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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Feindschaft polnischer Nachbaren erhalten hatten, wird uns leider nicht gesagt,
-- daß in seinem Hause an deutscher Sitte und Bildung festgehalten wurde,
erräth sich aber aus den Andeutungen, welche der Sohn über die eigene
Jugendgeschichte macht. Nach dem ersten Unterricht im elterlichen Hause, be¬
ziehen die Söhne des Gutsbesitzers Brandt das Lyceum, später die altstädtische
Schule zu Königsberg "in der Neumark, wo zur Zeit viele junge Menschen
aus West" und Südpreußen ihre Erziehung erhielten", und der Director
Hamann, ein Sohn des "Magus", in wohlthätiger und anregender Weise
wirkt. Der Zuschnitt dieser Anstalten ist noch der des Franke'schen Waisen¬
hauses zu Halle, wo fast sämmtliche Lehrer Königsbergs ihren Unterricht
genossen haben, aber der Geist des philosophischen Jahrhunderts macht seine
Wirkungen schon auf den jungen Primaner der altstädtischen Schule geltend:
das merkwürdigste Ereigniß seiner Schulzeit ist die Beerdigung Kant's, dem
die Schüler der Prima das letzte Geleit mitgeben. "Wo der kleine, mit
rothem Sammet verzierte und mit Silber beschlagene Sarg vorüberkam, von
Marschällen und Chargen der akademischen Jugend umgeben, zogen die Leute
die Hüte ab, es herrschte eine Todtenstille und Alles behielt die feierliche
Haltung, bis er in das Gewölbe versenkt ward." "Ich habe später", fährt
Brandt's Bericht fort, "dem Begräbniß von Königen, Fürsten und berühmten
Gelehrten beigewohnt, aber eine Haltung dieser Art habe ich bei der Menge
nie wieder gefunden."

Daß die preußischen Traditionen trotz ihrer Neuzeit in das Fleisch und
Blut des jungen Westpreußen übergegangen waren, und daß derselbe die
Lehre vom kategorischen Imperativ, trotz des mangelhaften Collegienvesuchs.
dessen er sich anklagt, richtig verstanden hatte, bewies Heinrich v. Brandt,
schon bald nachdem er Student der königsberger Universität geworden war.
Als die Nachricht von der Katastrophe von Jena eintraf, das Unglück des
Vaterlandes auch in den Studentenkreisen mit leidenschaftlicher Erregung dis-
cutirt wurde, die meisten Studenten aus den neuen Ostprovinzen sich nicht
mehr als Neupreußen, sondern als Polen und Lithauer zu fühlen begannen,
schließt Brandt sich den patriotischen altpreußischen Studenten an; kaum ist
die Bekanntmachung darüber veröffentlicht worden, daß jungen Leuten von
Bildung der Eintritt in die provisorischen Bataillone gestattet sei, so tritt er
als Fähnrich in das zweite westpreußische Bataillon, das von einem polnischen
Premierlieutenant, trotz jämmerlicher Verpflegung, Schmutz und schlechten
Quartiers, binnen wenigen Wochen vollständig ausgebildet wurde.

Aber noch bevor die Kriegstüchtigkeit dieser jungen Truppen geprüft
werden konnte, folgten der unglücklichen Schlacht von Jena die schweren
Schläge von Friedland und Eylau, und jener tilsiter Friede, der das unglück¬
liche Preußen für ein halbes Decennium dem erbarmungslosen Sieger preisgab.


Feindschaft polnischer Nachbaren erhalten hatten, wird uns leider nicht gesagt,
— daß in seinem Hause an deutscher Sitte und Bildung festgehalten wurde,
erräth sich aber aus den Andeutungen, welche der Sohn über die eigene
Jugendgeschichte macht. Nach dem ersten Unterricht im elterlichen Hause, be¬
ziehen die Söhne des Gutsbesitzers Brandt das Lyceum, später die altstädtische
Schule zu Königsberg „in der Neumark, wo zur Zeit viele junge Menschen
aus West« und Südpreußen ihre Erziehung erhielten", und der Director
Hamann, ein Sohn des „Magus", in wohlthätiger und anregender Weise
wirkt. Der Zuschnitt dieser Anstalten ist noch der des Franke'schen Waisen¬
hauses zu Halle, wo fast sämmtliche Lehrer Königsbergs ihren Unterricht
genossen haben, aber der Geist des philosophischen Jahrhunderts macht seine
Wirkungen schon auf den jungen Primaner der altstädtischen Schule geltend:
das merkwürdigste Ereigniß seiner Schulzeit ist die Beerdigung Kant's, dem
die Schüler der Prima das letzte Geleit mitgeben. „Wo der kleine, mit
rothem Sammet verzierte und mit Silber beschlagene Sarg vorüberkam, von
Marschällen und Chargen der akademischen Jugend umgeben, zogen die Leute
die Hüte ab, es herrschte eine Todtenstille und Alles behielt die feierliche
Haltung, bis er in das Gewölbe versenkt ward." „Ich habe später", fährt
Brandt's Bericht fort, „dem Begräbniß von Königen, Fürsten und berühmten
Gelehrten beigewohnt, aber eine Haltung dieser Art habe ich bei der Menge
nie wieder gefunden."

