Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und bewilligen ohne erschöpfende Prüfung des Bedürfnisses die geforderten
Steuern, um durch die möglichste Willfährigkeit ihre Standesherrlichkeit zu
bewahren. Sie merken dabei nicht, daß sie ihrem vorzüglichsten Rechte entsagen,
dem Rechte, die nicht landesgrundgesetzlich übernommenen Lasten zurückzuweisen.
Was verpflichtet die Stände, die durch den Bund vermehrten Kosten des
Landesregiments zu bewilligen? Der LGGEV? Nein! Die Vereinbarun¬
gen von 1809? Wiederum nein! Aber weshalb bewilligen sie dieselben?
Weil sie dieselbe Erwägung leitet, von der ihre Väter vor 60 Jahren bei
Bewilligung der außerordentlichen Contribution geleitet wurden. Der da¬
malige Herzog Friedrich Franz hatte nicht übel Lust gezeigt, nach Auflösung
des deutschen Reichs die durch den Kaiser gewährleisteten ständischen Rechte
kraft seiner damals erworbenen Souveränetät zu beschränken. Nur die äußerste
Gefügigkeit der Stände gegenüber den Geldforderungen der Regierung scheint
ihnen damals den Vollbesitz ihrer Privilegien gerettet zu haben. Von ähn¬
lichen Motiven scheinen die Stände jeht nach der Katastrophe von 1866 ge¬
leitet zu werden. Man kann aller Orten in Mecklenburg 5>le Meinung äußern
hören, daß die Stände, so lange sie der Regierung nur immer flott Gelder be¬
willigen, von dieser die Anregung einer durchgreifenden Reform der Landes¬
verfassung nicht zu befürchten haben. So lange es sich nur nicht um diese
handelt, heißen sie aber lieber alles Andere und namentlich jede von der
Regierung geforderte Steuerreform gut, sollte dieselbe für die große Masse
der Steuerzahler auch eine retormÄtio in xeMS sein. Was haben die Stände
nicht sonst schon Alles seit 1866 gut geheißen! Freizügigkeit, Gewerbefreiheit,
Zollverein! Denn was sie nicht gutheißen, genehmigt ja doch der Reichs¬
tag; hin und wieder wird wohl ein leises Bedenken geäußert, dieses oder
jenes Institut passe für Mecklenburg nicht, aber man läßt sich dasselbe ge¬
fallen, weil man nicht die Macht hat. es zurückzuweisen. Es ist wahr,
manche Bundeseinrichtungen scheinen nicht für Mecklenburg zu passen,
ja es ließe sich nachweisen, daß die Mehrzahl derselben die größten Jnconve-
nienzen für Mecklenburg herbeiführt. Aber man muß das Ding nur beim
rechten Namen nennen. Die Bundeseinrichtungen wirken vielfach für Meck¬
lenburg nicht in der gehofften segensreichen Weise, aber nicht, weil sie für
Mecklenburg nicht passen, sondern weil Mecklenburg nicht für den Bund paßt,
d. h. Mecklenburg, wie es war und wie es ist. Mecklenburg kann die Ent¬
wickelung des Bundes nicht aufhalten, es muß also mit derselben fortschrei¬
ten, wenn es nicht zurückbleiben will. Vieles ist bereits anders geworden.
Vieles hat sich zum Guten geändert: aber die Bundesfreiheiten werden durch
die Bundeslasten in den Augen der Masse so lange mehr als aufgewogen,
so lange die letztern nicht in rationeller, gerechter Weise vertheilt werden.
In dieser Beziehung ist die obschwebende, durch die Bedürfnisse des nord-


und bewilligen ohne erschöpfende Prüfung des Bedürfnisses die geforderten
Steuern, um durch die möglichste Willfährigkeit ihre Standesherrlichkeit zu
bewahren. Sie merken dabei nicht, daß sie ihrem vorzüglichsten Rechte entsagen,
dem Rechte, die nicht landesgrundgesetzlich übernommenen Lasten zurückzuweisen.
Was verpflichtet die Stände, die durch den Bund vermehrten Kosten des
Landesregiments zu bewilligen? Der LGGEV? Nein! Die Vereinbarun¬
gen von 1809? Wiederum nein! Aber weshalb bewilligen sie dieselben?
