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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Werks, und hält man noch dazu das kürzlich gefallene Wort, daß die Her¬
stellung des Südbunds nur ein geringes Opfer, nur ein paar Kronen koste,
so liegt auf der Hand, was der letzte Gedanke ist. Es ist der, daß die Zer-
bröckelung des Reichs, die im 14. Jahrhundert durch die Schuld Oestreichs
im Süden begonnen hat, aber glücklicherweise wenigstens am Bodensee inne¬
hielt, nunmehr fortgesetzt werden solle bis an den Main. Es ist der Abfall
vom Reich, mit dem die schweizerischen Schwaben vor fünf Jahrhunderten
vorangegangen sind. Zum Glück hat Preußen nicht darum die Verträge
mit dem Süden abgeschlossen, um gelassen zuzusehen, wie sich Kantönli bilden
bis zum Main und die Grenze gegen Frankreich sich noch weiter auflockere;
zum Glück ist aber auch bis zur Stunde weder in Baden noch in Baiern
etwas zu entdecken von Material zu dieser neuen Eidgenossenschaft, die mit
dem Bruch der Eide begänne.

Nach der Schweiz schielt das Programm auch hinüber, indem es die
Freiheitsforderungen der schwäbischen Demokratie formulirt. Eine Haupt¬
rolle spielt wieder die allgemeine Volksbewaffnung, welche unserer Demokratie
das Gegentheil ist von der allgemeinen Wehrpflicht. Atomistisch wie in der
Nationalfrage ist ihr Staatsbegriff auch in den inneren Dingen: Bürger¬
milizen, Jugendwehren, Volksversammlungen sollen die Stelle des Staats
vertreten. "

Nun ist dieses Programm zunächst allerdings nur die Privatarbeit seiner
Verfasser. Es fällt der Partei natürlich nicht ein, auf so subjectiv gestellte
Sätze die Candidaten zu verpflichten, der streng orthodoxen Anhänger der
Secte sind stets nur wenige gewesen. In der Wirklichkeit wird sich die Par¬
tei mit einer Mehrzahl von Candidaten begnügen, welche weit nicht zu einem
so sublimen Ausdruck der democratischen Doctrin sich versteigen. Bereits
sind auch Oesterlen und die anderen Unterzeichner des Rechenschaftsberichts
für würdig erklärt worden, als Candidaten der Volkspartei zu figuriren. Die
Partei, deren Programm Aufhebung der Verträge ist, scheint also weitherzig
genug, auch solche nicht zu verwerfen, welche zuweilen die Schwäche haben, für
volle Aufrechthaltung der Vertragsverpflichtungen zu schwärmen. Und so
wenig wählerisch ist die Partei, daß sie auch den Ultramontanen bereitwillig
Plätze auf ihren Listen eingeräumt hat und daß sie, wie es heißt, in Stutt¬
gart einen gewesenen Kriegsminister als Candidaten aufstellt, der allerdings
das Verdienst hat, bei Tauberbischofsheim die würtembergischen Truppen ge¬
führt zu haben, der aber doch keine weitere Berührung mit der Volkspartet
haben dürfte, als daß er dem Jahr 1866 gram ist, wozu er alle Ursache hat,
und als Antipode des Generals v. Wagner gilt, dem er das Kriegsministerium
abtreten mußte.

Allein jenes Programm spricht immerhin die Consequenzen der extremen


Werks, und hält man noch dazu das kürzlich gefallene Wort, daß die Her¬
stellung des Südbunds nur ein geringes Opfer, nur ein paar Kronen koste,
so liegt auf der Hand, was der letzte Gedanke ist. Es ist der, daß die Zer-
bröckelung des Reichs, die im 14. Jahrhundert durch die Schuld Oestreichs
im Süden begonnen hat, aber glücklicherweise wenigstens am Bodensee inne¬
hielt, nunmehr fortgesetzt werden solle bis an den Main. Es ist der Abfall
vom Reich, mit dem die schweizerischen Schwaben vor fünf Jahrhunderten
vorangegangen sind. Zum Glück hat Preußen nicht darum die Verträge
mit dem Süden abgeschlossen, um gelassen zuzusehen, wie sich Kantönli bilden
bis zum Main und die Grenze gegen Frankreich sich noch weiter auflockere;
zum Glück ist aber auch bis zur Stunde weder in Baden noch in Baiern
etwas zu entdecken von Material zu dieser neuen Eidgenossenschaft, die mit
dem Bruch der Eide begänne.