Daß die preußischen Traditionen trotz ihrer Neuzeit in das Fleisch und
Blut des jungen Westpreußen übergegangen waren, und daß derselbe die
Lehre vom kategorischen Imperativ, trotz des mangelhaften Collegienvesuchs.
dessen er sich anklagt, richtig verstanden hatte, bewies Heinrich v. Brandt,
schon bald nachdem er Student der königsberger Universität geworden war.
Als die Nachricht von der Katastrophe von Jena eintraf, das Unglück des
Vaterlandes auch in den Studentenkreisen mit leidenschaftlicher Erregung dis-
cutirt wurde, die meisten Studenten aus den neuen Ostprovinzen sich nicht
mehr als Neupreußen, sondern als Polen und Lithauer zu fühlen begannen,
schließt Brandt sich den patriotischen altpreußischen Studenten an; kaum ist
die Bekanntmachung darüber veröffentlicht worden, daß jungen Leuten von
Bildung der Eintritt in die provisorischen Bataillone gestattet sei, so tritt er
als Fähnrich in das zweite westpreußische Bataillon, das von einem polnischen
Premierlieutenant, trotz jämmerlicher Verpflegung, Schmutz und schlechten
Quartiers, binnen wenigen Wochen vollständig ausgebildet wurde.

Aber noch bevor die Kriegstüchtigkeit dieser jungen Truppen geprüft
werden konnte, folgten der unglücklichen Schlacht von Jena die schweren
Schläge von Friedland und Eylau, und jener tilsiter Friede, der das unglück¬
liche Preußen für ein halbes Decennium dem erbarmungslosen Sieger preisgab.


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[0243] Feindschaft polnischer Nachbaren erhalten hatten, wird uns leider nicht gesagt, — daß in seinem Hause an deutscher Sitte und Bildung festgehalten wurde, erräth sich aber aus den Andeutungen, welche der Sohn über die eigene Jugendgeschichte macht. Nach dem ersten Unterricht im elterlichen Hause, be¬ ziehen die Söhne des Gutsbesitzers Brandt das Lyceum, später die altstädtische Schule zu Königsberg „in der Neumark, wo zur Zeit viele junge Menschen aus West« und Südpreußen ihre Erziehung erhielten", und der Director Hamann, ein Sohn des „Magus", in wohlthätiger und anregender Weise wirkt. Der Zuschnitt dieser Anstalten ist noch der des Franke'schen Waisen¬ hauses zu Halle, wo fast sämmtliche Lehrer Königsbergs ihren Unterricht genossen haben, aber der Geist des philosophischen Jahrhunderts macht seine Wirkungen schon auf den jungen Primaner der altstädtischen Schule geltend: das merkwürdigste Ereigniß seiner Schulzeit ist die Beerdigung Kant's, dem die Schüler der Prima das letzte Geleit mitgeben. „Wo der kleine, mit rothem Sammet verzierte und mit Silber beschlagene Sarg vorüberkam, von Marschällen und Chargen der akademischen Jugend umgeben, zogen die Leute die Hüte ab, es herrschte eine Todtenstille und Alles behielt die feierliche Haltung, bis er in das Gewölbe versenkt ward." „Ich habe später", fährt Brandt's Bericht fort, „dem Begräbniß von Königen, Fürsten und berühmten Gelehrten beigewohnt, aber eine Haltung dieser Art habe ich bei der Menge nie wieder gefunden." Daß die preußischen Traditionen trotz ihrer Neuzeit in das Fleisch und Blut des jungen Westpreußen übergegangen waren, und daß derselbe die Lehre vom kategorischen Imperativ, trotz des mangelhaften Collegienvesuchs. dessen er sich anklagt, richtig verstanden hatte, bewies Heinrich v. Brandt, schon bald nachdem er Student der königsberger Universität geworden war. Als die Nachricht von der Katastrophe von Jena eintraf, das Unglück des Vaterlandes auch in den Studentenkreisen mit leidenschaftlicher Erregung dis- cutirt wurde, die meisten Studenten aus den neuen Ostprovinzen sich nicht mehr als Neupreußen, sondern als Polen und Lithauer zu fühlen begannen, schließt Brandt sich den patriotischen altpreußischen Studenten an; kaum ist die Bekanntmachung darüber veröffentlicht worden, daß jungen Leuten von Bildung der Eintritt in die provisorischen Bataillone gestattet sei, so tritt er als Fähnrich in das zweite westpreußische Bataillon, das von einem polnischen Premierlieutenant, trotz jämmerlicher Verpflegung, Schmutz und schlechten Quartiers, binnen wenigen Wochen vollständig ausgebildet wurde. Aber noch bevor die Kriegstüchtigkeit dieser jungen Truppen geprüft werden konnte, folgten der unglücklichen Schlacht von Jena die schweren Schläge von Friedland und Eylau, und jener tilsiter Friede, der das unglück¬ liche Preußen für ein halbes Decennium dem erbarmungslosen Sieger preisgab.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/243>, abgerufen am 28.09.2024.