nichts; ihnen war es nur um einen berühmten Künstlernamen zu thun. Hätte Plinius nur wenigstens noch etwas näheres über die Darstellung selbst berichtet! Eine Reihe von Epigrammen, die gern an berühmte Kunstwerke anknüpfen, überbietet sich in Pointen über die versteinerte Niobe, nur zwei beziehen sich wahrscheinlich auf eine Gruppe, eins von Antipater von Sidon (um 138 v. Chr.)
Sprich, was sehest du drohend die Hand, o Weib, zum Olymp aus,
Los'se das begeisterte Haar von dem entgeisteten Haupt? Letos mächtigen Zorn, jetzt fühlst du ihn, kinderbeglückte,
Jetzo bereue den Zwist, den du so frevelnd erregt. Hier zuckt eine der Töchter, entseelt schon lieget die andre,
Auch die dritte ereilt schon das verhaßte Geschick. Noch nicht endet dein Leiden, denn auch der blühenden Söhne
Schaar liegt niedergestreckt, deckend den Boden umher. ' Und du, welche das schwere Geschick mit Thränen beklagest,
Wirst vom Schrecken entseelt, Niobe, starrender Fels.
Das andere von Meleager (um 270 v. Chr.) führt einen Boten redend ein:
Niobe, Tantalvs Tochter, vernimm die entsetzliche Botschaft,
Deines harten Geschicks traurige Kunde vernimm. Löhe die Banden des Haars, Unglückliche, Phoebus Apollos
Fernher treffendem Pfeil waren die Söhne gezeugt. Söhne hast du nicht mehr. Ihr Himmlischen, neues erblicke ich,
Auch die Töchter ereilt hier schon der blutige Mord. Die hier fällt an die Brust der Erzeugerin, jene zur Erde,
Diese umfasset das Knie, jene verbirgt sich im Schoß, Eine bedroht aus der Ferne der Pfeil, die fühlt in der Brust ihn,
Jene mit brechendem Aug' suchet das schwindende Licht. Nun schließt starrend die Mutter die einst großprahlenden Lippen,
Und vom Schrecken betäubt wird sie noch lebend zum Stein.
Wir haben keine Bürgschaft, daß die Dichter dieselbe Gruppe im Sinne hatten, welche Plinius in Rom sah, und war es der Fall, so gehört die er¬ haltene Niobe nicht dazu. Denn sie kann nie in der Art von vier Töchtern umdrängt gewesen sein, wie Meleager >sie schildert, und die beiden von Anti¬ pater als charakteristisch hervorgehobenen Motive, das trotzige Aufheben der Hand gegen die Götter und das frei, wie im begeisterten Schwung wal¬ lende Haar, finden wir nicht bei derselben. Das letzte, auch von Meleager angedeutet, war allerdings ein Motiv, das Skopas wie Praxiteles zum Ausdruck schwärmerischer Erregung und zur Darlegung technischer Virtuosi¬ tät auch sonst anwendeten; indeß gibt das noch keinen zwingenden Beweis. Ebensowenig zwingend ist freilich die Beweisführung: Plinius kannte w
nichts; ihnen war es nur um einen berühmten Künstlernamen zu thun. Hätte Plinius nur wenigstens noch etwas näheres über die Darstellung selbst berichtet! Eine Reihe von Epigrammen, die gern an berühmte Kunstwerke anknüpfen, überbietet sich in Pointen über die versteinerte Niobe, nur zwei beziehen sich wahrscheinlich auf eine Gruppe, eins von Antipater von Sidon (um 138 v. Chr.)
Sprich, was sehest du drohend die Hand, o Weib, zum Olymp aus,
Los'se das begeisterte Haar von dem entgeisteten Haupt? Letos mächtigen Zorn, jetzt fühlst du ihn, kinderbeglückte,
Jetzo bereue den Zwist, den du so frevelnd erregt. Hier zuckt eine der Töchter, entseelt schon lieget die andre,
Auch die dritte ereilt schon das verhaßte Geschick. Noch nicht endet dein Leiden, denn auch der blühenden Söhne
Schaar liegt niedergestreckt, deckend den Boden umher. ' Und du, welche das schwere Geschick mit Thränen beklagest,
Wirst vom Schrecken entseelt, Niobe, starrender Fels.
