Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.Oestreicher kein nothwendiges Complement der östreichischen Suprematie in Und doch hatte dieses Concordat die schweren Schläge, welche die Mon¬ Erst in den letzten Tagen ist das entscheidende Wort gesprochen, ein großer 1*
Oestreicher kein nothwendiges Complement der östreichischen Suprematie in Und doch hatte dieses Concordat die schweren Schläge, welche die Mon¬ Erst in den letzten Tagen ist das entscheidende Wort gesprochen, ein großer 1*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0007" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117539"/> <p xml:id="ID_7" prev="#ID_6"> Oestreicher kein nothwendiges Complement der östreichischen Suprematie in<lb/> Deutschland und Italien gewesen — über dasselbe wurde daher früher und<lb/> klarer abgeurtheilt, wie über die Maximen der k. k. auswärtigen Politik.<lb/> Das Prästige des Kaiserstaates über die deutsche und italienische Welt schmei¬<lb/> chelte der Natur der Sache nach auch vielen östreichischen Patrioten, die ernst¬<lb/> lich eine freiheitliche Entwicklung ihres Vaterlandes wünschten, aber nicht<lb/> einsehen wollten, daß dieselbe unmöglich sei, solange die Worte Oestreich und<lb/> Unfreiheit im Auslande identisch waren. Auf das Concordat und die Bevor¬<lb/> mundung des Staats durch die römische Kirche, die mit dieser auswärtigen<lb/> Politik scheinbar nichts zu thun hatte, war es darum von den östreichischen<lb/> Volksmännern schon abgesehen, als dieselben noch Italien und Preußen für<lb/> die geschworenen Feinde ihrer heiligsten Interessen ansah.</p><lb/> <p xml:id="ID_8"> Und doch hatte dieses Concordat die schweren Schläge, welche die Mon¬<lb/> archie in den Jahren 1859 und 1866 getroffen, und den Zusammensturz der<lb/> alten Herrlichkeit überlebt. Als die Entschuldigung, daß man der Curie aus<lb/> Rücksicht auf deren deutsche und italische Bundesgenossen bedürfe, längst allen<lb/> Sinn verloren hatte — bestand der Vertrag immer noch weiter fort, welcher<lb/> das Unterrichtswesen, die Gerichtsbarkeit in Ehesachen und die Stellung der<lb/> Akatholiken Oestreichs von dem guten Willen der Bischöfe und ihrer Unter¬<lb/> gebenen abhängig machte. So lange es in diesem Stück nicht anders wurde,<lb/> war es mehr wie gerechtfertigt, wenn die Liberalen diesseir und jenseit der<lb/> böhmischen Berge dem Frieden nicht trauen, der Versicherung nicht Glauben<lb/> schenken wollten, daß es dieses Mal mit der Herstellung eines wahren Ver¬<lb/> fassungslebens ernster gemeint sei, als zu Zeiten jener Schmerlingschen Aera,<lb/> die mit dem Drei-Grafen-Ministerium und der Proscription des deutschen<lb/> Wesens in den Kronländern schloß.</p><lb/> <p xml:id="ID_9" next="#ID_10"> Erst in den letzten Tagen ist das entscheidende Wort gesprochen, ein großer<lb/> Stein aus der chinesischen Mauer gebrochen worden, welche Oestreichs inneres<lb/> Staatsleben von moderner Bildung schied. Die neuen Minister haben die Hand<lb/> an das Werk gelegt, ohne zurück zu schauen und die Ueberzeugung, daß sie und<lb/> die von ihnen vertretene Dynastie nicht mehr zurück können, hat die Deutsch-<lb/> Oestreicher aus der Lethargie aufgerüttelt, in welche dieselben nach dem furcht¬<lb/> baren moralischen Schlag gesunken waren, der ihnen durch die Suspension<lb/> der Verfassung und das Experiment mit dem slawischen Föderalismus ver¬<lb/> setzt worden war. Wenn durch die Straßen Wiens jetzt jubelnd verkündigt<lb/> wird, der lang erwartete, oft angesägte Tag der Wiedergeburt Oestreichs sei<lb/> wirklich angebrochen, so hat man dieses Mal Recht. Nachdem das Herren¬<lb/> haus sich für Annahme des Ehegesetzes und Derogation der entgegenstehenden<lb/> Bestimmungen des Concordats ausgesprochen, ist das Geschick dieses Vertra¬<lb/> ges überhaupt entschieden, und die Sicherheit gewonnen worden, daß auch den</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 1*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0007]
Oestreicher kein nothwendiges Complement der östreichischen Suprematie in
Deutschland und Italien gewesen — über dasselbe wurde daher früher und
klarer abgeurtheilt, wie über die Maximen der k. k. auswärtigen Politik.
