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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Factor sein ganzes Dasein: der Kampf gegen die Revolution, den er mit
solcher Hingebung und Energie geführt hat, daß er nicht mit Unrecht die
fünfte der gegen Napoleon verbündeten Mächte genannt wurde. Vom preußischen
in den östreichischen Dienst getreten, war Gentz weder Preuße, noch ward er
Oestreicher, er empfand sich auch niemals als Deutscher, sondern stand auf dem
europäischen Standpunkt, er betrachtete sich als ein Werkzeug der Geschichte
zur Bekämpfung der Revolution in ihren verschiedenen Phasen. Als der
Kampf beendet war, fühlte er sich selbst ohne Ziel und verfiel er einer geistlosen
Vertheidigung alles Alten; nur die neue Bedrohung des europäischen Gleich,
gewichts, welche Rußland unter der Maske des Philhellenismus ins Werk
setzte, konnte ihn vorübergehend aus seiner Lethargie aufrütteln. Dieser
Mangel an positiver schöpferischer Staatskunst war der Grund weshalb Gentz
nicht ein großer Minister ward. Seine sybaritische Genußsucht, welche ihn
in ewiger Geldverlegenheit erhielt, erklärt weshalb er nicht ein Mal eine
große diplomatische Stellung einnahm. Allerdings hat Gentz sich nie in dem
Sinne bestechen lassen, daß er gegen seine Ueberzeugung auch nur eine Zeile
geschrieben hätte, aber er nahm von fremden Regierungen wie von Privat¬
leuten Geld dafür, daß er seine Ueberzeugung ausspraH und für sie kämpfte.
"Hätte ihm" sagt Perthes mit Recht, "ein seinem großen politischen Berufe
entsprechendes Maß sittlichen Ernstes und geistiger Tiefe innegewohnt, so
würde er für alle Zeiten unter den Ersten und Größten, die aus dem deut¬
schen Volke hervorgegangen sind, zählen; er war kein kleinerer Mensch als
Millionen Andere, aber seine Kleinheit tritt seinen großen Gaben gegen¬
über in ein grelleres Licht."

Aber auch so noch blieb er einer der bedeutendsten Menschen seiner Zeit
und trug seine Vollmacht, auf ihre Geschichte einzuwirken, in sich selbst:
"Während Stein und Niebuhr durch ihre sittliche Größe jeden politischen
Schritt den sie thaten adelten, ward umgekehrt in Gentz der ganze Mensch
durch die ihm innewohnende politische Kraft weit hinaus über sich selbst
gehoben." Eine Fülle gründlicher Kenntnisse stand ihm jederzeit zu Gebote,
er handhabte mit gleicher Meisterschaft seine Muttersprache wie die französische
und englische; eine unbegrenzte Arbeitskraft wußte er sich neben allen Aus¬
schweifungen zu erhalten, nie verließ ihn die politische Ruhe, noch der poli¬
tische Muth, unablässig strebte er, die Zögernden vorwärts zu treiben, die
Schwankenden zu stärken, kleine Differenzen unter den gemeinsamen Gegnern
des einen großen Feindes zu beseitigen und er verfolgte die Abtrünnigen mit
jenem unerbittlichen Hasse, von dem sein berühmter Absagebrief an Johannes
von Müller das beredteste Zeugniß bleiben wird.

Perthes hat zum ersten Mal ein Bild des Kreises gezeichnet, dessen Mittel-
Punkt während des Kampfes gegen Napoleon Gentz war. Der englische Ge-


Factor sein ganzes Dasein: der Kampf gegen die Revolution, den er mit
solcher Hingebung und Energie geführt hat, daß er nicht mit Unrecht die
fünfte der gegen Napoleon verbündeten Mächte genannt wurde. Vom preußischen
in den östreichischen Dienst getreten, war Gentz weder Preuße, noch ward er
Oestreicher, er empfand sich auch niemals als Deutscher, sondern stand auf dem
europäischen Standpunkt, er betrachtete sich als ein Werkzeug der Geschichte
zur Bekämpfung der Revolution in ihren verschiedenen Phasen. Als der
Kampf beendet war, fühlte er sich selbst ohne Ziel und verfiel er einer geistlosen
Vertheidigung alles Alten; nur die neue Bedrohung des europäischen Gleich,
gewichts, welche Rußland unter der Maske des Philhellenismus ins Werk
setzte, konnte ihn vorübergehend aus seiner Lethargie aufrütteln. Dieser
Mangel an positiver schöpferischer Staatskunst war der Grund weshalb Gentz
nicht ein großer Minister ward. Seine sybaritische Genußsucht, welche ihn
in ewiger Geldverlegenheit erhielt, erklärt weshalb er nicht ein Mal eine
große diplomatische Stellung einnahm. Allerdings hat Gentz sich nie in dem
Sinne bestechen lassen, daß er gegen seine Ueberzeugung auch nur eine Zeile
geschrieben hätte, aber er nahm von fremden Regierungen wie von Privat¬
leuten Geld dafür, daß er seine Ueberzeugung ausspraH und für sie kämpfte.
„Hätte ihm" sagt Perthes mit Recht, „ein seinem großen politischen Berufe
entsprechendes Maß sittlichen Ernstes und geistiger Tiefe innegewohnt, so
würde er für alle Zeiten unter den Ersten und Größten, die aus dem deut¬
schen Volke hervorgegangen sind, zählen; er war kein kleinerer Mensch als
Millionen Andere, aber seine Kleinheit tritt seinen großen Gaben gegen¬
über in ein grelleres Licht."

