Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.Plowden kannte die südlichen Provinzen, das Land der Gallas, nicht, und Die allgemeine Volkstracht ist ein aus einheimischen Stoffen gefertigter Plowden kannte die südlichen Provinzen, das Land der Gallas, nicht, und Die allgemeine Volkstracht ist ein aus einheimischen Stoffen gefertigter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0067" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117599"/> <p xml:id="ID_220" prev="#ID_219"> Plowden kannte die südlichen Provinzen, das Land der Gallas, nicht, und<lb/> was er erzählt, gilt nur von den nördlichen Theilen Andaras und Tigres,<lb/> aber es ist das beste, was über diesen Erdstrich bisher geschrieben wurde.<lb/> Plowden und Bell hatten bei Theodor, damals noch Dejai Kasai genannt,<lb/> gelebt und Dank ihren Rathschlägen war aus dem ehemaligen Leibeignen<lb/> ein hervorragender Fürst geworden. Ganz gegen das Naturell seiner Lands¬<lb/> leute, bei denen Hang zur Stabilität ein Hauptcharakterzug ist, war er zu<lb/> verbessernden Neuerungen geneigt, hatte seine Soldaten disciplinirt, sie ohne<lb/> ungeheure Trains, wie sie sonst im Lande üblich sind, fechten gelehrt, hatte<lb/> den geistlichen Einfluß gebrochen, die Kirchengüter säcularisirt, in Justiz und<lb/> Administration mannigfache Verbesserungen eingeführt und den Gewerbefleiß<lb/> ermuthigt. Doch auch schon damals, wo er sich bestrebte, freundlich und<lb/> freimüthig zu erscheinen, waren leidenschaftliche Ausbrüche bei ihm nicht selten.<lb/> Seitdem aber soll er sich bedeutend verschlimmert haben. Er ist durch Tyrannei<lb/> verwildert und ein arger Trunkenbold geworden, der sich damit unterhält, bei<lb/> seinen Gastmählern unter dem Tische auf die Beine seiner Gäste zu schießen.<lb/> Das Land selbst ist reich und fruchtbar, in den höher liegenden Gegenden<lb/> gesund, in den Thälern aber herrschen zuweilen böse Fieber. Trotz der<lb/> Fruchtbarkeit des Bodens gehört es jedoch zu den schwierigen Aufgaben,<lb/> den täglichen Bedarf eines Hauses zu beschaffen. Ein Häuptling kann alles<lb/> auch ohne Bezahlung haben, ein Fremder mit vollen Taschen Hungers ster¬<lb/> ben, denn für Geld ist nur auf den Märkten, die oft weit abliegen, etwas<lb/> zu bekommen, Kauf- und Kramläden gibt es nicht. Was zum Haushalte<lb/> gehört, muß im Hause selbst gemacht werden. Gold eignen Gepräges ist nicht<lb/> vorhanden; die einzige circulirende Münze ist der Theresienthaler. In Tigre<lb/> wechselt man diese Geldsorte gegen Baumwolltücher verschiedener Länge, in<lb/> Amhara gegen Salzstücke aus. Gold, das früher häufig gewesen und nach<lb/> dem Gewichte getauscht worden sein soll, ist ganz verschwunden, obwohl es<lb/> im Lande Gold' und Kupfergruben, auch Schwefel- und Salzminen gibt.</p><lb/> <p xml:id="ID_221" next="#ID_222"> Die allgemeine Volkstracht ist ein aus einheimischen Stoffen gefertigter<lb/> weiter weißer Baumwollmantel. Der Fremde, und wäre er noch so gut<lb/> gekleidet, erscheint in den Augen der Einwohner als Nackter, so lange er den<lb/> Mantel nicht trägt. Fremde Tracht und Sitte ist überhaupt Gegenstand<lb/> des Hohns und Spotts, gegen den der Abyssinier selbst übrigens sehr em¬<lb/> pfindlich ist. Die Waffe des Lächerlichen verwundet tief, während die öffent¬<lb/> liche Moral so stumpf ist, daß Verbrechen nicht schänden und die Weiber sich<lb/> ungescheut dem Umgange mit dem andern Geschlecht hingeben. Der Volks¬<lb/> charakter, munter und leichtlebig, ähnelt dem französischen. Gesprächigkeit,<lb/> Gewandtheit im Reden, Laune und Witz sind hervorstechende Eigenschaften<lb/> der Abyssinier. Im Einzelkampf sind sie tapfer, im Massengefecht weichen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0067]
Plowden kannte die südlichen Provinzen, das Land der Gallas, nicht, und
was er erzählt, gilt nur von den nördlichen Theilen Andaras und Tigres,
aber es ist das beste, was über diesen Erdstrich bisher geschrieben wurde.