Das Prästige des Kaiserstaates über die deutsche und italienische Welt schmei¬
chelte der Natur der Sache nach auch vielen östreichischen Patrioten, die ernst¬
lich eine freiheitliche Entwicklung ihres Vaterlandes wünschten, aber nicht
einsehen wollten, daß dieselbe unmöglich sei, solange die Worte Oestreich und
Unfreiheit im Auslande identisch waren. Auf das Concordat und die Bevor¬
mundung des Staats durch die römische Kirche, die mit dieser auswärtigen
Politik scheinbar nichts zu thun hatte, war es darum von den östreichischen
Volksmännern schon abgesehen, als dieselben noch Italien und Preußen für
die geschworenen Feinde ihrer heiligsten Interessen ansah.
Und doch hatte dieses Concordat die schweren Schläge, welche die Mon¬
archie in den Jahren 1859 und 1866 getroffen, und den Zusammensturz der
alten Herrlichkeit überlebt. Als die Entschuldigung, daß man der Curie aus
Rücksicht auf deren deutsche und italische Bundesgenossen bedürfe, längst allen
Sinn verloren hatte — bestand der Vertrag immer noch weiter fort, welcher
das Unterrichtswesen, die Gerichtsbarkeit in Ehesachen und die Stellung der
Akatholiken Oestreichs von dem guten Willen der Bischöfe und ihrer Unter¬
gebenen abhängig machte. So lange es in diesem Stück nicht anders wurde,
war es mehr wie gerechtfertigt, wenn die Liberalen diesseir und jenseit der
böhmischen Berge dem Frieden nicht trauen, der Versicherung nicht Glauben
schenken wollten, daß es dieses Mal mit der Herstellung eines wahren Ver¬
fassungslebens ernster gemeint sei, als zu Zeiten jener Schmerlingschen Aera,
die mit dem Drei-Grafen-Ministerium und der Proscription des deutschen
Wesens in den Kronländern schloß.
Erst in den letzten Tagen ist das entscheidende Wort gesprochen, ein großer
Stein aus der chinesischen Mauer gebrochen worden, welche Oestreichs inneres
Staatsleben von moderner Bildung schied. Die neuen Minister haben die Hand
an das Werk gelegt, ohne zurück zu schauen und die Ueberzeugung, daß sie und
die von ihnen vertretene Dynastie nicht mehr zurück können, hat die Deutsch-
Oestreicher aus der Lethargie aufgerüttelt, in welche dieselben nach dem furcht¬
baren moralischen Schlag gesunken waren, der ihnen durch die Suspension
der Verfassung und das Experiment mit dem slawischen Föderalismus ver¬
setzt worden war. Wenn durch die Straßen Wiens jetzt jubelnd verkündigt
wird, der lang erwartete, oft angesägte Tag der Wiedergeburt Oestreichs sei
wirklich angebrochen, so hat man dieses Mal Recht. Nachdem das Herren¬
haus sich für Annahme des Ehegesetzes und Derogation der entgegenstehenden
Bestimmungen des Concordats ausgesprochen, ist das Geschick dieses Vertra¬
ges überhaupt entschieden, und die Sicherheit gewonnen worden, daß auch den
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