Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.ter charakterisirt, erweiterten und bereicherten unmittelbar die Kenntniß der Zu Anfang des Jahrs 1S83 wurden in einer Vigna nicht weit vom ter charakterisirt, erweiterten und bereicherten unmittelbar die Kenntniß der Zu Anfang des Jahrs 1S83 wurden in einer Vigna nicht weit vom <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0089" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117621"/> <p xml:id="ID_279" prev="#ID_278"> ter charakterisirt, erweiterten und bereicherten unmittelbar die Kenntniß der<lb/> Kunstgeschichte und scharfem Blick und Gefühl für das Griechische. Die<lb/> so vorbereitete Prüfung mußte unter dem Inventarium der Winckelmannschen<lb/> Kunstgeschichte bedeutend aufräumen. Der veränderte Maßstab änderte Werth<lb/> und Stellung, nicht wenige Fragen und Zweifel lösten sich wie von selbst,<lb/> neue Gesichtspunkte führten zu neuen Combinationen und Resultaten, aber<lb/> auch zu ungeahnten Schwierigkeiten und Problemen. Begreiflicherweise be¬<lb/> drohte die neugewonnene Einsicht manchen wohlerworbenen Besitz, manche<lb/> berechtigte Eigenthümlichkeit der kunsthistorischen Auffassung, Lieblingsaxiome<lb/> erwiesen sich als Vorurtheile, anerkannte Größen verloren' ihren Nimbus.<lb/> So wurde auch der Skepticismus, mit dem Mengs die Niobegruppe<lb/> betrachtet hatte, durch eine Reihe monumentaler Entdeckungen Schritt vor<lb/> Schritt gerechtfertigt und aufgeklärt.</p><lb/> <p xml:id="ID_280" next="#ID_281"> Zu Anfang des Jahrs 1S83 wurden in einer Vigna nicht weit vom<lb/> Lateran, in einer Gegend, welche nicht wenig bedeutende Kunstwerke zu<lb/> Tage gebracht hat, vierzehn Statuen gefunden, welche man sofort auf die<lb/> Sage der Niobe deutete. Das königliche Weib, welches „vom Gewölke<lb/> der Trauer beschattet die Brau'n" die thränenschwangeren Augen nach oben<lb/> wendet, während sie die in den mütterlichen Schoß sich schmiegende Tochter<lb/> an sich drückt, konnte nur Niobe sein; Jungfrauen und Jünglinge flüchtend,<lb/> verwundet, im Tode dahin gestreckt gehörten offenbar mit ihr einer großen<lb/> Gruppe an. Und welche sollte das sein als die von Plinius gepriesene?<lb/> Leider sagt er uns wenig genug. Der gewiß sehr richtigen Bemerkung,<lb/> daß in Rom niemand vor Geschäften und Zerstreuungen zu einer gesammel¬<lb/> ten stillen Betrachtung der Kunstwerke komme, wie sie Voraussetzung wahren<lb/> Genusses und Verständnisses sei, und daß die dort zusammengehäufte Masse<lb/> von Kunstwerken ersten Ranges den einzelnen die verdiente Würdigung ent¬<lb/> ziehe, sodaß man von den bedeutendsten Werken nicht einmal den Künstler<lb/> angeben könne, fügt er als ein schlagendes Beispiel hinzu, die Ansichten<lb/> schwanken, ob die sterbenden Kinder der Niobe von Skopas oder Praxi¬<lb/> teles seien. Also einen urkundlichen Beleg über den Urheber der Gruppe<lb/> hatte man in Rom nicht. Sohns, der sie nach Rom brachte — vermuth¬<lb/> lich derselbe, der im Jahr 38 v, Chr. als Legat des Antonius in Asien Krieg<lb/> führte und im I. 33 einen Triumph über Judäa feierte — hatte es nicht der<lb/> Mühe werth gefunden, in seiner Triumphal- oder Dedicationsurkunde den<lb/> Künstler nahmhast zu machen, auch von den Kunstkennern, Antiquaren, Kata-<lb/> logabfassern hatte keiner sich veranlaßt gesunden, etwa an dem Ort, wo<lb/> Gruppe früher gestanden hatte, Erkundigungen einzuziehen, und aus<lb/> inneren Gründen traute man sich nicht, die Frage zu entscheiden. Daß ein<lb/> Paar späte Epigramme Praxiteles als Bildner einer Niobe nennen, beweist</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0089]
