat es nicht mit den Einzelheiten
dieses Umschwungs, sondern mit den merkwürdigen Schicksalen des Verfassers
zu thun, der nach vergeblichen Versuchen, von Blücher oder Schill verwendet
zu werden, in die I6gion polaeeo-italiennö (später Ivgion as 1a Vistulö) treten
und fast vier Jahre lang unter dem bekannten Chlopicki gegen die Spanier
fechten mußte. Mit dem Detail dieser höchst interessanten Kriegsgeschichte,
die mit der Belagerung von Saragossa beginnt und der Gefangennehmung
des Generalcapitän Blake schließt, wird der Leser sich am besten bekannt
machen, wenn er das Buch selbst zur Hand nimmt. Für den Gesichtspunkt,
unter welchem wir dasselbe zunächst betrachten, ist die Heimkehr des Com-
battanten der französisch.spanischen Guerillakriege in seine vaterländische Pro¬
vinz von besonderer Wichtigkeit. — „Du hast bessere Tage hier gekannt, mein
Sohn. Du kommst in das Haus eines Bettlers" — das sind die Worte, mit
denen der Vater den jungen Officier im Herbst 1812 aus dessen Durchmarsch
nach Nußland begrüßt. Und das Geschick des einzelnen Gutsbesitzers der ver¬
lorenen und polnisch-französisch'sächsischen Einflüssen preisgegebenen Provinz
ist das der gesammten Landschaft. Verbunden mit den Nachwehen des Krieges
hatten die fünf Jahre der Fremdherrschaft dazu geführt, den größten Theil
der Bevölkerung bankerott zu machen. „Aller Handel und Wandel lag dar¬
nieder, der Ackerbau war im kläglichsten Zustande, die Getreidepreise tief ge-
sunken und reichten seit Jahren kaum hin, die Productionskosten zu decken.
Der Ueberschuß, welchen man gewonnen, wanderte nicht auf die Märkte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/244>, abgerufen am 20.10.2024.