Plowden und Bell hatten bei Theodor, damals noch Dejai Kasai genannt,
gelebt und Dank ihren Rathschlägen war aus dem ehemaligen Leibeignen
ein hervorragender Fürst geworden. Ganz gegen das Naturell seiner Lands¬
leute, bei denen Hang zur Stabilität ein Hauptcharakterzug ist, war er zu
verbessernden Neuerungen geneigt, hatte seine Soldaten disciplinirt, sie ohne
ungeheure Trains, wie sie sonst im Lande üblich sind, fechten gelehrt, hatte
den geistlichen Einfluß gebrochen, die Kirchengüter säcularisirt, in Justiz und
Administration mannigfache Verbesserungen eingeführt und den Gewerbefleiß
ermuthigt. Doch auch schon damals, wo er sich bestrebte, freundlich und
freimüthig zu erscheinen, waren leidenschaftliche Ausbrüche bei ihm nicht selten.
Seitdem aber soll er sich bedeutend verschlimmert haben. Er ist durch Tyrannei
verwildert und ein arger Trunkenbold geworden, der sich damit unterhält, bei
seinen Gastmählern unter dem Tische auf die Beine seiner Gäste zu schießen.
Das Land selbst ist reich und fruchtbar, in den höher liegenden Gegenden
gesund, in den Thälern aber herrschen zuweilen böse Fieber. Trotz der
Fruchtbarkeit des Bodens gehört es jedoch zu den schwierigen Aufgaben,
den täglichen Bedarf eines Hauses zu beschaffen. Ein Häuptling kann alles
auch ohne Bezahlung haben, ein Fremder mit vollen Taschen Hungers ster¬
ben, denn für Geld ist nur auf den Märkten, die oft weit abliegen, etwas
zu bekommen, Kauf- und Kramläden gibt es nicht. Was zum Haushalte
gehört, muß im Hause selbst gemacht werden. Gold eignen Gepräges ist nicht
vorhanden; die einzige circulirende Münze ist der Theresienthaler. In Tigre
wechselt man diese Geldsorte gegen Baumwolltücher verschiedener Länge, in
Amhara gegen Salzstücke aus. Gold, das früher häufig gewesen und nach
dem Gewichte getauscht worden sein soll, ist ganz verschwunden, obwohl es
im Lande Gold' und Kupfergruben, auch Schwefel- und Salzminen gibt.
Die allgemeine Volkstracht ist ein aus einheimischen Stoffen gefertigter
weiter weißer Baumwollmantel. Der Fremde, und wäre er noch so gut
gekleidet, erscheint in den Augen der Einwohner als Nackter, so lange er den
Mantel nicht trägt. Fremde Tracht und Sitte ist überhaupt Gegenstand
des Hohns und Spotts, gegen den der Abyssinier selbst übrigens sehr em¬
pfindlich ist. Die Waffe des Lächerlichen verwundet tief, während die öffent¬
liche Moral so stumpf ist, daß Verbrechen nicht schänden und die Weiber sich
ungescheut dem Umgange mit dem andern Geschlecht hingeben. Der Volks¬
charakter, munter und leichtlebig, ähnelt dem französischen. Gesprächigkeit,
Gewandtheit im Reden, Laune und Witz sind hervorstechende Eigenschaften
der Abyssinier. Im Einzelkampf sind sie tapfer, im Massengefecht weichen
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