ter charakterisirt, erweiterten und bereicherten unmittelbar die Kenntniß der
Kunstgeschichte und scharfem Blick und Gefühl für das Griechische. Die
so vorbereitete Prüfung mußte unter dem Inventarium der Winckelmannschen
Kunstgeschichte bedeutend aufräumen. Der veränderte Maßstab änderte Werth
und Stellung, nicht wenige Fragen und Zweifel lösten sich wie von selbst,
neue Gesichtspunkte führten zu neuen Combinationen und Resultaten, aber
auch zu ungeahnten Schwierigkeiten und Problemen. Begreiflicherweise be¬
drohte die neugewonnene Einsicht manchen wohlerworbenen Besitz, manche
berechtigte Eigenthümlichkeit der kunsthistorischen Auffassung, Lieblingsaxiome
erwiesen sich als Vorurtheile, anerkannte Größen verloren' ihren Nimbus.
So wurde auch der Skepticismus, mit dem Mengs die Niobegruppe
betrachtet hatte, durch eine Reihe monumentaler Entdeckungen Schritt vor
Schritt gerechtfertigt und aufgeklärt.
Zu Anfang des Jahrs 1S83 wurden in einer Vigna nicht weit vom
Lateran, in einer Gegend, welche nicht wenig bedeutende Kunstwerke zu
Tage gebracht hat, vierzehn Statuen gefunden, welche man sofort auf die
Sage der Niobe deutete. Das königliche Weib, welches „vom Gewölke
der Trauer beschattet die Brau'n" die thränenschwangeren Augen nach oben
wendet, während sie die in den mütterlichen Schoß sich schmiegende Tochter
an sich drückt, konnte nur Niobe sein; Jungfrauen und Jünglinge flüchtend,
verwundet, im Tode dahin gestreckt gehörten offenbar mit ihr einer großen
Gruppe an. Und welche sollte das sein als die von Plinius gepriesene?
Leider sagt er uns wenig genug. Der gewiß sehr richtigen Bemerkung,
daß in Rom niemand vor Geschäften und Zerstreuungen zu einer gesammel¬
ten stillen Betrachtung der Kunstwerke komme, wie sie Voraussetzung wahren
Genusses und Verständnisses sei, und daß die dort zusammengehäufte Masse
von Kunstwerken ersten Ranges den einzelnen die verdiente Würdigung ent¬
ziehe, sodaß man von den bedeutendsten Werken nicht einmal den Künstler
angeben könne, fügt er als ein schlagendes Beispiel hinzu, die Ansichten
schwanken, ob die sterbenden Kinder der Niobe von Skopas oder Praxi¬
teles seien. Also einen urkundlichen Beleg über den Urheber der Gruppe
hatte man in Rom nicht. Sohns, der sie nach Rom brachte — vermuth¬
lich derselbe, der im Jahr 38 v, Chr. als Legat des Antonius in Asien Krieg
führte und im I. 33 einen Triumph über Judäa feierte — hatte es nicht der
Mühe werth gefunden, in seiner Triumphal- oder Dedicationsurkunde den
Künstler nahmhast zu machen, auch von den Kunstkennern, Antiquaren, Kata-
logabfassern hatte keiner sich veranlaßt gesunden, etwa an dem Ort, wo
Gruppe früher gestanden hatte, Erkundigungen einzuziehen, und aus
inneren Gründen traute man sich nicht, die Frage zu entscheiden. Daß ein
Paar späte Epigramme Praxiteles als Bildner einer Niobe nennen, beweist
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