Weil sie dieselbe Erwägung leitet, von der ihre Väter vor 60 Jahren bei
Bewilligung der außerordentlichen Contribution geleitet wurden. Der da¬
malige Herzog Friedrich Franz hatte nicht übel Lust gezeigt, nach Auflösung
des deutschen Reichs die durch den Kaiser gewährleisteten ständischen Rechte
kraft seiner damals erworbenen Souveränetät zu beschränken. Nur die äußerste
Gefügigkeit der Stände gegenüber den Geldforderungen der Regierung scheint
ihnen damals den Vollbesitz ihrer Privilegien gerettet zu haben. Von ähn¬
lichen Motiven scheinen die Stände jeht nach der Katastrophe von 1866 ge¬
leitet zu werden. Man kann aller Orten in Mecklenburg 5>le Meinung äußern
hören, daß die Stände, so lange sie der Regierung nur immer flott Gelder be¬
willigen, von dieser die Anregung einer durchgreifenden Reform der Landes¬
verfassung nicht zu befürchten haben. So lange es sich nur nicht um diese
handelt, heißen sie aber lieber alles Andere und namentlich jede von der
Regierung geforderte Steuerreform gut, sollte dieselbe für die große Masse
der Steuerzahler auch eine retormÄtio in xeMS sein. Was haben die Stände
nicht sonst schon Alles seit 1866 gut geheißen! Freizügigkeit, Gewerbefreiheit,
Zollverein! Denn was sie nicht gutheißen, genehmigt ja doch der Reichs¬
tag; hin und wieder wird wohl ein leises Bedenken geäußert, dieses oder
jenes Institut passe für Mecklenburg nicht, aber man läßt sich dasselbe ge¬
fallen, weil man nicht die Macht hat. es zurückzuweisen. Es ist wahr,
manche Bundeseinrichtungen scheinen nicht für Mecklenburg zu passen,
ja es ließe sich nachweisen, daß die Mehrzahl derselben die größten Jnconve-
nienzen für Mecklenburg herbeiführt. Aber man muß das Ding nur beim
rechten Namen nennen. Die Bundeseinrichtungen wirken vielfach für Meck¬
lenburg nicht in der gehofften segensreichen Weise, aber nicht, weil sie für
Mecklenburg nicht passen, sondern weil Mecklenburg nicht für den Bund paßt,
d. h. Mecklenburg, wie es war und wie es ist. Mecklenburg kann die Ent¬
wickelung des Bundes nicht aufhalten, es muß also mit derselben fortschrei¬
ten, wenn es nicht zurückbleiben will. Vieles ist bereits anders geworden.
Vieles hat sich zum Guten geändert: aber die Bundesfreiheiten werden durch
die Bundeslasten in den Augen der Masse so lange mehr als aufgewogen,
so lange die letztern nicht in rationeller, gerechter Weise vertheilt werden.
In dieser Beziehung ist die obschwebende, durch die Bedürfnisse des nord-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0105" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120294"/>
          <p xml:id="ID_281" prev="#ID_280" next="#ID_282"> und bewilligen ohne erschöpfende Prüfung des Bedürfnisses die geforderten<lb/>
Steuern, um durch die möglichste Willfährigkeit ihre Standesherrlichkeit zu<lb/>
bewahren. Sie merken dabei nicht, daß sie ihrem vorzüglichsten Rechte entsagen,<lb/>
dem Rechte, die nicht landesgrundgesetzlich übernommenen Lasten zurückzuweisen.<lb/>
Was verpflichtet die Stände, die durch den Bund vermehrten Kosten des<lb/>
Landesregiments zu bewilligen? Der LGGEV? Nein! Die Vereinbarun¬<lb/>
gen von 1809? Wiederum nein! Aber weshalb bewilligen sie dieselben?<lb/>
Weil sie dieselbe Erwägung leitet, von der ihre Väter vor 60 Jahren bei<lb/>
Bewilligung der außerordentlichen Contribution geleitet wurden. Der da¬<lb/>
malige Herzog Friedrich Franz hatte nicht übel Lust gezeigt, nach Auflösung<lb/>
des deutschen Reichs die durch den Kaiser gewährleisteten ständischen Rechte<lb/>
kraft seiner damals erworbenen Souveränetät zu beschränken. Nur die äußerste<lb/>
Gefügigkeit der Stände gegenüber den Geldforderungen der Regierung scheint<lb/>
ihnen damals den Vollbesitz ihrer Privilegien gerettet zu haben. Von ähn¬<lb/>
lichen Motiven scheinen die Stände jeht nach der Katastrophe von 1866 ge¬<lb/>
leitet zu werden. Man kann aller Orten in Mecklenburg 5&gt;le Meinung äußern<lb/>
hören, daß die Stände, so lange sie der Regierung nur immer flott Gelder be¬<lb/>
willigen, von dieser die Anregung einer durchgreifenden Reform der Landes¬<lb/>
verfassung nicht zu befürchten haben. So lange es sich nur nicht um diese<lb/>
handelt, heißen sie aber lieber alles Andere und namentlich jede von der<lb/>
Regierung geforderte Steuerreform gut, sollte dieselbe für die große Masse<lb/>
der Steuerzahler auch eine retormÄtio in xeMS sein. Was haben die Stände<lb/>
nicht sonst schon Alles seit 1866 gut geheißen! Freizügigkeit, Gewerbefreiheit,<lb/>
