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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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der Herzog von Gotha diesen Vorschlag in einem zweiten Telegramm warm
unterstützte, war Oberst von Dämmers nach seiner eigenen gerichtlichen Aus¬
sage überzeugt, daß der von ihm präcisirte Antrag ein militärisches Unding
sei und unmöglich von Preußen angenommen werden könnte.

Da war nun sehr merkwürdig, wie diese versuchte Täuschung auf den
Urheber zurückfiel und dessen geheime Pläne kreuzte. In Berlin nahm man
den Antrag des Oberst v. Dämmers wider Erwarten in telegraphischer Antwort
an und fügte nur noch die Forderung hinzu, daß Hannover für diese Neu¬
tralität auf ein Jahr Garantien zu geben habe; schon vorher war tele-
graphirt: General v. Alvensleben werde sofort von Berlin kommen, die weiteren
Verhandlungen zu übernehmen. Ehe die annehmende Antwort von Berlin ein¬
traf, machte der Herzog den Vorschlag, die Feindseligkeiten einstweilen ruhen
zu lassen; Oberst v. Dämmers gab die Zusicherung, daß hannöverscher Seits kein
Angriff erfolgen werde, bevor General v. Alvensleben im hannöverschen
Hauptquartier eingetroffen sei, vorausgesetzt, daß dieses Eintreffen sich nicht
bis zum folgenden Tage verzögere. Oberst von Dämmers hat später feierlich
erklärt, daß er diese Zusicherung nur in Beziehung auf Gotha ertheilt habe
und nur wegen der bevorstehenden Ankunft des Generals v. Alvensleben,
"um die Täuschung sicherer zu machen."

Indeß ist durch das Zeugniß des Staatsministers v. Seebach bewiesen,
daß Oberst v. Dämmers in dem getroffenen Abkommen die Sistirunh der
Feindseligkeiten nicht aus Gotha beschränkt hat; in der That hatte er auch
von seinem Hauptquartier keineswegs den Auftrag erhalten, die Verhand¬
lungen nur zum Schein zu pflegen. Erst während seiner Abwesenheit war im
hannöverschen Hauptquartier die Nachricht eingetroffen, daß Eisenach noch ohne
Schwierigkeit zu besetzen sei; erst daraus hatte man dort sür den Nachmittag
desselben Tages den Durchbruch beschlossen. Aber Oberst v. Dämmers be¬
gegnete aus dem Rückwege von Gotha nach seinem Hauptquartiere dem
Rittmeister v. d. Wense. der in Folge jenes Beschlusses beauftragt war, den
sofortigen Abbruch aller Verhandlungen in Gotha anzuzeigen. Jetzt stand
Oberst v. Dämmers vor der ernsten Alternative, entweder seinem König von
der durch ihn selbst, kraft seiner Vollmacht verabredeten Waffenruhe Anzeige
zu machen und den bereits ertheilten Befehl eines Durchbruchs bei Eisenach
sistiren zu lassen, oder die von ihm nur mündlich getroffene Verabredung
einfach zu verschweigen. -- Es scheint, daß er das Letztere gewählt hat.

Unterdeß war man zu Gotha in der freudigen Hoffnung, daß durch die
Annahme der Propositionen des Obersten v. Dämmers der Waffenconflict
vermieden werden würde. Auch die Sendung des Rittmeisters v. d, Wense
konnte die Hoffnung nicht verringern: sie war ja erfolgt, bevor die Verhand¬
lungen mit Oberst v. Dämmers im hannöverschen Hauptquartier bekannt


der Herzog von Gotha diesen Vorschlag in einem zweiten Telegramm warm
unterstützte, war Oberst von Dämmers nach seiner eigenen gerichtlichen Aus¬
sage überzeugt, daß der von ihm präcisirte Antrag ein militärisches Unding
sei und unmöglich von Preußen angenommen werden könnte.

Da war nun sehr merkwürdig, wie diese versuchte Täuschung auf den
Urheber zurückfiel und dessen geheime Pläne kreuzte. In Berlin nahm man
den Antrag des Oberst v. Dämmers wider Erwarten in telegraphischer Antwort
an und fügte nur noch die Forderung hinzu, daß Hannover für diese Neu¬
tralität auf ein Jahr Garantien zu geben habe; schon vorher war tele-
graphirt: General v. Alvensleben werde sofort von Berlin kommen, die weiteren
Verhandlungen zu übernehmen. Ehe die annehmende Antwort von Berlin ein¬
traf, machte der Herzog den Vorschlag, die Feindseligkeiten einstweilen ruhen
zu lassen; Oberst v. Dämmers gab die Zusicherung, daß hannöverscher Seits kein
Angriff erfolgen werde, bevor General v. Alvensleben im hannöverschen
Hauptquartier eingetroffen sei, vorausgesetzt, daß dieses Eintreffen sich nicht
bis zum folgenden Tage verzögere. Oberst von Dämmers hat später feierlich
erklärt, daß er diese Zusicherung nur in Beziehung auf Gotha ertheilt habe
und nur wegen der bevorstehenden Ankunft des Generals v. Alvensleben,
„um die Täuschung sicherer zu machen."