Aber auch so noch blieb er einer der bedeutendsten Menschen seiner Zeit
und trug seine Vollmacht, auf ihre Geschichte einzuwirken, in sich selbst:
„Während Stein und Niebuhr durch ihre sittliche Größe jeden politischen
Schritt den sie thaten adelten, ward umgekehrt in Gentz der ganze Mensch
durch die ihm innewohnende politische Kraft weit hinaus über sich selbst
gehoben." Eine Fülle gründlicher Kenntnisse stand ihm jederzeit zu Gebote,
er handhabte mit gleicher Meisterschaft seine Muttersprache wie die französische
und englische; eine unbegrenzte Arbeitskraft wußte er sich neben allen Aus¬
schweifungen zu erhalten, nie verließ ihn die politische Ruhe, noch der poli¬
tische Muth, unablässig strebte er, die Zögernden vorwärts zu treiben, die
Schwankenden zu stärken, kleine Differenzen unter den gemeinsamen Gegnern
des einen großen Feindes zu beseitigen und er verfolgte die Abtrünnigen mit
jenem unerbittlichen Hasse, von dem sein berühmter Absagebrief an Johannes
von Müller das beredteste Zeugniß bleiben wird.

Perthes hat zum ersten Mal ein Bild des Kreises gezeichnet, dessen Mittel-
Punkt während des Kampfes gegen Napoleon Gentz war. Der englische Ge-


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[0147] Factor sein ganzes Dasein: der Kampf gegen die Revolution, den er mit solcher Hingebung und Energie geführt hat, daß er nicht mit Unrecht die fünfte der gegen Napoleon verbündeten Mächte genannt wurde. Vom preußischen in den östreichischen Dienst getreten, war Gentz weder Preuße, noch ward er Oestreicher, er empfand sich auch niemals als Deutscher, sondern stand auf dem europäischen Standpunkt, er betrachtete sich als ein Werkzeug der Geschichte zur Bekämpfung der Revolution in ihren verschiedenen Phasen. Als der Kampf beendet war, fühlte er sich selbst ohne Ziel und verfiel er einer geistlosen Vertheidigung alles Alten; nur die neue Bedrohung des europäischen Gleich, gewichts, welche Rußland unter der Maske des Philhellenismus ins Werk setzte, konnte ihn vorübergehend aus seiner Lethargie aufrütteln. Dieser Mangel an positiver schöpferischer Staatskunst war der Grund weshalb Gentz nicht ein großer Minister ward. Seine sybaritische Genußsucht, welche ihn in ewiger Geldverlegenheit erhielt, erklärt weshalb er nicht ein Mal eine große diplomatische Stellung einnahm. Allerdings hat Gentz sich nie in dem Sinne bestechen lassen, daß er gegen seine Ueberzeugung auch nur eine Zeile geschrieben hätte, aber er nahm von fremden Regierungen wie von Privat¬ leuten Geld dafür, daß er seine Ueberzeugung ausspraH und für sie kämpfte. „Hätte ihm" sagt Perthes mit Recht, „ein seinem großen politischen Berufe entsprechendes Maß sittlichen Ernstes und geistiger Tiefe innegewohnt, so würde er für alle Zeiten unter den Ersten und Größten, die aus dem deut¬ schen Volke hervorgegangen sind, zählen; er war kein kleinerer Mensch als Millionen Andere, aber seine Kleinheit tritt seinen großen Gaben gegen¬ über in ein grelleres Licht." Aber auch so noch blieb er einer der bedeutendsten Menschen seiner Zeit und trug seine Vollmacht, auf ihre Geschichte einzuwirken, in sich selbst: „Während Stein und Niebuhr durch ihre sittliche Größe jeden politischen Schritt den sie thaten adelten, ward umgekehrt in Gentz der ganze Mensch durch die ihm innewohnende politische Kraft weit hinaus über sich selbst gehoben." Eine Fülle gründlicher Kenntnisse stand ihm jederzeit zu Gebote, er handhabte mit gleicher Meisterschaft seine Muttersprache wie die französische und englische; eine unbegrenzte Arbeitskraft wußte er sich neben allen Aus¬ schweifungen zu erhalten, nie verließ ihn die politische Ruhe, noch der poli¬ tische Muth, unablässig strebte er, die Zögernden vorwärts zu treiben, die Schwankenden zu stärken, kleine Differenzen unter den gemeinsamen Gegnern des einen großen Feindes zu beseitigen und er verfolgte die Abtrünnigen mit jenem unerbittlichen Hasse, von dem sein berühmter Absagebrief an Johannes von Müller das beredteste Zeugniß bleiben wird. Perthes hat zum ersten Mal ein Bild des Kreises gezeichnet, dessen Mittel- Punkt während des Kampfes gegen Napoleon Gentz war. Der englische Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/147>, abgerufen am 28.09.2024.