Das andere von Meleager (um 270 v. Chr.) führt einen Boten redend ein:
Niobe, Tantalvs Tochter, vernimm die entsetzliche Botschaft,
Deines harten Geschicks traurige Kunde vernimm. Löhe die Banden des Haars, Unglückliche, Phoebus Apollos
Fernher treffendem Pfeil waren die Söhne gezeugt. Söhne hast du nicht mehr. Ihr Himmlischen, neues erblicke ich,
Auch die Töchter ereilt hier schon der blutige Mord. Die hier fällt an die Brust der Erzeugerin, jene zur Erde,
Diese umfasset das Knie, jene verbirgt sich im Schoß, Eine bedroht aus der Ferne der Pfeil, die fühlt in der Brust ihn,
Jene mit brechendem Aug' suchet das schwindende Licht. Nun schließt starrend die Mutter die einst großprahlenden Lippen,
Und vom Schrecken betäubt wird sie noch lebend zum Stein.
Wir haben keine Bürgschaft, daß die Dichter dieselbe Gruppe im Sinne hatten, welche Plinius in Rom sah, und war es der Fall, so gehört die er¬ haltene Niobe nicht dazu. Denn sie kann nie in der Art von vier Töchtern umdrängt gewesen sein, wie Meleager >sie schildert, und die beiden von Anti¬ pater als charakteristisch hervorgehobenen Motive, das trotzige Aufheben der Hand gegen die Götter und das frei, wie im begeisterten Schwung wal¬ lende Haar, finden wir nicht bei derselben. Das letzte, auch von Meleager angedeutet, war allerdings ein Motiv, das Skopas wie Praxiteles zum Ausdruck schwärmerischer Erregung und zur Darlegung technischer Virtuosi¬ tät auch sonst anwendeten; indeß gibt das noch keinen zwingenden Beweis. Ebensowenig zwingend ist freilich die Beweisführung: Plinius kannte w
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Hätte Plinius nur wenigstens noch etwas näheres über die Darstellung selbst
berichtet! Eine Reihe von Epigrammen, die gern an berühmte Kunstwerke
anknüpfen, überbietet sich in Pointen über die versteinerte Niobe, nur zwei
beziehen sich wahrscheinlich auf eine Gruppe, eins von Antipater von
Sidon (um 138 v. Chr.)
Sprich, was sehest du drohend die Hand, o Weib, zum Olymp aus,
Los'se das begeisterte Haar von dem entgeisteten Haupt?
Letos mächtigen Zorn, jetzt fühlst du ihn, kinderbeglückte,
Jetzo bereue den Zwist, den du so frevelnd erregt.
Hier zuckt eine der Töchter, entseelt schon lieget die andre,
Auch die dritte ereilt schon das verhaßte Geschick.
Noch nicht endet dein Leiden, denn auch der blühenden Söhne
Schaar liegt niedergestreckt, deckend den Boden umher. '
Und du, welche das schwere Geschick mit Thränen beklagest,
Wirst vom Schrecken entseelt, Niobe, starrender Fels.
Das andere von Meleager (um 270 v. Chr.) führt einen Boten redend ein:
Niobe, Tantalvs Tochter, vernimm die entsetzliche Botschaft,
Deines harten Geschicks traurige Kunde vernimm.
Löhe die Banden des Haars, Unglückliche, Phoebus Apollos
Fernher treffendem Pfeil waren die Söhne gezeugt.
Söhne hast du nicht mehr. Ihr Himmlischen, neues erblicke ich,
Auch die Töchter ereilt hier schon der blutige Mord.
Die hier fällt an die Brust der Erzeugerin, jene zur Erde,
Diese umfasset das Knie, jene verbirgt sich im Schoß,
Eine bedroht aus der Ferne der Pfeil, die fühlt in der Brust ihn,
Jene mit brechendem Aug' suchet das schwindende Licht.
Nun schließt starrend die Mutter die einst großprahlenden Lippen,
Und vom Schrecken betäubt wird sie noch lebend zum Stein.
Wir haben keine Bürgschaft, daß die Dichter dieselbe Gruppe im Sinne
hatten, welche Plinius in Rom sah, und war es der Fall, so gehört die er¬
haltene Niobe nicht dazu. Denn sie kann nie in der Art von vier Töchtern
umdrängt gewesen sein, wie Meleager >sie schildert, und die beiden von Anti¬
pater als charakteristisch hervorgehobenen Motive, das trotzige Aufheben
der Hand gegen die Götter und das frei, wie im begeisterten Schwung wal¬
lende Haar, finden wir nicht bei derselben. Das letzte, auch von Meleager
angedeutet, war allerdings ein Motiv, das Skopas wie Praxiteles zum
Ausdruck schwärmerischer Erregung und zur Darlegung technischer Virtuosi¬
tät auch sonst anwendeten; indeß gibt das noch keinen zwingenden Beweis.
Ebensowenig zwingend ist freilich die Beweisführung: Plinius kannte w
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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/90>, abgerufen am 23.01.2025.
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