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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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morum, von welcher indeß diejenigen befreit waren, welche die sogenannten
philosophischen Jahrgänge vor ihrem Eintritt absolvirt hatten.

Man begann mit dem Jünglinge, welcher zu gleicher Zeit in ein anderes
Kloster versetzt wurde, zwei Jahre, später sogar nur ein Jahr lang die
Gegenstände durchzuarbeiten, welche in den beiden obersten Ghmnasialclassen
gelehrt wurden. Es wurden also namentlich Schriftsteller des römischen
Alterthums gelesen, analysirt und commentirt. Daneben erklärte man den
Jünglingen eine Art Gymnasialpädagogik -- die instructiv private --, welche
Anweisungen enthielt, wie man der Jugend alles faßlich darstellen und das
Erklärte einüben, wie man Rechenschaft über das Erlernte abverlangen sollte
u. f. w. dazu übte man sie in schriftlichen prosaischen und metrischen Aufsätzen
von dem einfachsten Briefe bis zur ausführlichen Rede, vom kurzem Epi¬
gramm bis zur dramatischen Composition. Diese Ausarbeitungen mußten
die sogenannten Repetenten sogar einige Male des Jahres während der
Mahlzeit vorlesen.

Ohne Gnade mußte der künftige Gymnasiallehrer im letzten halben
Jahre eine Komödie oder Tragödie und außerdem eine große Epopöe zu
Stande zu bringen, und so die geringe Zeit, die ihm bis zum Antritt seines
Lehramtes noch überhaupt gegönnt war, in nutzloser Geschäftigkeit unver¬
zeihlich vergeuden. Als später die RePetition auf ein Jahr eingeschränkt
wurde, verlangte man diese Gedichte sogar in der Hälfte dieser Zeit, die man
außerdem, abgesehen von den geistlichen Verrichtungen, durch Vorbereitung aus
Examina und Examina beeinträchtigte, bei welch letzteren freilich, wie ein
Jesuit selbst gesteht, der Lehrer, um ja keine unerwartete Frage zu thun,
sich von Fall zu Fall bei einem vor ihm liegenden Papiere Raths er¬
holte. Man hatte die Antworten während der Vorlesestunden in die Feder
dictirt.

So ging es indeß nur da zu, wo tüchtige Männer die Bildung der Re¬
petenten in der Hand hatten. Wo dieses nicht der Fall, war es noch schlim¬
mer bestellt, da entschwand aller Geist unter der Form, und man behandelte
die RePetition als Wiederkäuen im wahren Sinne des Wortes. Da dictirte
man täglich knabenmäßige Persa zum Uebersetzen, da ließ man Lectionen
und auswendig gelernte Sprachregeln aufsagen, da war von einer Lecture
classischer Schriftsteller keine Rede. Die Verse eines Jesuiten mit Namen
Panagl, herausgegeben unter dem Titel: Rusa kanagoea und andere ähn¬
liche Werke mußten ihre Stelle vertreten.

Die Vorbereitung des künftigen Gymnasiallehrers war aber nicht blos
qualitativ mangelhaft, sie war auch quantitativ ungenügend. Allerdings gab
es einen Lehrer der griechischen Sprache, welche die Zöglinge später selbst
lehren sollten, -- gelehrt wurde aber die griechische Sprache factisch nirgends.


morum, von welcher indeß diejenigen befreit waren, welche die sogenannten
philosophischen Jahrgänge vor ihrem Eintritt absolvirt hatten.

Man begann mit dem Jünglinge, welcher zu gleicher Zeit in ein anderes
Kloster versetzt wurde, zwei Jahre, später sogar nur ein Jahr lang die
Gegenstände durchzuarbeiten, welche in den beiden obersten Ghmnasialclassen
gelehrt wurden. Es wurden also namentlich Schriftsteller des römischen
Alterthums gelesen, analysirt und commentirt. Daneben erklärte man den
Jünglingen eine Art Gymnasialpädagogik — die instructiv private —, welche
Anweisungen enthielt, wie man der Jugend alles faßlich darstellen und das
Erklärte einüben, wie man Rechenschaft über das Erlernte abverlangen sollte
u. f. w. dazu übte man sie in schriftlichen prosaischen und metrischen Aufsätzen
von dem einfachsten Briefe bis zur ausführlichen Rede, vom kurzem Epi¬
gramm bis zur dramatischen Composition. Diese Ausarbeitungen mußten
die sogenannten Repetenten sogar einige Male des Jahres während der
Mahlzeit vorlesen.

Ohne Gnade mußte der künftige Gymnasiallehrer im letzten halben
Jahre eine Komödie oder Tragödie und außerdem eine große Epopöe zu
Stande zu bringen, und so die geringe Zeit, die ihm bis zum Antritt seines
Lehramtes noch überhaupt gegönnt war, in nutzloser Geschäftigkeit unver¬
zeihlich vergeuden. Als später die RePetition auf ein Jahr eingeschränkt
wurde, verlangte man diese Gedichte sogar in der Hälfte dieser Zeit, die man
außerdem, abgesehen von den geistlichen Verrichtungen, durch Vorbereitung aus
Examina und Examina beeinträchtigte, bei welch letzteren freilich, wie ein
Jesuit selbst gesteht, der Lehrer, um ja keine unerwartete Frage zu thun,
sich von Fall zu Fall bei einem vor ihm liegenden Papiere Raths er¬
holte. Man hatte die Antworten während der Vorlesestunden in die Feder
dictirt.

So ging es indeß nur da zu, wo tüchtige Männer die Bildung der Re¬
petenten in der Hand hatten. Wo dieses nicht der Fall, war es noch schlim¬
mer bestellt, da entschwand aller Geist unter der Form, und man behandelte
die RePetition als Wiederkäuen im wahren Sinne des Wortes. Da dictirte
man täglich knabenmäßige Persa zum Uebersetzen, da ließ man Lectionen
und auswendig gelernte Sprachregeln aufsagen, da war von einer Lecture
classischer Schriftsteller keine Rede. Die Verse eines Jesuiten mit Namen
Panagl, herausgegeben unter dem Titel: Rusa kanagoea und andere ähn¬
liche Werke mußten ihre Stelle vertreten.

Die Vorbereitung des künftigen Gymnasiallehrers war aber nicht blos
qualitativ mangelhaft, sie war auch quantitativ ungenügend. Allerdings gab
es einen Lehrer der griechischen Sprache, welche die Zöglinge später selbst
lehren sollten, — gelehrt wurde aber die griechische Sprache factisch nirgends.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/52>, abgerufen am 15.01.2025.