Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.Armee von 60,000 Mann gebieten. Heute kann er kaum 3000 (?) Krieger um König Theodor und sein Volk waren in der letzten Versammlung der Armee von 60,000 Mann gebieten. Heute kann er kaum 3000 (?) Krieger um König Theodor und sein Volk waren in der letzten Versammlung der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0066" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117598"/> <p xml:id="ID_218" prev="#ID_217"> Armee von 60,000 Mann gebieten. Heute kann er kaum 3000 (?) Krieger um<lb/> sich schaaren. Diese Verminderung seiner Streitkräfte kann nicht überraschen,<lb/> wenn man erwägt, daß er öfters in einer Woche 2000 Soldaten ohne wei¬<lb/> teres hinschlachten läßt und eben so viele aus Furcht vor grausamem Tode<lb/> desertiren. Im Jahre 1863, versichert ein abyssinischer Reisender, Namens<lb/> Dufton, waren 20,000 Mann mit Percussionsgewehren, der Ueberrest mit<lb/> Schwertern und Speeren bewaffnet. Die irreguläre Armee zählte damals<lb/> gegen 100,000 Mann. Wie in der Kirche, so herrschen auch in der Armee<lb/> lächerliche und abergläubische Gebräuche. Der britische Major Harris<lb/> begleitete im Jahre 1840 eine militärische Expedition und beschreibt den Aus¬<lb/> marsch derselben folgendermaßen: Der Armee wurde eine Bibel und die<lb/> Bundeslade der Kathedrale von Se. Michael vorgetragen. Zunächst ritt der<lb/> König, dann folgte eine auf Eseln reitende Musikbande und zuletzt die Reihen<lb/> der Soldaten. Dem Zuge schlössen sich wohl an vierzig bis fünfzig Frauen¬<lb/> zimmer, sogenannte „Küchendragoner" arz, die in ihrer phantastischen<lb/> Tracht, mit ihren schmutzigen und roth geschminkten Gesichtern, gefärbten<lb/> Augenbraunen, großen Perücken auf dem Kopfe, einen seltsamen, fast hexen¬<lb/> artigen Anblick gewährten. Zwischen den Reihen der Soldaten drängten sich<lb/> Mönche und Eunuchen, welche mit langen weißen Stäben bewaffnet waren.<lb/> Ein sonderbar gemischter Train von Marketenderinnen, die unter der Last<lb/> von Bier- und Methvorräthen ächzten, Reiter, Fußgänger, Packpferde, Maul¬<lb/> thiere, Esel, Ochsen, Proviant und Munitionswagen schlössen den unendlich<lb/> langen Zug. Den König Theodorus schildert das Blaubuch als einen<lb/> Mann von 47 Jahren. Sein wirklicher Name ist Kaffa. Er nahm den<lb/> Namen Theodorus in Folge einer Prophezeiung an, der zufolge ein Herrscher<lb/> dieses Namens das Königreich Abyssinien auf eine zuvor nie gekannte Stufe<lb/> des Ruhmes und der Größe bringen würde. Er ist in kriegerischen Unter¬<lb/> nehmungen ausgewachsen, besitzt Talent, Muth und Energie. Er trinkt viel,<lb/> ohne jedoch ein Trunkenbold zu sein, ist aber ein Ungeheuer von Grausam¬<lb/> keit und sein größtes Vergnügen besteht darin, seine Opfer sorgfältig in<lb/> Kleider von Wachs einnahm zu lassen und sie wie Licht zu verbrennen.<lb/> Dr. Blanc, einer der abyssinischen Gefangenen, schreibt über ihn: Nero,<lb/> Attila und Tamerlan waren Lämmer in Vergleich zu Theodorus.<lb/> Mr. Flad, auch ein abyssinischer Gefangener, versichert, daß Theodorus<lb/> innerhalb sechs Wochen 4600 Personen zum Tode verurtheilt habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_219" next="#ID_220"> König Theodor und sein Volk waren in der letzten Versammlung der<lb/> Ethnological Society in London Gegenstand einer interessanten Verhandlung.<lb/> AIs Grundlage diente ein Bericht des einstigen englischen Consuls Plowden<lb/> aus dem Jahre 18S4, zu dem Rawlinson, Bete und andere, welche das Land<lb/> in neuester Zeit gesehen hatten, ihre berichtigenden Bemerkungen machten.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0066]
