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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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gute Sitte^ darüber zu Grunde geht, o>e mit unserer Lehre wächst und mit
ihr stirbt. Wer also unsere Lehre bekämpft, der streitet wider die evange¬
lische Liebe und ist in Wahrheit ein Ketzer." Er behauptet, daß der Papst
irren könne, und beruft sich dafür auf. die zahlreichen Widersprüche päpst¬
licher Entscheidungen. Aber gleichwohl ist er von einer Antastung der höchsten
Autorität des Papstes weit entfernt. "In seiner Eigenschaft als Papst kann
er allerdings nicht irren, weil er dann nothwendig seine Pflicht thut; wenn
er aber irrt, so ist er nicht mehr Papst, und wenn er etwas Irriges befiehlt,
so ist er nicht mehr Papst. "Aber, Frate" -- so wirft er sich selbst auf der
Kanzel ein -- "der Papst ist Gott auf Erden und der Stellvertreter Christi.
Das ist wahr, aber Gott und Christus befehlen, die Brüder zu lieben und
Gutes zu thun. Wenn Dir also der Papst etwas befiehlt, was die. christ¬
liche Liebe verletzt, und Du dem Befehl folgst, so gibst Du damit zu erkennen,
daß Dir der Papst mehr gilt als Gott."

Die katholischen Schriftsteller versichern, daß diese Sätze durchaus nicht
wider die Rechtgläubigkeit verstoßen, daß sie sich aus Thomas von Aquino
und anderen Vätern belegen lassen und daß auch die Versuche, ein Concil
ohne Wissen und selbst wider den Willen des Papstes zu Stande zu bringen,
noch nichts Ketzerisches seien. Das mag sein; allein damit ist eben con-
statirt, wie Viel noch fehlte, daß Savonarola bis zur principiellen Bestreitung
der päpstlichen Autorität fortschritt. Eine innere Ahnung steigt ihm auf,
daß das Gewissen der höchste Richter der menschlichen Handlungen sei, er
fühlt in der Tiefe seines religiösen Gemüths, daß man Gott mehr gehorchen
müsse als dem Papst, er ist sich bewußt recht zu handeln, indem er dem
Papst den Gehorsam verweigert. Allein wer entscheidet, wenn das religiöse
Gemüth sich in solchem Conflicte befindet! Woher das Recht, zu sagen:
diese oder jene Handlung des Oberhaupts streitet wider die Religion? Und
wie stimmt zu der Freiheit, die er in gutem Glauben sich nimmt, das Ge"
lübde des Klosterbruders? Das sind Fragen, zu welchen Savonarola nirgends
vordringt, vor der letzten Conseqaenz scheut er zurück, er bleibt immer nur
beim einzelnen Fall, wo er sich im Recht weiß, er wagt es nicht, den Satz
von der absoluten Freiheit des religiösen Subjects, das unmittelbar mit Gott
verkehrt, zu verkündigen, und erst mit diesem Satze war das befreiende Wort
der Reformation gesprochen.

Der langwierige Streit mit dem Papst konnte nur dazu beitragen, die
Stellung Savonarola's in Florenz selbst zu untergraben. Diese persönliche
Angelegenheit, die nicht von der Stelle rückte, wurde ihnen verdrießlich,
vollends als ihre politischen Interessen mit hineingezogen wurden. Dennoch
ist der rasche Fall Savonarola's vollständig nur zu erklären aus dem eigen¬
thümlichen Charakter der Frömmigkeit, welche seine Predigt geweckt hatte


gute Sitte^ darüber zu Grunde geht, o>e mit unserer Lehre wächst und mit
ihr stirbt. Wer also unsere Lehre bekämpft, der streitet wider die evange¬
lische Liebe und ist in Wahrheit ein Ketzer." Er behauptet, daß der Papst
irren könne, und beruft sich dafür auf. die zahlreichen Widersprüche päpst¬
licher Entscheidungen. Aber gleichwohl ist er von einer Antastung der höchsten
Autorität des Papstes weit entfernt. „In seiner Eigenschaft als Papst kann
er allerdings nicht irren, weil er dann nothwendig seine Pflicht thut; wenn
er aber irrt, so ist er nicht mehr Papst, und wenn er etwas Irriges befiehlt,
so ist er nicht mehr Papst. „Aber, Frate" — so wirft er sich selbst auf der
Kanzel ein — „der Papst ist Gott auf Erden und der Stellvertreter Christi.
Das ist wahr, aber Gott und Christus befehlen, die Brüder zu lieben und
Gutes zu thun. Wenn Dir also der Papst etwas befiehlt, was die. christ¬
liche Liebe verletzt, und Du dem Befehl folgst, so gibst Du damit zu erkennen,
daß Dir der Papst mehr gilt als Gott."

Die katholischen Schriftsteller versichern, daß diese Sätze durchaus nicht
wider die Rechtgläubigkeit verstoßen, daß sie sich aus Thomas von Aquino
und anderen Vätern belegen lassen und daß auch die Versuche, ein Concil
ohne Wissen und selbst wider den Willen des Papstes zu Stande zu bringen,
noch nichts Ketzerisches seien. Das mag sein; allein damit ist eben con-
statirt, wie Viel noch fehlte, daß Savonarola bis zur principiellen Bestreitung
der päpstlichen Autorität fortschritt. Eine innere Ahnung steigt ihm auf,
daß das Gewissen der höchste Richter der menschlichen Handlungen sei, er
fühlt in der Tiefe seines religiösen Gemüths, daß man Gott mehr gehorchen
müsse als dem Papst, er ist sich bewußt recht zu handeln, indem er dem
Papst den Gehorsam verweigert. Allein wer entscheidet, wenn das religiöse
Gemüth sich in solchem Conflicte befindet! Woher das Recht, zu sagen:
diese oder jene Handlung des Oberhaupts streitet wider die Religion? Und
wie stimmt zu der Freiheit, die er in gutem Glauben sich nimmt, das Ge«
lübde des Klosterbruders? Das sind Fragen, zu welchen Savonarola nirgends
vordringt, vor der letzten Conseqaenz scheut er zurück, er bleibt immer nur
beim einzelnen Fall, wo er sich im Recht weiß, er wagt es nicht, den Satz
von der absoluten Freiheit des religiösen Subjects, das unmittelbar mit Gott
verkehrt, zu verkündigen, und erst mit diesem Satze war das befreiende Wort
der Reformation gesprochen.

Der langwierige Streit mit dem Papst konnte nur dazu beitragen, die
Stellung Savonarola's in Florenz selbst zu untergraben. Diese persönliche
Angelegenheit, die nicht von der Stelle rückte, wurde ihnen verdrießlich,
vollends als ihre politischen Interessen mit hineingezogen wurden. Dennoch
ist der rasche Fall Savonarola's vollständig nur zu erklären aus dem eigen¬
thümlichen Charakter der Frömmigkeit, welche seine Predigt geweckt hatte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/162>, abgerufen am 28.09.2024.