Zollverein! Denn was sie nicht gutheißen, genehmigt ja doch der Reichs¬<lb/>
tag; hin und wieder wird wohl ein leises Bedenken geäußert, dieses oder<lb/>
jenes Institut passe für Mecklenburg nicht, aber man läßt sich dasselbe ge¬<lb/>
fallen, weil man nicht die Macht hat. es zurückzuweisen. Es ist wahr,<lb/>
manche Bundeseinrichtungen scheinen nicht für Mecklenburg zu passen,<lb/>
ja es ließe sich nachweisen, daß die Mehrzahl derselben die größten Jnconve-<lb/>
nienzen für Mecklenburg herbeiführt. Aber man muß das Ding nur beim<lb/>
rechten Namen nennen. Die Bundeseinrichtungen wirken vielfach für Meck¬<lb/>
lenburg nicht in der gehofften segensreichen Weise, aber nicht, weil sie für<lb/>
Mecklenburg nicht passen, sondern weil Mecklenburg nicht für den Bund paßt,<lb/>
d. h. Mecklenburg, wie es war und wie es ist. Mecklenburg kann die Ent¬<lb/>
wickelung des Bundes nicht aufhalten, es muß also mit derselben fortschrei¬<lb/>
ten, wenn es nicht zurückbleiben will. Vieles ist bereits anders geworden.<lb/>
Vieles hat sich zum Guten geändert: aber die Bundesfreiheiten werden durch<lb/>
die Bundeslasten in den Augen der Masse so lange mehr als aufgewogen,<lb/>
so lange die letztern nicht in rationeller, gerechter Weise vertheilt werden.<lb/>
In dieser Beziehung ist die obschwebende, durch die Bedürfnisse des nord-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0105] und bewilligen ohne erschöpfende Prüfung des Bedürfnisses die geforderten Steuern, um durch die möglichste Willfährigkeit ihre Standesherrlichkeit zu bewahren. Sie merken dabei nicht, daß sie ihrem vorzüglichsten Rechte entsagen, dem Rechte, die nicht landesgrundgesetzlich übernommenen Lasten zurückzuweisen. Was verpflichtet die Stände, die durch den Bund vermehrten Kosten des Landesregiments zu bewilligen? Der LGGEV? Nein! Die Vereinbarun¬ gen von 1809? Wiederum nein! Aber weshalb bewilligen sie dieselben? Weil sie dieselbe Erwägung leitet, von der ihre Väter vor 60 Jahren bei Bewilligung der außerordentlichen Contribution geleitet wurden. Der da¬ malige Herzog Friedrich Franz hatte nicht übel Lust gezeigt, nach Auflösung des deutschen Reichs die durch den Kaiser gewährleisteten ständischen Rechte kraft seiner damals erworbenen Souveränetät zu beschränken. Nur die äußerste Gefügigkeit der Stände gegenüber den Geldforderungen der Regierung scheint ihnen damals den Vollbesitz ihrer Privilegien gerettet zu haben. Von ähn¬ lichen Motiven scheinen die Stände jeht nach der Katastrophe von 1866 ge¬ leitet zu werden. Man kann aller Orten in Mecklenburg 5>le Meinung äußern hören, daß die Stände, so lange sie der Regierung nur immer flott Gelder be¬ willigen, von dieser die Anregung einer durchgreifenden Reform der Landes¬ verfassung nicht zu befürchten haben. So lange es sich nur nicht um diese handelt, heißen sie aber lieber alles Andere und namentlich jede von der Regierung geforderte Steuerreform gut, sollte dieselbe für die große Masse der Steuerzahler auch eine retormÄtio in xeMS sein. Was haben die Stände nicht sonst schon Alles seit 1866 gut geheißen! Freizügigkeit, Gewerbefreiheit, Zollverein! Denn was sie nicht gutheißen, genehmigt ja doch der Reichs¬ tag; hin und wieder wird wohl ein leises Bedenken geäußert, dieses oder jenes Institut passe für Mecklenburg nicht, aber man läßt sich dasselbe ge¬ fallen, weil man nicht die Macht hat. es zurückzuweisen. Es ist wahr, manche Bundeseinrichtungen scheinen nicht für Mecklenburg zu passen, ja es ließe sich nachweisen, daß die Mehrzahl derselben die größten Jnconve- nienzen für Mecklenburg herbeiführt. Aber man muß das Ding nur beim rechten Namen nennen. Die Bundeseinrichtungen wirken vielfach für Meck¬ lenburg nicht in der gehofften segensreichen Weise, aber nicht, weil sie für Mecklenburg nicht passen, sondern weil Mecklenburg nicht für den Bund paßt, d. h. Mecklenburg, wie es war und wie es ist. Mecklenburg kann die Ent¬ wickelung des Bundes nicht aufhalten, es muß also mit derselben fortschrei¬ ten, wenn es nicht zurückbleiben will. Vieles ist bereits anders geworden. Vieles hat sich zum Guten geändert: aber die Bundesfreiheiten werden durch die Bundeslasten in den Augen der Masse so lange mehr als aufgewogen, so lange die letztern nicht in rationeller, gerechter Weise vertheilt werden. In dieser Beziehung ist die obschwebende, durch die Bedürfnisse des nord-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/105
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/105>, abgerufen am 28.09.2024.