Indeß ist durch das Zeugniß des Staatsministers v. Seebach bewiesen,
daß Oberst v. Dämmers in dem getroffenen Abkommen die Sistirunh der
Feindseligkeiten nicht aus Gotha beschränkt hat; in der That hatte er auch
von seinem Hauptquartier keineswegs den Auftrag erhalten, die Verhand¬
lungen nur zum Schein zu pflegen. Erst während seiner Abwesenheit war im
hannöverschen Hauptquartier die Nachricht eingetroffen, daß Eisenach noch ohne
Schwierigkeit zu besetzen sei; erst daraus hatte man dort sür den Nachmittag
desselben Tages den Durchbruch beschlossen. Aber Oberst v. Dämmers be¬
gegnete aus dem Rückwege von Gotha nach seinem Hauptquartiere dem
Rittmeister v. d. Wense. der in Folge jenes Beschlusses beauftragt war, den
sofortigen Abbruch aller Verhandlungen in Gotha anzuzeigen. Jetzt stand
Oberst v. Dämmers vor der ernsten Alternative, entweder seinem König von
der durch ihn selbst, kraft seiner Vollmacht verabredeten Waffenruhe Anzeige
zu machen und den bereits ertheilten Befehl eines Durchbruchs bei Eisenach
sistiren zu lassen, oder die von ihm nur mündlich getroffene Verabredung
einfach zu verschweigen. — Es scheint, daß er das Letztere gewählt hat.

Unterdeß war man zu Gotha in der freudigen Hoffnung, daß durch die
Annahme der Propositionen des Obersten v. Dämmers der Waffenconflict
vermieden werden würde. Auch die Sendung des Rittmeisters v. d, Wense
konnte die Hoffnung nicht verringern: sie war ja erfolgt, bevor die Verhand¬
lungen mit Oberst v. Dämmers im hannöverschen Hauptquartier bekannt


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[0170] der Herzog von Gotha diesen Vorschlag in einem zweiten Telegramm warm unterstützte, war Oberst von Dämmers nach seiner eigenen gerichtlichen Aus¬ sage überzeugt, daß der von ihm präcisirte Antrag ein militärisches Unding sei und unmöglich von Preußen angenommen werden könnte. Da war nun sehr merkwürdig, wie diese versuchte Täuschung auf den Urheber zurückfiel und dessen geheime Pläne kreuzte. In Berlin nahm man den Antrag des Oberst v. Dämmers wider Erwarten in telegraphischer Antwort an und fügte nur noch die Forderung hinzu, daß Hannover für diese Neu¬ tralität auf ein Jahr Garantien zu geben habe; schon vorher war tele- graphirt: General v. Alvensleben werde sofort von Berlin kommen, die weiteren Verhandlungen zu übernehmen. Ehe die annehmende Antwort von Berlin ein¬ traf, machte der Herzog den Vorschlag, die Feindseligkeiten einstweilen ruhen zu lassen; Oberst v. Dämmers gab die Zusicherung, daß hannöverscher Seits kein Angriff erfolgen werde, bevor General v. Alvensleben im hannöverschen Hauptquartier eingetroffen sei, vorausgesetzt, daß dieses Eintreffen sich nicht bis zum folgenden Tage verzögere. Oberst von Dämmers hat später feierlich erklärt, daß er diese Zusicherung nur in Beziehung auf Gotha ertheilt habe und nur wegen der bevorstehenden Ankunft des Generals v. Alvensleben, „um die Täuschung sicherer zu machen." Indeß ist durch das Zeugniß des Staatsministers v. Seebach bewiesen, daß Oberst v. Dämmers in dem getroffenen Abkommen die Sistirunh der Feindseligkeiten nicht aus Gotha beschränkt hat; in der That hatte er auch von seinem Hauptquartier keineswegs den Auftrag erhalten, die Verhand¬ lungen nur zum Schein zu pflegen. Erst während seiner Abwesenheit war im hannöverschen Hauptquartier die Nachricht eingetroffen, daß Eisenach noch ohne Schwierigkeit zu besetzen sei; erst daraus hatte man dort sür den Nachmittag desselben Tages den Durchbruch beschlossen. Aber Oberst v. Dämmers be¬ gegnete aus dem Rückwege von Gotha nach seinem Hauptquartiere dem Rittmeister v. d. Wense. der in Folge jenes Beschlusses beauftragt war, den sofortigen Abbruch aller Verhandlungen in Gotha anzuzeigen. Jetzt stand Oberst v. Dämmers vor der ernsten Alternative, entweder seinem König von der durch ihn selbst, kraft seiner Vollmacht verabredeten Waffenruhe Anzeige zu machen und den bereits ertheilten Befehl eines Durchbruchs bei Eisenach sistiren zu lassen, oder die von ihm nur mündlich getroffene Verabredung einfach zu verschweigen. — Es scheint, daß er das Letztere gewählt hat. Unterdeß war man zu Gotha in der freudigen Hoffnung, daß durch die Annahme der Propositionen des Obersten v. Dämmers der Waffenconflict vermieden werden würde. Auch die Sendung des Rittmeisters v. d, Wense konnte die Hoffnung nicht verringern: sie war ja erfolgt, bevor die Verhand¬ lungen mit Oberst v. Dämmers im hannöverschen Hauptquartier bekannt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/170>, abgerufen am 28.09.2024.