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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Ordens, welche durch das bekannte Wort "sive ut sunt, aut von sint"
charakteristrt wird, hat auch aus dem pädagogischen Gebiet eine Continuität
zwischen den jesuitischen Lehrsystemen des 17. und denen des 19. Jahrhun¬
derts bewahrt. Aus diesem Grunde ist es dem Verfasser nothwendig erschie¬
nen, auf die Gymnasialzustände vor 1793 zurückzugehen und die Schilderung
des Leu-Ws puo durch einen Rückblick auf die Vergangenheit einzuleiten. Ein
zweiter Artikel soll auf Grund der in der vorliegenden Skizze entwickelten
Voraussetzungen die noch gegenwärtig bestehenden jesuitischen Schuleinrichtun¬
gen näher beleuchten.

Da neben dem Predigtamt auch das Lehramt Hauptbestimmung des Jesui¬
tenordens war, ließen die Ordensoberen sich sofort bei der Auswahl ihrer Kan¬
didaten von der Rücksicht leiten Individuen zu gewinnen, welche für den Unter¬
richt geeignet waren, was ihnen meist um so leichter gelang, als auch die
Schulen in ihren Händen waren und ihnen somit alle Mittel zu Gebote
standen, die Anlagen und Denkungsart der Candidaten genau kennen zu
lernen. Der Provinzial, in dessen Händen die Aufnahme allein lag, erkun¬
digte sich daher stets beiden Lehrern eines neuen Ankömmlings, nach Fähig¬
keiten und Fortschritten desselben. In wie bedeutendem Maß es den Jesuiten
gelang, fähige Köpse zu gewinnen, geht schon daraus hervor, daß man ihnen
namentlich mit Bezugnahme darauf, daß sie oft förmliche Candidatenwerberei
betrieben, seiner Zeit zum Vorwurf machte, sie entzögen dem Staate die besten
Köpfe. --

Gleich beim Eintritt in den Orden -- im Noviziate -- lernte der
13 höchstens 17 jährige Jüngling Latein sprechen, und erhielt dadurch die
erste Vorbildung zum Lehramte. Weiter geschah für die geistige Ausbildung
des sah olastieus, wie die Jesuiten den studirenden Novizen nannten, nichts,
ja man entzog demselben sogar während der beiden Probejahre außer etlichen
Büchern geistlichen Inhaltes, namentlich dem Thomas von Kempis, der Lebens¬
beschreibungen des Stifters von Peter Maffei und heilig gesprochener oder im
Rufe der Heiligkeit gestorbener Jesuiten, Geschichte des Ordens von Juven-
cius, Cordara :c., sorgfältig jedes Buch. Nicht einmal Gespräche über wissen¬
schaftliche Gegenstände waren, ausgenommen aus Spaziergängen oder in den
vorgeschriebenen Mußestunden, gestattet. Von allen Studien, von allen An¬
regungen des Geistes abgeschnitten, nicht nur von der ganzen übrigen Welt
sondern auch von den älteren-Ordensmitgliedern abgesondert, sollte die junge
Seele -- mit den Worten des Ordens ausgedrückt -- den Geist des Ordens
kennen lernen, d. h. abgestumpft werden. Der Scholasticus sollte geprüft
werden und selbst prüfen, ob er in dem Orden bleiben wollte. Hatte sich
der Novize zu dem letzteren entschlossen -- so begann die nähere Vorberei¬
tung zum Gymnasiallehramt und zwar durch die sogenannte rexetitio Kuum-


Ordens, welche durch das bekannte Wort „sive ut sunt, aut von sint"
charakteristrt wird, hat auch aus dem pädagogischen Gebiet eine Continuität
zwischen den jesuitischen Lehrsystemen des 17. und denen des 19. Jahrhun¬
derts bewahrt. Aus diesem Grunde ist es dem Verfasser nothwendig erschie¬
nen, auf die Gymnasialzustände vor 1793 zurückzugehen und die Schilderung
des Leu-Ws puo durch einen Rückblick auf die Vergangenheit einzuleiten. Ein
zweiter Artikel soll auf Grund der in der vorliegenden Skizze entwickelten
Voraussetzungen die noch gegenwärtig bestehenden jesuitischen Schuleinrichtun¬
gen näher beleuchten.

Da neben dem Predigtamt auch das Lehramt Hauptbestimmung des Jesui¬
tenordens war, ließen die Ordensoberen sich sofort bei der Auswahl ihrer Kan¬
didaten von der Rücksicht leiten Individuen zu gewinnen, welche für den Unter¬
richt geeignet waren, was ihnen meist um so leichter gelang, als auch die
Schulen in ihren Händen waren und ihnen somit alle Mittel zu Gebote
standen, die Anlagen und Denkungsart der Candidaten genau kennen zu
lernen. Der Provinzial, in dessen Händen die Aufnahme allein lag, erkun¬
digte sich daher stets beiden Lehrern eines neuen Ankömmlings, nach Fähig¬
keiten und Fortschritten desselben. In wie bedeutendem Maß es den Jesuiten
gelang, fähige Köpse zu gewinnen, geht schon daraus hervor, daß man ihnen
namentlich mit Bezugnahme darauf, daß sie oft förmliche Candidatenwerberei
betrieben, seiner Zeit zum Vorwurf machte, sie entzögen dem Staate die besten
Köpfe. —

