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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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deutschen Bundes angeregte Steuerreform für Mecklenburg diejenige Frage,
von deren endlicher Lösung die Entscheidung abhängen wird, ob das
Land aus der Zugehörigkeit zum Bunde wenn auch nicht alle gehofften, so
doch die nach der Organisation des Bundes möglichen, in andern Staaten
bereits erreichten Vortheile ziehen wird. Die patriarchalischen Zustände, in
denen wenigstens eine große Mehrzahl der Mecklenburger sich so lange wohl
und zufrieden fühlte, daß sie manche Mängel der einheimischen Staats¬
einrichtungen in den Kauf zu nehmen geneigt war, sie sind unwiederbringlich
vorüber. Mecklenburg ist das Glied eines großen Stacitskörpcrs geworden
und muß an dessen Lasten mittragen. Daß es diese Lasten tragen kann,
darüber ist kein Zweifel; es kommt nur darauf an, dieselben richtig zu ver¬
theilen und die Mittel des Landes in ausgiebigster Weise zu verwerthen.
Aber bis jetzt spürt man von dem Einen so wenig, wie von dem Andern.
Mecklenburg fühlt daher vorwiegend nur den Druck der Bundeslasten und
seine Stände, nur besorgt um die Wahrung ihrer Privilegien, zeigen wenig
Eifer, denselben zu vermindern. Die Regierungen fordern instinctiv, wie
alle Regierungen, möglichst reichliche Deckung für die Staatsbedürfnisse; die
Stände, anstatt, wie in andern Staaten, deren Vorbild sie überhaupt mit
Hand und Fuß abwehren möchten, zu streichen, was zu viel gefordert wird,
und ehe sie Steuern bewilligen, auf sonstige Mittel zur Bestreitung der
Kosten des Regiments hinzuweisen, bewilligen, -- um sich nur das Recht zu
wahren, überhaupt noch gefragt zu werden, -- Alles was gefordert wird in
Bausch und Bogen, unbekümmert um das Wohl und die Wünsche der
Steuerzahler.

Die mecklenburgischen Stände sind durch die Ereignisse in eine Position
gedrängt, in der sie mit sich selbst in Widerspruch gerathen. Sie behaupten,
die Vertreter des Landes zu sein; aber um nur ihre politische Stellung und
deren Sonderrechte zu wahren, setzen sie das wahre Interesse des Landes
diesen nach. In der Sache selbst freilich liegt kein Widerspruch. Die Feudal¬
stäude des Mittelalters waren keine Landesvertreter, sondern verhandelten
mit den Fürsten nur über ihre Standesrechte und Privilegien. Erst als
die Forderung nach wirklichen Landesvertretungen,in den deutschen Territo¬
rien laut geworden und deren Erfüllung durch die Grundgesetze des deut¬
schen Bundes gewährleistet war, suchten Ritter- und Landschaft, um nicht
von der Bühne des politischen Lebens abtreten zu müssen, sich als Landes¬
vertreter im modernen Sinn zu geriren. Das gelang ihnen scheinbar, so
lange der stagnirende Zustand des innern Staatslebens an sie nicht die Förde-
rung stellte, über Gesetzesvorlagen zu berathen, die denselben erschüttern
sollten, um ihm neues Leben zu geben. Je mehr sich aber die fortschreitende
Entwickelung des modernen Staatslebens von den landesgrundgesetzlichen


deutschen Bundes angeregte Steuerreform für Mecklenburg diejenige Frage,
von deren endlicher Lösung die Entscheidung abhängen wird, ob das
Land aus der Zugehörigkeit zum Bunde wenn auch nicht alle gehofften, so
doch die nach der Organisation des Bundes möglichen, in andern Staaten
bereits erreichten Vortheile ziehen wird. Die patriarchalischen Zustände, in
denen wenigstens eine große Mehrzahl der Mecklenburger sich so lange wohl
und zufrieden fühlte, daß sie manche Mängel der einheimischen Staats¬
einrichtungen in den Kauf zu nehmen geneigt war, sie sind unwiederbringlich
vorüber. Mecklenburg ist das Glied eines großen Stacitskörpcrs geworden
und muß an dessen Lasten mittragen. Daß es diese Lasten tragen kann,
darüber ist kein Zweifel; es kommt nur darauf an, dieselben richtig zu ver¬
theilen und die Mittel des Landes in ausgiebigster Weise zu verwerthen.
Aber bis jetzt spürt man von dem Einen so wenig, wie von dem Andern.
Mecklenburg fühlt daher vorwiegend nur den Druck der Bundeslasten und
seine Stände, nur besorgt um die Wahrung ihrer Privilegien, zeigen wenig
Eifer, denselben zu vermindern. Die Regierungen fordern instinctiv, wie
alle Regierungen, möglichst reichliche Deckung für die Staatsbedürfnisse; die
Stände, anstatt, wie in andern Staaten, deren Vorbild sie überhaupt mit
Hand und Fuß abwehren möchten, zu streichen, was zu viel gefordert wird,
und ehe sie Steuern bewilligen, auf sonstige Mittel zur Bestreitung der
Kosten des Regiments hinzuweisen, bewilligen, — um sich nur das Recht zu
wahren, überhaupt noch gefragt zu werden, — Alles was gefordert wird in
Bausch und Bogen, unbekümmert um das Wohl und die Wünsche der
Steuerzahler.

Die mecklenburgischen Stände sind durch die Ereignisse in eine Position
gedrängt, in der sie mit sich selbst in Widerspruch gerathen. Sie behaupten,
die Vertreter des Landes zu sein; aber um nur ihre politische Stellung und
deren Sonderrechte zu wahren, setzen sie das wahre Interesse des Landes
diesen nach. In der Sache selbst freilich liegt kein Widerspruch. Die Feudal¬
stäude des Mittelalters waren keine Landesvertreter, sondern verhandelten
mit den Fürsten nur über ihre Standesrechte und Privilegien. Erst als
die Forderung nach wirklichen Landesvertretungen,in den deutschen Territo¬
rien laut geworden und deren Erfüllung durch die Grundgesetze des deut¬
schen Bundes gewährleistet war, suchten Ritter- und Landschaft, um nicht
von der Bühne des politischen Lebens abtreten zu müssen, sich als Landes¬
vertreter im modernen Sinn zu geriren. Das gelang ihnen scheinbar, so
lange der stagnirende Zustand des innern Staatslebens an sie nicht die Förde-
rung stellte, über Gesetzesvorlagen zu berathen, die denselben erschüttern
sollten, um ihm neues Leben zu geben. Je mehr sich aber die fortschreitende
Entwickelung des modernen Staatslebens von den landesgrundgesetzlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/106>, abgerufen am 28.09.2024.