Nach der Schweiz schielt das Programm auch hinüber, indem es die
Freiheitsforderungen der schwäbischen Demokratie formulirt. Eine Haupt¬
rolle spielt wieder die allgemeine Volksbewaffnung, welche unserer Demokratie
das Gegentheil ist von der allgemeinen Wehrpflicht. Atomistisch wie in der
Nationalfrage ist ihr Staatsbegriff auch in den inneren Dingen: Bürger¬
milizen, Jugendwehren, Volksversammlungen sollen die Stelle des Staats
vertreten. "

Nun ist dieses Programm zunächst allerdings nur die Privatarbeit seiner
Verfasser. Es fällt der Partei natürlich nicht ein, auf so subjectiv gestellte
Sätze die Candidaten zu verpflichten, der streng orthodoxen Anhänger der
Secte sind stets nur wenige gewesen. In der Wirklichkeit wird sich die Par¬
tei mit einer Mehrzahl von Candidaten begnügen, welche weit nicht zu einem
so sublimen Ausdruck der democratischen Doctrin sich versteigen. Bereits
sind auch Oesterlen und die anderen Unterzeichner des Rechenschaftsberichts
für würdig erklärt worden, als Candidaten der Volkspartei zu figuriren. Die
Partei, deren Programm Aufhebung der Verträge ist, scheint also weitherzig
genug, auch solche nicht zu verwerfen, welche zuweilen die Schwäche haben, für
volle Aufrechthaltung der Vertragsverpflichtungen zu schwärmen. Und so
wenig wählerisch ist die Partei, daß sie auch den Ultramontanen bereitwillig
Plätze auf ihren Listen eingeräumt hat und daß sie, wie es heißt, in Stutt¬
gart einen gewesenen Kriegsminister als Candidaten aufstellt, der allerdings
das Verdienst hat, bei Tauberbischofsheim die würtembergischen Truppen ge¬
führt zu haben, der aber doch keine weitere Berührung mit der Volkspartet
haben dürfte, als daß er dem Jahr 1866 gram ist, wozu er alle Ursache hat,
und als Antipode des Generals v. Wagner gilt, dem er das Kriegsministerium
abtreten mußte.

Allein jenes Programm spricht immerhin die Consequenzen der extremen


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[0512] Werks, und hält man noch dazu das kürzlich gefallene Wort, daß die Her¬ stellung des Südbunds nur ein geringes Opfer, nur ein paar Kronen koste, so liegt auf der Hand, was der letzte Gedanke ist. Es ist der, daß die Zer- bröckelung des Reichs, die im 14. Jahrhundert durch die Schuld Oestreichs im Süden begonnen hat, aber glücklicherweise wenigstens am Bodensee inne¬ hielt, nunmehr fortgesetzt werden solle bis an den Main. Es ist der Abfall vom Reich, mit dem die schweizerischen Schwaben vor fünf Jahrhunderten vorangegangen sind. Zum Glück hat Preußen nicht darum die Verträge mit dem Süden abgeschlossen, um gelassen zuzusehen, wie sich Kantönli bilden bis zum Main und die Grenze gegen Frankreich sich noch weiter auflockere; zum Glück ist aber auch bis zur Stunde weder in Baden noch in Baiern etwas zu entdecken von Material zu dieser neuen Eidgenossenschaft, die mit dem Bruch der Eide begänne. Nach der Schweiz schielt das Programm auch hinüber, indem es die Freiheitsforderungen der schwäbischen Demokratie formulirt. Eine Haupt¬ rolle spielt wieder die allgemeine Volksbewaffnung, welche unserer Demokratie das Gegentheil ist von der allgemeinen Wehrpflicht. Atomistisch wie in der Nationalfrage ist ihr Staatsbegriff auch in den inneren Dingen: Bürger¬ milizen, Jugendwehren, Volksversammlungen sollen die Stelle des Staats vertreten. " Nun ist dieses Programm zunächst allerdings nur die Privatarbeit seiner Verfasser. Es fällt der Partei natürlich nicht ein, auf so subjectiv gestellte Sätze die Candidaten zu verpflichten, der streng orthodoxen Anhänger der Secte sind stets nur wenige gewesen. In der Wirklichkeit wird sich die Par¬ tei mit einer Mehrzahl von Candidaten begnügen, welche weit nicht zu einem so sublimen Ausdruck der democratischen Doctrin sich versteigen. Bereits sind auch Oesterlen und die anderen Unterzeichner des Rechenschaftsberichts für würdig erklärt worden, als Candidaten der Volkspartei zu figuriren. Die Partei, deren Programm Aufhebung der Verträge ist, scheint also weitherzig genug, auch solche nicht zu verwerfen, welche zuweilen die Schwäche haben, für volle Aufrechthaltung der Vertragsverpflichtungen zu schwärmen. Und so wenig wählerisch ist die Partei, daß sie auch den Ultramontanen bereitwillig Plätze auf ihren Listen eingeräumt hat und daß sie, wie es heißt, in Stutt¬ gart einen gewesenen Kriegsminister als Candidaten aufstellt, der allerdings das Verdienst hat, bei Tauberbischofsheim die würtembergischen Truppen ge¬ führt zu haben, der aber doch keine weitere Berührung mit der Volkspartet haben dürfte, als daß er dem Jahr 1866 gram ist, wozu er alle Ursache hat, und als Antipode des Generals v. Wagner gilt, dem er das Kriegsministerium abtreten mußte. Allein jenes Programm spricht immerhin die Consequenzen der extremen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/512>, abgerufen am 15.01.2025.