Gleich beim Eintritt in den Orden — im Noviziate — lernte der
13 höchstens 17 jährige Jüngling Latein sprechen, und erhielt dadurch die
erste Vorbildung zum Lehramte. Weiter geschah für die geistige Ausbildung
des sah olastieus, wie die Jesuiten den studirenden Novizen nannten, nichts,
ja man entzog demselben sogar während der beiden Probejahre außer etlichen
Büchern geistlichen Inhaltes, namentlich dem Thomas von Kempis, der Lebens¬
beschreibungen des Stifters von Peter Maffei und heilig gesprochener oder im
Rufe der Heiligkeit gestorbener Jesuiten, Geschichte des Ordens von Juven-
cius, Cordara :c., sorgfältig jedes Buch. Nicht einmal Gespräche über wissen¬
schaftliche Gegenstände waren, ausgenommen aus Spaziergängen oder in den
vorgeschriebenen Mußestunden, gestattet. Von allen Studien, von allen An¬
regungen des Geistes abgeschnitten, nicht nur von der ganzen übrigen Welt
sondern auch von den älteren-Ordensmitgliedern abgesondert, sollte die junge
Seele — mit den Worten des Ordens ausgedrückt — den Geist des Ordens
kennen lernen, d. h. abgestumpft werden. Der Scholasticus sollte geprüft
werden und selbst prüfen, ob er in dem Orden bleiben wollte. Hatte sich
der Novize zu dem letzteren entschlossen — so begann die nähere Vorberei¬
tung zum Gymnasiallehramt und zwar durch die sogenannte rexetitio Kuum-


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[0051] Ordens, welche durch das bekannte Wort „sive ut sunt, aut von sint" charakteristrt wird, hat auch aus dem pädagogischen Gebiet eine Continuität zwischen den jesuitischen Lehrsystemen des 17. und denen des 19. Jahrhun¬ derts bewahrt. Aus diesem Grunde ist es dem Verfasser nothwendig erschie¬ nen, auf die Gymnasialzustände vor 1793 zurückzugehen und die Schilderung des Leu-Ws puo durch einen Rückblick auf die Vergangenheit einzuleiten. Ein zweiter Artikel soll auf Grund der in der vorliegenden Skizze entwickelten Voraussetzungen die noch gegenwärtig bestehenden jesuitischen Schuleinrichtun¬ gen näher beleuchten. Da neben dem Predigtamt auch das Lehramt Hauptbestimmung des Jesui¬ tenordens war, ließen die Ordensoberen sich sofort bei der Auswahl ihrer Kan¬ didaten von der Rücksicht leiten Individuen zu gewinnen, welche für den Unter¬ richt geeignet waren, was ihnen meist um so leichter gelang, als auch die Schulen in ihren Händen waren und ihnen somit alle Mittel zu Gebote standen, die Anlagen und Denkungsart der Candidaten genau kennen zu lernen. Der Provinzial, in dessen Händen die Aufnahme allein lag, erkun¬ digte sich daher stets beiden Lehrern eines neuen Ankömmlings, nach Fähig¬ keiten und Fortschritten desselben. In wie bedeutendem Maß es den Jesuiten gelang, fähige Köpse zu gewinnen, geht schon daraus hervor, daß man ihnen namentlich mit Bezugnahme darauf, daß sie oft förmliche Candidatenwerberei betrieben, seiner Zeit zum Vorwurf machte, sie entzögen dem Staate die besten Köpfe. — Gleich beim Eintritt in den Orden — im Noviziate — lernte der 13 höchstens 17 jährige Jüngling Latein sprechen, und erhielt dadurch die erste Vorbildung zum Lehramte. Weiter geschah für die geistige Ausbildung des sah olastieus, wie die Jesuiten den studirenden Novizen nannten, nichts, ja man entzog demselben sogar während der beiden Probejahre außer etlichen Büchern geistlichen Inhaltes, namentlich dem Thomas von Kempis, der Lebens¬ beschreibungen des Stifters von Peter Maffei und heilig gesprochener oder im Rufe der Heiligkeit gestorbener Jesuiten, Geschichte des Ordens von Juven- cius, Cordara :c., sorgfältig jedes Buch. Nicht einmal Gespräche über wissen¬ schaftliche Gegenstände waren, ausgenommen aus Spaziergängen oder in den vorgeschriebenen Mußestunden, gestattet. Von allen Studien, von allen An¬ regungen des Geistes abgeschnitten, nicht nur von der ganzen übrigen Welt sondern auch von den älteren-Ordensmitgliedern abgesondert, sollte die junge Seele — mit den Worten des Ordens ausgedrückt — den Geist des Ordens kennen lernen, d. h. abgestumpft werden. Der Scholasticus sollte geprüft werden und selbst prüfen, ob er in dem Orden bleiben wollte. Hatte sich der Novize zu dem letzteren entschlossen — so begann die nähere Vorberei¬ tung zum Gymnasiallehramt und zwar durch die sogenannte rexetitio Kuum-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/51>, abgerufen am 15.01.2025.