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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Nachsteuerbeträge in eine ungewisse Zukunft zu verschieben, lenkten sie rasch
ein und erklärten sich mit allen Regierungsvorschlägen einverstanden. Die.
Regierung hatte außerdem noch die Einleitung einer neuen Verhand¬
lung mit dem Bundesrath des Zollvereins in Aussicht gestellt, wobei je¬
doch zur Vermeidung von Mißverständnissen bemerkt wurde, daß damit selbst¬
verständlich nicht beabsichtigt werde, das ganze Abkommen vom 23. Juli
1868 zum Gegenstande erneuerter Verhandlungen zu machen, sondern daß sich
dieselben wesentlich auf die Einwirkung größerer Freiheit bei der Leistung von
Entschädigungen und auf die Herabsetzung einiger Tarifpositionen zu be¬
schränken haben würden.

Als ein weiterer Gegenstand finanzieller Natur, welcher den Landtag
beschäftigte, mag noch kurz eine Forderung des Großherzogs von 200.000 Thlr.
als Beihilfe zu dem von ihm übernommenen Bau einer Verbindungsbahn
zwischen der mecklenburgischen Eisenbahn und Lübeck erwähnt werden. Die
Beihilfe sollte, wie bei der Fnedrich-Franz-Bahn, zu welcher die Stände
einen Zuschuß von 800,000 Thlr. bewilligten, wieder die Form eines reinen
Geschenks haben, ohne Anspruch auf Dividende und Amortisation. Der
Unterschied war nur der, daß damals die Forderung noch vor Beginn des
Baues gemacht wurde, das Zustandekommen daher von der Bewilligung ab¬
hängen konnte, während der Bau der Bahn auf Lübeck längst begonnen
und seiner Vollendung bereits nahe ist. Die Stände lehnten diesmal die
Gewährung der Beihilfe ab, und beschlossen, die bedrängte und ungewisse
Lage der finanziellen Verhältnisse des Landes als Grund der Ablehnung auf¬
zuführen. Vielleicht wirkte bei der Ablehnung auch der Gedanke mit, daß,
wer allein die Früchte eines Unternehmens ernten wolle, auch allein die
Kosten tragen könne, und daß es überhaupt seine Bedenken haben möge,
wenn der Landesfürst seine Capitalien in großartigen Eisenbahnunterneh¬
mungen anlege, welche der ständischen Controle gänzlich entzogen sind und
noch außerdem durch den beabsichtigten Ankauf der mecklenburgischen Eisenbahn
für Rechnung der landesherrlichen Casse einen weiteren Umfang zugewinnen
streben. Die Regierung schöpfte aus dem Ablehnungsgrunde den Anlaß, eine
Erneuerung ihres Antrages zu gelegenerer Zeit in Aussicht zu stellen.

Eine Vorlage wegen einer Reform der Armengesetzgebung, welche sich
gleichfalls auf gewisse Grundzüge beschränkte, gelangte in der Hauptsache,
nämlich in Betreff der beabsichtigten Bildung von Armenverbänden, wegen
des Widerstrebens der Ritterschaft nicht zur Annahme. Dagegen kam es zur
Einigung wegen einer neuen Regelung des Schulwesens im Ritterschaftlichen
und in den städtischen Gütern. Die neue Ordnung, obgleich sie in einigen
Punkten Anerkennung verdient und einen Fortschritt von dem bisherigen Zu-
stände bezeichnet, läßt aber das Schulpatronat der Rittergutsbesitzer bestehen


Grenzboten I. 18KS, 28

Nachsteuerbeträge in eine ungewisse Zukunft zu verschieben, lenkten sie rasch
ein und erklärten sich mit allen Regierungsvorschlägen einverstanden. Die.
Regierung hatte außerdem noch die Einleitung einer neuen Verhand¬
lung mit dem Bundesrath des Zollvereins in Aussicht gestellt, wobei je¬
doch zur Vermeidung von Mißverständnissen bemerkt wurde, daß damit selbst¬
verständlich nicht beabsichtigt werde, das ganze Abkommen vom 23. Juli
1868 zum Gegenstande erneuerter Verhandlungen zu machen, sondern daß sich
dieselben wesentlich auf die Einwirkung größerer Freiheit bei der Leistung von
Entschädigungen und auf die Herabsetzung einiger Tarifpositionen zu be¬
schränken haben würden.

