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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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licher Angst befand. Das Volk war von dem Vorgefallenen schon früher
unterrichtet gewesen, der Name Pugatschew war auf dem Markt von Zaryzin
bekannt gewesen, ehe er in der Commandantur auch nur genannt worden. Die
erste Kunde hatte ein Weib gebracht und das Volk staunend aus dem Munde
desselben vernommen. Kaiser Peter sei plötzlich erschienen, um an der Spitze
seines Volks das Joch seiner Feinde, der Beamten und Edelleute, zu brechen.
Trotzdem, daß diese Gegend wenige Jahre zuvor der Schauplatz eines Auf¬
standes gewesen war, die Unzufriedenheit des Landvolks, die Aufregung der
Kosaken und Sectirer Niemand unbekannt sein konnte, sehlte es so voll¬
ständig an Truppen, daß Befehl ertheilt wurde, die Gutsbesitzer sollten sich
mit ihren Leuten waffnen, um die schwachen Garnisonscommandos zu unter¬
stützen.

Aber das gesammte niedere Volk stand zu dem nationalen Pseudokaiser,
nachdem es nur den Namen desselben vernommen; die Kosaken, auf welche
man hauptsächlich angewiesen war, zeigten sich als seine nächsten Verbün¬
deten; in den Landestheilen östlich von der Wolga, dem ersten Schauplatz
des Aufstandes, eilten die von den Beamten mißhandelten Kirgisen sofort
unter die Fahnen der Rebellion. Altgläubige Sendboten wußten das auf¬
geregte Volk auf das Erscheinen Peters III. vorzubereiten, an manchen Orten
brach der Aufstand aus, noch bevor die weiße Fahne mit dem altgläubigen
Kreuz, welche dem neuen Herrscher vorhergetragen wurde, sichtbar geworden
war. Die Partei "des Kaisers" war allenthalben populärer als die der
Kaiserin. Einzelne Scenen dieser Art werden uns geschildert. -- Mehrere Tage
bevor Pugatschew vor Saratow erschien, ruft ein zerlumpter Knecht Lasar
plötzlich auf offenem Markt mit lauter Stimme: "Den Herren und den Be¬
amten brauchen wir nicht mehr zu gehorchen."

"Was heißt das?" herrscht ein vorübergehender Edelmann Unshenzow
den Schreier an.

"Gott allein wird unser Herr bleiben und darauf werden wir nächstens
den Eid leisten."

"Alle russischen Unterthanen haben der großen Kaiserin Katharina den
Eid der Treue geleistet."

"Dieser Eid gilt nichts mehr", gibt der zerlumpte Knecht mit frecher
Miene zur Antwort.

"Hallunke, Du redest eine verbrecherische Sprache", ruft der erschreckte
Gutsbesitzer aus.

"Gestern war das Verbrechen, heute ist es Wahrheit und Recht. Wir
russischen Leute sind durch einen Betrug und mit Uevergehung des wahren
Herrschers in Eid und Pflicht genommen."

Die Wechselrede hat eine Menge müßigen Volks versammelt, ramene-


licher Angst befand. Das Volk war von dem Vorgefallenen schon früher
unterrichtet gewesen, der Name Pugatschew war auf dem Markt von Zaryzin
bekannt gewesen, ehe er in der Commandantur auch nur genannt worden. Die
erste Kunde hatte ein Weib gebracht und das Volk staunend aus dem Munde
desselben vernommen. Kaiser Peter sei plötzlich erschienen, um an der Spitze
seines Volks das Joch seiner Feinde, der Beamten und Edelleute, zu brechen.
Trotzdem, daß diese Gegend wenige Jahre zuvor der Schauplatz eines Auf¬
standes gewesen war, die Unzufriedenheit des Landvolks, die Aufregung der
Kosaken und Sectirer Niemand unbekannt sein konnte, sehlte es so voll¬
ständig an Truppen, daß Befehl ertheilt wurde, die Gutsbesitzer sollten sich
mit ihren Leuten waffnen, um die schwachen Garnisonscommandos zu unter¬
stützen.