Armee von 60,000 Mann gebieten. Heute kann er kaum 3000 (?) Krieger um
sich schaaren. Diese Verminderung seiner Streitkräfte kann nicht überraschen,
wenn man erwägt, daß er öfters in einer Woche 2000 Soldaten ohne wei¬
teres hinschlachten läßt und eben so viele aus Furcht vor grausamem Tode
desertiren. Im Jahre 1863, versichert ein abyssinischer Reisender, Namens
Dufton, waren 20,000 Mann mit Percussionsgewehren, der Ueberrest mit
Schwertern und Speeren bewaffnet. Die irreguläre Armee zählte damals
gegen 100,000 Mann. Wie in der Kirche, so herrschen auch in der Armee
lächerliche und abergläubische Gebräuche. Der britische Major Harris
begleitete im Jahre 1840 eine militärische Expedition und beschreibt den Aus¬
marsch derselben folgendermaßen: Der Armee wurde eine Bibel und die
Bundeslade der Kathedrale von Se. Michael vorgetragen. Zunächst ritt der
König, dann folgte eine auf Eseln reitende Musikbande und zuletzt die Reihen
der Soldaten. Dem Zuge schlössen sich wohl an vierzig bis fünfzig Frauen¬
zimmer, sogenannte „Küchendragoner" arz, die in ihrer phantastischen
Tracht, mit ihren schmutzigen und roth geschminkten Gesichtern, gefärbten
Augenbraunen, großen Perücken auf dem Kopfe, einen seltsamen, fast hexen¬
artigen Anblick gewährten. Zwischen den Reihen der Soldaten drängten sich
Mönche und Eunuchen, welche mit langen weißen Stäben bewaffnet waren.
Ein sonderbar gemischter Train von Marketenderinnen, die unter der Last
von Bier- und Methvorräthen ächzten, Reiter, Fußgänger, Packpferde, Maul¬
thiere, Esel, Ochsen, Proviant und Munitionswagen schlössen den unendlich
langen Zug. Den König Theodorus schildert das Blaubuch als einen
Mann von 47 Jahren. Sein wirklicher Name ist Kaffa. Er nahm den
Namen Theodorus in Folge einer Prophezeiung an, der zufolge ein Herrscher
dieses Namens das Königreich Abyssinien auf eine zuvor nie gekannte Stufe
des Ruhmes und der Größe bringen würde. Er ist in kriegerischen Unter¬
nehmungen ausgewachsen, besitzt Talent, Muth und Energie. Er trinkt viel,
ohne jedoch ein Trunkenbold zu sein, ist aber ein Ungeheuer von Grausam¬
keit und sein größtes Vergnügen besteht darin, seine Opfer sorgfältig in
Kleider von Wachs einnahm zu lassen und sie wie Licht zu verbrennen.
Dr. Blanc, einer der abyssinischen Gefangenen, schreibt über ihn: Nero,
Attila und Tamerlan waren Lämmer in Vergleich zu Theodorus.
Mr. Flad, auch ein abyssinischer Gefangener, versichert, daß Theodorus
innerhalb sechs Wochen 4600 Personen zum Tode verurtheilt habe.
König Theodor und sein Volk waren in der letzten Versammlung der
Ethnological Society in London Gegenstand einer interessanten Verhandlung.
AIs Grundlage diente ein Bericht des einstigen englischen Consuls Plowden
aus dem Jahre 18S4, zu dem Rawlinson, Bete und andere, welche das Land
in neuester Zeit gesehen hatten, ihre berichtigenden Bemerkungen machten.
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