Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die Freundschaft sich gelöst hätte, durch das Wahlprogramm der Volkspartei
unmöglich geworden ist.

Dieses Wahlprogramm, das am 10. Juni ausgegeben wurde, bildet
einen erfreulichen Gegensatz zu dem Rechenschaftsberichte der Einunddreißig.
Erfreulich, weil es jede Maske wegwirft und die wahren Ziele des extremen
Theils der Volkspartei enthüllt. Vor allem nämlich constatirt es den Zwie¬
spalt, der. innerhalb der Volkspartei schon seit längerer Zeit bemerkbar, jetzt
nicht mehr zuzudecken ist. Annähernd ist es dieselbe Divergenz, wie sie
zwischen Jacoby und der Fortschrittspartei besteht. Das Programm geht nicht
aus den Reihen der äußerlich noch verbundenen Partei hervor, sondern ist
einzig das Werk einiger Doctrinäre, die aber für die Partei das Wort führen
und durch ihren terroristischen Fanatismus in ihr die Herrschaft ausüben.

Während diejenigen Mitglieder der Volkspartei, welche ein Mandat
nach Berlin angenommen hatten, willig nebst den Herren Sepp und Bueler.
Neurath und Thüngen den Rechenschaftsbericht unterzeichneten, redet das
Wahlprogramm aus einer ganz anderen Tonart. Jene waren noch so un¬
schuldig, von vertragsmäßiger Treue, von nationalen Pflichten zu reden. Die
Schwärmer! der" echte Demokrat erkennt weder Verträge noch nationale
Pflichten an. Das erste muß sein, daß der Allianzvertrag wieder abgeschafft
werde. Zum Glück ist er blos mit einfacher Mehrheit in der Kammer durch¬
gesetzt worden. Diese fand zwar die Kammer selbst für genügend. da nur
Verfassungsabänderungen an eine Zweidrittelmehrheit gebunden sind. Aber
die Autorität des Redactionspersonals vom Beobachter steht natürlich höher
als die der Kammer, die Verträge sind folglich null und nichtig und die
nächste Kammer hat einfach den Machtspruch der Volkspartei zu vollziehen.

Und was dann? Natürlich der Südbund. Der Rechenschaftsbericht hatte
diese abgegriffene Saite nur verschämt zu berühren gewagt, er redete nur
von einer engen Verbindung der süddeutschen Staaten, von Sammlung der
staatlichen Kräfte Süddeutschlands. Aber der orthodoxen Doctnn ist der
Südbund mehr als nur eine bequeme Ausrede. Es muß endlich Ernst bannt
gemacht werden. Wie lange soll denn Louis Napoleon noch warten, bis
endlich sein Project ins Leben tritt! Wie lange soll überhaupt noch irgend
etwas gemeinschaftlich sein dem barbarischen Norden und dem freiheitlichen
Süden! So verlangen denn dieselben Stimmen, die Preußen der Zerreißung
Deutschlands anklagen, die Zerreißung derjenigen Bande, welche Preußen
über den Main hinübergeknüpft hat. Sie jammern über die Mainlinie,
und sie wollen sie verewigen. Sie kennen kein Deutschland'mehr. Für alle
Zeiten soll der Main die Grenze bilden. Es gibt hinfort nur noch einen
Nordbund, einen Südbund und Deutschöstreich.

Entkleidet man das Programm der Phrasen, des phantastischen Bei-
"


64

die Freundschaft sich gelöst hätte, durch das Wahlprogramm der Volkspartei
unmöglich geworden ist.

Dieses Wahlprogramm, das am 10. Juni ausgegeben wurde, bildet
einen erfreulichen Gegensatz zu dem Rechenschaftsberichte der Einunddreißig.
Erfreulich, weil es jede Maske wegwirft und die wahren Ziele des extremen
Theils der Volkspartei enthüllt. Vor allem nämlich constatirt es den Zwie¬
spalt, der. innerhalb der Volkspartei schon seit längerer Zeit bemerkbar, jetzt
nicht mehr zuzudecken ist. Annähernd ist es dieselbe Divergenz, wie sie
zwischen Jacoby und der Fortschrittspartei besteht. Das Programm geht nicht
aus den Reihen der äußerlich noch verbundenen Partei hervor, sondern ist
einzig das Werk einiger Doctrinäre, die aber für die Partei das Wort führen
und durch ihren terroristischen Fanatismus in ihr die Herrschaft ausüben.