Aber das gesammte niedere Volk stand zu dem nationalen Pseudokaiser,
nachdem es nur den Namen desselben vernommen; die Kosaken, auf welche
man hauptsächlich angewiesen war, zeigten sich als seine nächsten Verbün¬
deten; in den Landestheilen östlich von der Wolga, dem ersten Schauplatz
des Aufstandes, eilten die von den Beamten mißhandelten Kirgisen sofort
unter die Fahnen der Rebellion. Altgläubige Sendboten wußten das auf¬
geregte Volk auf das Erscheinen Peters III. vorzubereiten, an manchen Orten
brach der Aufstand aus, noch bevor die weiße Fahne mit dem altgläubigen
Kreuz, welche dem neuen Herrscher vorhergetragen wurde, sichtbar geworden
war. Die Partei „des Kaisers" war allenthalben populärer als die der
Kaiserin. Einzelne Scenen dieser Art werden uns geschildert. — Mehrere Tage
bevor Pugatschew vor Saratow erschien, ruft ein zerlumpter Knecht Lasar
plötzlich auf offenem Markt mit lauter Stimme: „Den Herren und den Be¬
amten brauchen wir nicht mehr zu gehorchen."

„Was heißt das?" herrscht ein vorübergehender Edelmann Unshenzow
den Schreier an.

„Gott allein wird unser Herr bleiben und darauf werden wir nächstens
den Eid leisten."

„Alle russischen Unterthanen haben der großen Kaiserin Katharina den
Eid der Treue geleistet."

„Dieser Eid gilt nichts mehr", gibt der zerlumpte Knecht mit frecher
Miene zur Antwort.

„Hallunke, Du redest eine verbrecherische Sprache", ruft der erschreckte
Gutsbesitzer aus.

„Gestern war das Verbrechen, heute ist es Wahrheit und Recht. Wir
russischen Leute sind durch einen Betrug und mit Uevergehung des wahren
Herrschers in Eid und Pflicht genommen."

Die Wechselrede hat eine Menge müßigen Volks versammelt, ramene-


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[0233] licher Angst befand. Das Volk war von dem Vorgefallenen schon früher unterrichtet gewesen, der Name Pugatschew war auf dem Markt von Zaryzin bekannt gewesen, ehe er in der Commandantur auch nur genannt worden. Die erste Kunde hatte ein Weib gebracht und das Volk staunend aus dem Munde desselben vernommen. Kaiser Peter sei plötzlich erschienen, um an der Spitze seines Volks das Joch seiner Feinde, der Beamten und Edelleute, zu brechen. Trotzdem, daß diese Gegend wenige Jahre zuvor der Schauplatz eines Auf¬ standes gewesen war, die Unzufriedenheit des Landvolks, die Aufregung der Kosaken und Sectirer Niemand unbekannt sein konnte, sehlte es so voll¬ ständig an Truppen, daß Befehl ertheilt wurde, die Gutsbesitzer sollten sich mit ihren Leuten waffnen, um die schwachen Garnisonscommandos zu unter¬ stützen. Aber das gesammte niedere Volk stand zu dem nationalen Pseudokaiser, nachdem es nur den Namen desselben vernommen; die Kosaken, auf welche man hauptsächlich angewiesen war, zeigten sich als seine nächsten Verbün¬ deten; in den Landestheilen östlich von der Wolga, dem ersten Schauplatz des Aufstandes, eilten die von den Beamten mißhandelten Kirgisen sofort unter die Fahnen der Rebellion. Altgläubige Sendboten wußten das auf¬ geregte Volk auf das Erscheinen Peters III. vorzubereiten, an manchen Orten brach der Aufstand aus, noch bevor die weiße Fahne mit dem altgläubigen Kreuz, welche dem neuen Herrscher vorhergetragen wurde, sichtbar geworden war. Die Partei „des Kaisers" war allenthalben populärer als die der Kaiserin. Einzelne Scenen dieser Art werden uns geschildert. — Mehrere Tage bevor Pugatschew vor Saratow erschien, ruft ein zerlumpter Knecht Lasar plötzlich auf offenem Markt mit lauter Stimme: „Den Herren und den Be¬ amten brauchen wir nicht mehr zu gehorchen." „Was heißt das?" herrscht ein vorübergehender Edelmann Unshenzow den Schreier an. „Gott allein wird unser Herr bleiben und darauf werden wir nächstens den Eid leisten." „Alle russischen Unterthanen haben der großen Kaiserin Katharina den Eid der Treue geleistet." „Dieser Eid gilt nichts mehr", gibt der zerlumpte Knecht mit frecher Miene zur Antwort. „Hallunke, Du redest eine verbrecherische Sprache", ruft der erschreckte Gutsbesitzer aus. „Gestern war das Verbrechen, heute ist es Wahrheit und Recht. Wir russischen Leute sind durch einen Betrug und mit Uevergehung des wahren Herrschers in Eid und Pflicht genommen." Die Wechselrede hat eine Menge müßigen Volks versammelt, ramene-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/233>, abgerufen am 28.09.2024.