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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Gymnasiallehrer oder Professor der Theologie, einen Prediger oder Professor der
Philosophie/aus einem absolvirten Theologen macht?, wenn man nicht etwa aus
Politik auf das Verhältniß Rücksicht nahm, in welchem das eine oder andere
Ordensmitglied zu großen Häusern oder zu Männern von Einfluß stand.

Nachdem der Jesuit sich fünf Jahre lang mit allem andern, nur nicht mit
den Gymnasialwissenschaften beschäftigt, und so das Wenige, was er früher ge¬
wußt, gründlich vergessen hatte, langte der zum Gymnasiallehrer bestimmte Sohn
des Ordens wiederum bei dem Ausgangspunkt seiner Laufbahn an, vielleicht
noch immer mit seinem Schicksal darüber rechtend, daß er schon wieder zu einem
Berufe verurtheilt worden war, zu welchem er weder Liebe noch Talent
besaß. In solchen Fällen that der jesuitische Gymnasiallehrer nur, was er
unmöglich unterlassen konnte, und wetteiferte so in Nachlässigkeit mit seinen
jüngeren Collegen, den Magistern, die aus Ueberbürdun'g mit Arbeiten oft
kaum das Nöthigste zu leisten vermochten. Am meisten litt natürlich die Ju<
gerd und in weiterem Kreise der Staat. Wie viel der Orden in dieser Be¬
ziehung gesündigt hat, haben Mitglieder desselben selbst offen gestanden und
kein Hehl daraus gemacht, daß sie nicht, wie es sein sollte, väterlich, sondern
recht eigentlich despotisch regiert würden.

Eine weitere Vorbildung für den Unterricht in den höheren Classen er¬
hielt der Jesuit nirgend mehr, und die meist längst vergessenen Lehren in
der Repetitivn mußten auch für die höheren Classen, für welche man sonder¬
barer Weise eine specielle Vorbereitung nicht für nöthig erachtete, ausreichen.
Der Jesuit, der einmal zum Lehrer in den beiden höheren Classen -- zum
s. g. Humanitätslehrer bestimmt war, gehörte diesem Stande in der
Regel bis an sein Ende an. Höchstens daß er in seinem Alter praotootuL
öluäioruiu oder Lehrer der Repetenten wurde.

Niemand wird verkennen, daß es bei dieser Vorbildung zum Gymnasial¬
lehramt kaum dem befähigtsten Kopfe bei dem besten Willen und dem un-
ermüdetsten Fleiße möglich war. auch nur bescheidenen Ansprüchen zu ge¬
nügen. Was für Mißerfolge mußten sich erst ergeben, wenn der Lehrer talent¬
los, träge, oder zu seinem Beruf unlustig war. Aber so wenig die Obern
jemals begriffen, daß die Bildung ihrer Lehrer eine verfehlte sei, so wenig
haben sie jemals eingesehen, daß die Schüler von solchen Lehrern nichts ler¬
nen konnten.

Wie sollte auch ein richtiges Urtheil gewonnen werden, wenn der Werth
des Professors und die Tüchtigkeit der unter diesem stehenden Schüler nach
dem Werthe des Schauspieles beurtheilt wurden, das der Lehrer mit seinen
Schülern aufführte? Dieses Urtheil richtete sich nicht einmal nach dem Plan
des Stückes, der Schilderung der Charaktere, dem Dialog, kurz der innern
Beschaffenheit desselben, welche mindestens für das dichterische Talent des


Gymnasiallehrer oder Professor der Theologie, einen Prediger oder Professor der
Philosophie/aus einem absolvirten Theologen macht?, wenn man nicht etwa aus
Politik auf das Verhältniß Rücksicht nahm, in welchem das eine oder andere
Ordensmitglied zu großen Häusern oder zu Männern von Einfluß stand.

Nachdem der Jesuit sich fünf Jahre lang mit allem andern, nur nicht mit
den Gymnasialwissenschaften beschäftigt, und so das Wenige, was er früher ge¬
wußt, gründlich vergessen hatte, langte der zum Gymnasiallehrer bestimmte Sohn
des Ordens wiederum bei dem Ausgangspunkt seiner Laufbahn an, vielleicht
noch immer mit seinem Schicksal darüber rechtend, daß er schon wieder zu einem
Berufe verurtheilt worden war, zu welchem er weder Liebe noch Talent
besaß. In solchen Fällen that der jesuitische Gymnasiallehrer nur, was er
unmöglich unterlassen konnte, und wetteiferte so in Nachlässigkeit mit seinen
jüngeren Collegen, den Magistern, die aus Ueberbürdun'g mit Arbeiten oft
kaum das Nöthigste zu leisten vermochten. Am meisten litt natürlich die Ju<
gerd und in weiterem Kreise der Staat. Wie viel der Orden in dieser Be¬
ziehung gesündigt hat, haben Mitglieder desselben selbst offen gestanden und
kein Hehl daraus gemacht, daß sie nicht, wie es sein sollte, väterlich, sondern
recht eigentlich despotisch regiert würden.

Eine weitere Vorbildung für den Unterricht in den höheren Classen er¬
hielt der Jesuit nirgend mehr, und die meist längst vergessenen Lehren in
der Repetitivn mußten auch für die höheren Classen, für welche man sonder¬
barer Weise eine specielle Vorbereitung nicht für nöthig erachtete, ausreichen.
Der Jesuit, der einmal zum Lehrer in den beiden höheren Classen — zum
s. g. Humanitätslehrer bestimmt war, gehörte diesem Stande in der
Regel bis an sein Ende an. Höchstens daß er in seinem Alter praotootuL
öluäioruiu oder Lehrer der Repetenten wurde.

Niemand wird verkennen, daß es bei dieser Vorbildung zum Gymnasial¬
lehramt kaum dem befähigtsten Kopfe bei dem besten Willen und dem un-
ermüdetsten Fleiße möglich war. auch nur bescheidenen Ansprüchen zu ge¬
nügen. Was für Mißerfolge mußten sich erst ergeben, wenn der Lehrer talent¬
los, träge, oder zu seinem Beruf unlustig war. Aber so wenig die Obern
jemals begriffen, daß die Bildung ihrer Lehrer eine verfehlte sei, so wenig
haben sie jemals eingesehen, daß die Schüler von solchen Lehrern nichts ler¬
nen konnten.

Wie sollte auch ein richtiges Urtheil gewonnen werden, wenn der Werth
des Professors und die Tüchtigkeit der unter diesem stehenden Schüler nach
dem Werthe des Schauspieles beurtheilt wurden, das der Lehrer mit seinen
Schülern aufführte? Dieses Urtheil richtete sich nicht einmal nach dem Plan
des Stückes, der Schilderung der Charaktere, dem Dialog, kurz der innern
Beschaffenheit desselben, welche mindestens für das dichterische Talent des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/56>, abgerufen am 15.01.2025.