Während diejenigen Mitglieder der Volkspartei, welche ein Mandat
nach Berlin angenommen hatten, willig nebst den Herren Sepp und Bueler.
Neurath und Thüngen den Rechenschaftsbericht unterzeichneten, redet das
Wahlprogramm aus einer ganz anderen Tonart. Jene waren noch so un¬
schuldig, von vertragsmäßiger Treue, von nationalen Pflichten zu reden. Die
Schwärmer! der" echte Demokrat erkennt weder Verträge noch nationale
Pflichten an. Das erste muß sein, daß der Allianzvertrag wieder abgeschafft
werde. Zum Glück ist er blos mit einfacher Mehrheit in der Kammer durch¬
gesetzt worden. Diese fand zwar die Kammer selbst für genügend. da nur
Verfassungsabänderungen an eine Zweidrittelmehrheit gebunden sind. Aber
die Autorität des Redactionspersonals vom Beobachter steht natürlich höher
als die der Kammer, die Verträge sind folglich null und nichtig und die
nächste Kammer hat einfach den Machtspruch der Volkspartei zu vollziehen.

Und was dann? Natürlich der Südbund. Der Rechenschaftsbericht hatte
diese abgegriffene Saite nur verschämt zu berühren gewagt, er redete nur
von einer engen Verbindung der süddeutschen Staaten, von Sammlung der
staatlichen Kräfte Süddeutschlands. Aber der orthodoxen Doctnn ist der
Südbund mehr als nur eine bequeme Ausrede. Es muß endlich Ernst bannt
gemacht werden. Wie lange soll denn Louis Napoleon noch warten, bis
endlich sein Project ins Leben tritt! Wie lange soll überhaupt noch irgend
etwas gemeinschaftlich sein dem barbarischen Norden und dem freiheitlichen
Süden! So verlangen denn dieselben Stimmen, die Preußen der Zerreißung
Deutschlands anklagen, die Zerreißung derjenigen Bande, welche Preußen
über den Main hinübergeknüpft hat. Sie jammern über die Mainlinie,
und sie wollen sie verewigen. Sie kennen kein Deutschland'mehr. Für alle
Zeiten soll der Main die Grenze bilden. Es gibt hinfort nur noch einen
Nordbund, einen Südbund und Deutschöstreich.

Entkleidet man das Programm der Phrasen, des phantastischen Bei-
"