Als ein weiterer Gegenstand finanzieller Natur, welcher den Landtag
beschäftigte, mag noch kurz eine Forderung des Großherzogs von 200.000 Thlr.
als Beihilfe zu dem von ihm übernommenen Bau einer Verbindungsbahn
zwischen der mecklenburgischen Eisenbahn und Lübeck erwähnt werden. Die
Beihilfe sollte, wie bei der Fnedrich-Franz-Bahn, zu welcher die Stände
einen Zuschuß von 800,000 Thlr. bewilligten, wieder die Form eines reinen
Geschenks haben, ohne Anspruch auf Dividende und Amortisation. Der
Unterschied war nur der, daß damals die Forderung noch vor Beginn des
Baues gemacht wurde, das Zustandekommen daher von der Bewilligung ab¬
hängen konnte, während der Bau der Bahn auf Lübeck längst begonnen
und seiner Vollendung bereits nahe ist. Die Stände lehnten diesmal die
Gewährung der Beihilfe ab, und beschlossen, die bedrängte und ungewisse
Lage der finanziellen Verhältnisse des Landes als Grund der Ablehnung auf¬
zuführen. Vielleicht wirkte bei der Ablehnung auch der Gedanke mit, daß,
wer allein die Früchte eines Unternehmens ernten wolle, auch allein die
Kosten tragen könne, und daß es überhaupt seine Bedenken haben möge,
wenn der Landesfürst seine Capitalien in großartigen Eisenbahnunterneh¬
mungen anlege, welche der ständischen Controle gänzlich entzogen sind und
noch außerdem durch den beabsichtigten Ankauf der mecklenburgischen Eisenbahn
für Rechnung der landesherrlichen Casse einen weiteren Umfang zugewinnen
streben. Die Regierung schöpfte aus dem Ablehnungsgrunde den Anlaß, eine
Erneuerung ihres Antrages zu gelegenerer Zeit in Aussicht zu stellen.

Eine Vorlage wegen einer Reform der Armengesetzgebung, welche sich
gleichfalls auf gewisse Grundzüge beschränkte, gelangte in der Hauptsache,
nämlich in Betreff der beabsichtigten Bildung von Armenverbänden, wegen
des Widerstrebens der Ritterschaft nicht zur Annahme. Dagegen kam es zur
Einigung wegen einer neuen Regelung des Schulwesens im Ritterschaftlichen
und in den städtischen Gütern. Die neue Ordnung, obgleich sie in einigen
Punkten Anerkennung verdient und einen Fortschritt von dem bisherigen Zu-
stände bezeichnet, läßt aber das Schulpatronat der Rittergutsbesitzer bestehen


Grenzboten I. 18KS, 28
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[0229] Nachsteuerbeträge in eine ungewisse Zukunft zu verschieben, lenkten sie rasch ein und erklärten sich mit allen Regierungsvorschlägen einverstanden. Die. Regierung hatte außerdem noch die Einleitung einer neuen Verhand¬ lung mit dem Bundesrath des Zollvereins in Aussicht gestellt, wobei je¬ doch zur Vermeidung von Mißverständnissen bemerkt wurde, daß damit selbst¬ verständlich nicht beabsichtigt werde, das ganze Abkommen vom 23. Juli 1868 zum Gegenstande erneuerter Verhandlungen zu machen, sondern daß sich dieselben wesentlich auf die Einwirkung größerer Freiheit bei der Leistung von Entschädigungen und auf die Herabsetzung einiger Tarifpositionen zu be¬ schränken haben würden. Als ein weiterer Gegenstand finanzieller Natur, welcher den Landtag beschäftigte, mag noch kurz eine Forderung des Großherzogs von 200.000 Thlr. als Beihilfe zu dem von ihm übernommenen Bau einer Verbindungsbahn zwischen der mecklenburgischen Eisenbahn und Lübeck erwähnt werden. Die Beihilfe sollte, wie bei der Fnedrich-Franz-Bahn, zu welcher die Stände einen Zuschuß von 800,000 Thlr. bewilligten, wieder die Form eines reinen Geschenks haben, ohne Anspruch auf Dividende und Amortisation. Der Unterschied war nur der, daß damals die Forderung noch vor Beginn des Baues gemacht wurde, das Zustandekommen daher von der Bewilligung ab¬ hängen konnte, während der Bau der Bahn auf Lübeck längst begonnen und seiner Vollendung bereits nahe ist. Die Stände lehnten diesmal die Gewährung der Beihilfe ab, und beschlossen, die bedrängte und ungewisse Lage der finanziellen Verhältnisse des Landes als Grund der Ablehnung auf¬ zuführen. Vielleicht wirkte bei der Ablehnung auch der Gedanke mit, daß, wer allein die Früchte eines Unternehmens ernten wolle, auch allein die Kosten tragen könne, und daß es überhaupt seine Bedenken haben möge, wenn der Landesfürst seine Capitalien in großartigen Eisenbahnunterneh¬ mungen anlege, welche der ständischen Controle gänzlich entzogen sind und noch außerdem durch den beabsichtigten Ankauf der mecklenburgischen Eisenbahn für Rechnung der landesherrlichen Casse einen weiteren Umfang zugewinnen streben. Die Regierung schöpfte aus dem Ablehnungsgrunde den Anlaß, eine Erneuerung ihres Antrages zu gelegenerer Zeit in Aussicht zu stellen. Eine Vorlage wegen einer Reform der Armengesetzgebung, welche sich gleichfalls auf gewisse Grundzüge beschränkte, gelangte in der Hauptsache, nämlich in Betreff der beabsichtigten Bildung von Armenverbänden, wegen des Widerstrebens der Ritterschaft nicht zur Annahme. Dagegen kam es zur Einigung wegen einer neuen Regelung des Schulwesens im Ritterschaftlichen und in den städtischen Gütern. Die neue Ordnung, obgleich sie in einigen Punkten Anerkennung verdient und einen Fortschritt von dem bisherigen Zu- stände bezeichnet, läßt aber das Schulpatronat der Rittergutsbesitzer bestehen Grenzboten I. 18KS, 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/229>, abgerufen am 28.09.2024.