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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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sein mußten, die Stärke, weil die Interessen kleinstaatlicher Höfe und Höflinge
von Wien aus ebenso genährt wurden, wie die Utopien von der Gleich¬
berechtigung und Souveränität aller einzelnen deutschen Stämme. Das Band
endlich, welches von der Hofburg zum Vatican reichte, zwang den deutschen
Protestantismus, täglich auf seiner Hut zu sein gegen halbe und ganze
Römlinge und gegen die unverjährbaren Ansprüche einer Kirche, welche den
Status Mo vor 1317 noch im 19. Jahrhundert für das rechtlich gegebene
Verhältniß ansah.

Die Geschichte hat ebenso gegen die deutsche wie gegen die italienische
Politik der Nachfolger des fünften Carl entschieden -- die großen Ansprüche,
mit denen Oestreich noch aus der Krisis von 1848 siegreich hervorging, sind
seit 1866 sür immer zu Boden geschlagen. Der Bankerott, den dieselben
erlitten, ist -- wie wir die Dinge ansehen, ein doppelter gewesen, ein innerer
wie ein äußerer. Mehr und mehr beginnt der intelligentere und sittlichere
Theil der Deutsch-Oestreicher einzusehen, daß die Politik, welche seine Herr¬
scher gegen Deutschland und Italien übten, dem eignen Staat noch unheil¬
voller gewesen ist, als den Stammesgenossen und Nachbarn. Eine Regierung,
die ihre eiserne Krone nur wahren konnte, wenn sie jenseit der Alpen jede
freie sittliche Regung erstickte, die öffentliche Sittlichkeit und das National¬
gefühl untergrub und den Belagerungszustand in Permanenz erklärte, konnte
am eignen Heerde nicht anders wie despotisch verfahren. Galt der italienische
Constitutionalismus den Metternich und Genossen sür die Axt, welche an
die Wurzeln ihres Systems gelegt war, so konnten dieselben den Gedanken
an Rechte der Unterthanen gegenüber der Regierung auch in der Heimath
nicht dulden, sie-mußten das Maß, mit welchem jenseit der Alpen gemessen
wurde, auch an der Donau handhaben. Der enge Bund mit den kleinen
deutschen Höfen machte die östreichische Politik zugleich zur Feindin der
deutschen Oestreicher, welche über Volksfreiheit und Verfassungsleben ebenso
dachten, wie die Liberalen im Reich.

Die Geschichte der letzten Jahre hat uns der Mühe erhoben, diese einfachen
und bekannten Sätze mit Beweisen zu erhärten. Nachdem sich die Völker
Oestreichs gegen das alte System mit den Waffen erhoben hatten, wurde der
erste Versuch zur Begründung eines östreichischen Rechtsstaats gemacht, erst nach¬
dem die Hofburg auf das Präsidium im deutschen Bunde verzichtet und Deutsch¬
lands Unabhängigkeit von den östreichischen Interessen anerkannt hatte, wurde
mit diesem Versuch Ernst gemacht. Aber bevor auch auf das dritte Stück des alten
Habsburgischen Catechismus verzichtet worden war, ließ sich das Mißtrauen derer,
welche von den früheren Erfahrungen etwas gelernt hatten, nicht beschwichtigen.
Dieses dritte Stück, das Bündniß mit der Curie und deren Ansprüche auf
Herrschaft über die Köpfe und Herzen war nach der Meinung vieler Deutsch-


sein mußten, die Stärke, weil die Interessen kleinstaatlicher Höfe und Höflinge
von Wien aus ebenso genährt wurden, wie die Utopien von der Gleich¬
berechtigung und Souveränität aller einzelnen deutschen Stämme. Das Band
endlich, welches von der Hofburg zum Vatican reichte, zwang den deutschen
Protestantismus, täglich auf seiner Hut zu sein gegen halbe und ganze
Römlinge und gegen die unverjährbaren Ansprüche einer Kirche, welche den
Status Mo vor 1317 noch im 19. Jahrhundert für das rechtlich gegebene
Verhältniß ansah.

Die Geschichte hat ebenso gegen die deutsche wie gegen die italienische
Politik der Nachfolger des fünften Carl entschieden — die großen Ansprüche,
mit denen Oestreich noch aus der Krisis von 1848 siegreich hervorging, sind
seit 1866 sür immer zu Boden geschlagen. Der Bankerott, den dieselben
erlitten, ist — wie wir die Dinge ansehen, ein doppelter gewesen, ein innerer
wie ein äußerer. Mehr und mehr beginnt der intelligentere und sittlichere
Theil der Deutsch-Oestreicher einzusehen, daß die Politik, welche seine Herr¬
scher gegen Deutschland und Italien übten, dem eignen Staat noch unheil¬
voller gewesen ist, als den Stammesgenossen und Nachbarn. Eine Regierung,
die ihre eiserne Krone nur wahren konnte, wenn sie jenseit der Alpen jede
freie sittliche Regung erstickte, die öffentliche Sittlichkeit und das National¬
gefühl untergrub und den Belagerungszustand in Permanenz erklärte, konnte
am eignen Heerde nicht anders wie despotisch verfahren. Galt der italienische
Constitutionalismus den Metternich und Genossen sür die Axt, welche an
die Wurzeln ihres Systems gelegt war, so konnten dieselben den Gedanken
an Rechte der Unterthanen gegenüber der Regierung auch in der Heimath
nicht dulden, sie-mußten das Maß, mit welchem jenseit der Alpen gemessen
wurde, auch an der Donau handhaben. Der enge Bund mit den kleinen
deutschen Höfen machte die östreichische Politik zugleich zur Feindin der
deutschen Oestreicher, welche über Volksfreiheit und Verfassungsleben ebenso
dachten, wie die Liberalen im Reich.

Die Geschichte der letzten Jahre hat uns der Mühe erhoben, diese einfachen
und bekannten Sätze mit Beweisen zu erhärten. Nachdem sich die Völker
Oestreichs gegen das alte System mit den Waffen erhoben hatten, wurde der
erste Versuch zur Begründung eines östreichischen Rechtsstaats gemacht, erst nach¬
dem die Hofburg auf das Präsidium im deutschen Bunde verzichtet und Deutsch¬
lands Unabhängigkeit von den östreichischen Interessen anerkannt hatte, wurde
mit diesem Versuch Ernst gemacht. Aber bevor auch auf das dritte Stück des alten
Habsburgischen Catechismus verzichtet worden war, ließ sich das Mißtrauen derer,
welche von den früheren Erfahrungen etwas gelernt hatten, nicht beschwichtigen.
Dieses dritte Stück, das Bündniß mit der Curie und deren Ansprüche auf
Herrschaft über die Köpfe und Herzen war nach der Meinung vieler Deutsch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/6>, abgerufen am 15.01.2025.