64
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0511" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/118043"/>
          <p xml:id="ID_1581" prev="#ID_1580"> die Freundschaft sich gelöst hätte, durch das Wahlprogramm der Volkspartei<lb/>
unmöglich geworden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1582"> Dieses Wahlprogramm, das am 10. Juni ausgegeben wurde, bildet<lb/>
einen erfreulichen Gegensatz zu dem Rechenschaftsberichte der Einunddreißig.<lb/>
Erfreulich, weil es jede Maske wegwirft und die wahren Ziele des extremen<lb/>
Theils der Volkspartei enthüllt. Vor allem nämlich constatirt es den Zwie¬<lb/>
spalt, der. innerhalb der Volkspartei schon seit längerer Zeit bemerkbar, jetzt<lb/>
nicht mehr zuzudecken ist. Annähernd ist es dieselbe Divergenz, wie sie<lb/>
zwischen Jacoby und der Fortschrittspartei besteht. Das Programm geht nicht<lb/>
aus den Reihen der äußerlich noch verbundenen Partei hervor, sondern ist<lb/>
einzig das Werk einiger Doctrinäre, die aber für die Partei das Wort führen<lb/>
und durch ihren terroristischen Fanatismus in ihr die Herrschaft ausüben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1583"> Während diejenigen Mitglieder der Volkspartei, welche ein Mandat<lb/>
nach Berlin angenommen hatten, willig nebst den Herren Sepp und Bueler.<lb/>
Neurath und Thüngen den Rechenschaftsbericht unterzeichneten, redet das<lb/>
Wahlprogramm aus einer ganz anderen Tonart. Jene waren noch so un¬<lb/>
schuldig, von vertragsmäßiger Treue, von nationalen Pflichten zu reden. Die<lb/>
Schwärmer! der" echte Demokrat erkennt weder Verträge noch nationale<lb/>
Pflichten an. Das erste muß sein, daß der Allianzvertrag wieder abgeschafft<lb/>
werde. Zum Glück ist er blos mit einfacher Mehrheit in der Kammer durch¬<lb/>
gesetzt worden. Diese fand zwar die Kammer selbst für genügend. da nur<lb/>
Verfassungsabänderungen an eine Zweidrittelmehrheit gebunden sind. Aber<lb/>
die Autorität des Redactionspersonals vom Beobachter steht natürlich höher<lb/>
als die der Kammer, die Verträge sind folglich null und nichtig und die<lb/>
nächste Kammer hat einfach den Machtspruch der Volkspartei zu vollziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1584"> Und was dann? Natürlich der Südbund. Der Rechenschaftsbericht hatte<lb/>
diese abgegriffene Saite nur verschämt zu berühren gewagt, er redete nur<lb/>
von einer engen Verbindung der süddeutschen Staaten, von Sammlung der<lb/>
staatlichen Kräfte Süddeutschlands. Aber der orthodoxen Doctnn ist der<lb/>
Südbund mehr als nur eine bequeme Ausrede. Es muß endlich Ernst bannt<lb/>
gemacht werden. Wie lange soll denn Louis Napoleon noch warten, bis<lb/>
endlich sein Project ins Leben tritt! Wie lange soll überhaupt noch irgend<lb/>
etwas gemeinschaftlich sein dem barbarischen Norden und dem freiheitlichen<lb/>
Süden! So verlangen denn dieselben Stimmen, die Preußen der Zerreißung<lb/>
Deutschlands anklagen, die Zerreißung derjenigen Bande, welche Preußen<lb/>
über den Main hinübergeknüpft hat. Sie jammern über die Mainlinie,<lb/>
und sie wollen sie verewigen. Sie kennen kein Deutschland'mehr. Für alle<lb/>
Zeiten soll der Main die Grenze bilden. Es gibt hinfort nur noch einen<lb/>
Nordbund, einen Südbund und Deutschöstreich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1585" next="#ID_1586"> Entkleidet man das Programm der Phrasen, des phantastischen Bei-<lb/>
"</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 64</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0511] die Freundschaft sich gelöst hätte, durch das Wahlprogramm der Volkspartei unmöglich geworden ist. Dieses Wahlprogramm, das am 10. Juni ausgegeben wurde, bildet einen erfreulichen Gegensatz zu dem Rechenschaftsberichte der Einunddreißig. Erfreulich, weil es jede Maske wegwirft und die wahren Ziele des extremen Theils der Volkspartei enthüllt. Vor allem nämlich constatirt es den Zwie¬ spalt, der. innerhalb der Volkspartei schon seit längerer Zeit bemerkbar, jetzt nicht mehr zuzudecken ist. Annähernd ist es dieselbe Divergenz, wie sie zwischen Jacoby und der Fortschrittspartei besteht. Das Programm geht nicht aus den Reihen der äußerlich noch verbundenen Partei hervor, sondern ist einzig das Werk einiger Doctrinäre, die aber für die Partei das Wort führen und durch ihren terroristischen Fanatismus in ihr die Herrschaft ausüben. Während diejenigen Mitglieder der Volkspartei, welche ein Mandat nach Berlin angenommen hatten, willig nebst den Herren Sepp und Bueler. Neurath und Thüngen den Rechenschaftsbericht unterzeichneten, redet das Wahlprogramm aus einer ganz anderen Tonart. Jene waren noch so un¬ schuldig, von vertragsmäßiger Treue, von nationalen Pflichten zu reden. Die Schwärmer! der" echte Demokrat erkennt weder Verträge noch nationale Pflichten an. Das erste muß sein, daß der Allianzvertrag wieder abgeschafft werde. Zum Glück ist er blos mit einfacher Mehrheit in der Kammer durch¬ gesetzt worden. Diese fand zwar die Kammer selbst für genügend. da nur Verfassungsabänderungen an eine Zweidrittelmehrheit gebunden sind. Aber die Autorität des Redactionspersonals vom Beobachter steht natürlich höher als die der Kammer, die Verträge sind folglich null und nichtig und die nächste Kammer hat einfach den Machtspruch der Volkspartei zu vollziehen. Und was dann? Natürlich der Südbund. Der Rechenschaftsbericht hatte diese abgegriffene Saite nur verschämt zu berühren gewagt, er redete nur von einer engen Verbindung der süddeutschen Staaten, von Sammlung der staatlichen Kräfte Süddeutschlands. Aber der orthodoxen Doctnn ist der Südbund mehr als nur eine bequeme Ausrede. Es muß endlich Ernst bannt gemacht werden. Wie lange soll denn Louis Napoleon noch warten, bis endlich sein Project ins Leben tritt! Wie lange soll überhaupt noch irgend etwas gemeinschaftlich sein dem barbarischen Norden und dem freiheitlichen Süden! So verlangen denn dieselben Stimmen, die Preußen der Zerreißung Deutschlands anklagen, die Zerreißung derjenigen Bande, welche Preußen über den Main hinübergeknüpft hat. Sie jammern über die Mainlinie, und sie wollen sie verewigen. Sie kennen kein Deutschland'mehr. Für alle Zeiten soll der Main die Grenze bilden. Es gibt hinfort nur noch einen Nordbund, einen Südbund und Deutschöstreich. Entkleidet man das Programm der Phrasen, des phantastischen Bei- " 64

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/511
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/511>, abgerufen am 15.01.2025.