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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Volk, Bamberger, Roggenbach u. s. w. aus Pommern oder der Mark ins
Zollparlament gesandt worden.

Der Zollvertrag enthält die ausdrückliche Bestimmung, daß jeder Abge¬
ordnete das ganze deutsche Volk vertritt, er weiß nichts von nord- und süd¬
deutschen Vertretern. Von dieser Auffassung durfte man nicht lassen. Statt
dessen hat man der süddeutschen Fraction eine Stellung eingeräumt, die leb¬
haft an den regensburger Reichstag und des eorxus estlioliLoi-um und evau-
Zsliovruiu erinnerte. Dies zeigte sich am hellsten bei der Adreßangelegenheit;
denn dem Veto der süddeutschen Fraction beugte sich das gesammte Parla¬
ment.

Wir billigen prinzipiell den Antrag auf Erlaß einer Adresse. Diejenigen
aber, die ihn verwirklichen wollten, mußten mehr in das Auge fassen als
richtige Prinzipien, sie mußten sich vor allem verantwortlich wissen für den
Erfolg. Wenn man keinen Sieg erringen konnte, mußte man wenigstens
eine Niederlage vermeiden. Die Adresse war nur einer der Wege welche zum
Ziel führen konnte, allerdings der kürzeste und Nächstliegende, aber konnte er
nicht mit Sicherheit beschritten werden, so mußte man sich nach anderen um¬
sehen. Den Stier bei den Hörnern zu fassen ist ein Wagstück, das man nur
unternehmen darf, wenn man die gehörige Kraft dazu fühlt -- zur bloßen
Ausmessung der Kräfte ist dieses Mittel zu gefährlich. Daß die süddeutsche
Fraction sich mit allen Kräften gegen die Adresse stemmen würde, wußte
man im voraus, ohne eine "Majorisirung" war dieselbe unter keinen Um¬
ständen durchzubringen. scheute man eine solche, hielt man es (um mit
Volk zu reden) für ein unwürdiges Schauspiel, daß die Süddeutschen ein¬
ander vor den Augen des Nordens zerfleischten, so durste man den Adreß-
antrag gar nicht einbringen. Die Wortgefechte, welche durch denselben ver¬
anlaßt wurden, waren des hohen Einsatzes nicht werth und der Rückzug,
der das schließliche Resultat war, wurde zugleich präjudicirlich für alle
übrigen Gelegenheiten, die politische Bedeutung des Zollparlaments hervor¬
zukehren. Vor der Adreßdebatte ließ sich geradezu behaupten, diese Gelegen¬
heiten wuchsen an allen Zäunen. Daß man aus sie rekurriren werde, davon
sind wir auch gegenwärtig überzeugt.

Es ist allerdings leichter kritisiren als besser machen, und wenn die Kritik
von Solchen geübt wird, welche die Vorgänge in Berlin nur aus der Vogel¬
perspektive beobachtet haben, so ist die Gefahr vorhanden, daß manches über¬
sehen wird, dessen Erwägung des Resultat wesentlich modificirt. Wir kön¬
nen daher nur den Eindruck referiren, den man vielfach in Süddeutschland
von dem Verlauf der Session empfing. Konnte man die Art von Deserenz
nicht begreifen, welche die Majorität den süddeutschen Frondeurs entgegen"
brachte, so konnte man sich doch auch mit der Tonart nicht befreunden, in


Volk, Bamberger, Roggenbach u. s. w. aus Pommern oder der Mark ins
Zollparlament gesandt worden.

Der Zollvertrag enthält die ausdrückliche Bestimmung, daß jeder Abge¬
ordnete das ganze deutsche Volk vertritt, er weiß nichts von nord- und süd¬
deutschen Vertretern. Von dieser Auffassung durfte man nicht lassen. Statt
dessen hat man der süddeutschen Fraction eine Stellung eingeräumt, die leb¬
haft an den regensburger Reichstag und des eorxus estlioliLoi-um und evau-
Zsliovruiu erinnerte. Dies zeigte sich am hellsten bei der Adreßangelegenheit;
denn dem Veto der süddeutschen Fraction beugte sich das gesammte Parla¬
ment.

Wir billigen prinzipiell den Antrag auf Erlaß einer Adresse. Diejenigen
aber, die ihn verwirklichen wollten, mußten mehr in das Auge fassen als
richtige Prinzipien, sie mußten sich vor allem verantwortlich wissen für den
Erfolg. Wenn man keinen Sieg erringen konnte, mußte man wenigstens
eine Niederlage vermeiden. Die Adresse war nur einer der Wege welche zum
Ziel führen konnte, allerdings der kürzeste und Nächstliegende, aber konnte er
nicht mit Sicherheit beschritten werden, so mußte man sich nach anderen um¬
sehen. Den Stier bei den Hörnern zu fassen ist ein Wagstück, das man nur
unternehmen darf, wenn man die gehörige Kraft dazu fühlt — zur bloßen
Ausmessung der Kräfte ist dieses Mittel zu gefährlich. Daß die süddeutsche
Fraction sich mit allen Kräften gegen die Adresse stemmen würde, wußte
man im voraus, ohne eine „Majorisirung" war dieselbe unter keinen Um¬
ständen durchzubringen. scheute man eine solche, hielt man es (um mit
Volk zu reden) für ein unwürdiges Schauspiel, daß die Süddeutschen ein¬
ander vor den Augen des Nordens zerfleischten, so durste man den Adreß-
antrag gar nicht einbringen. Die Wortgefechte, welche durch denselben ver¬
anlaßt wurden, waren des hohen Einsatzes nicht werth und der Rückzug,
der das schließliche Resultat war, wurde zugleich präjudicirlich für alle
übrigen Gelegenheiten, die politische Bedeutung des Zollparlaments hervor¬
zukehren. Vor der Adreßdebatte ließ sich geradezu behaupten, diese Gelegen¬
heiten wuchsen an allen Zäunen. Daß man aus sie rekurriren werde, davon
sind wir auch gegenwärtig überzeugt.

Es ist allerdings leichter kritisiren als besser machen, und wenn die Kritik
von Solchen geübt wird, welche die Vorgänge in Berlin nur aus der Vogel¬
perspektive beobachtet haben, so ist die Gefahr vorhanden, daß manches über¬
sehen wird, dessen Erwägung des Resultat wesentlich modificirt. Wir kön¬
nen daher nur den Eindruck referiren, den man vielfach in Süddeutschland
von dem Verlauf der Session empfing. Konnte man die Art von Deserenz
nicht begreifen, welche die Majorität den süddeutschen Frondeurs entgegen»
brachte, so konnte man sich doch auch mit der Tonart nicht befreunden, in


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[0474] Volk, Bamberger, Roggenbach u. s. w. aus Pommern oder der Mark ins Zollparlament gesandt worden. Der Zollvertrag enthält die ausdrückliche Bestimmung, daß jeder Abge¬ ordnete das ganze deutsche Volk vertritt, er weiß nichts von nord- und süd¬ deutschen Vertretern. Von dieser Auffassung durfte man nicht lassen. Statt dessen hat man der süddeutschen Fraction eine Stellung eingeräumt, die leb¬ haft an den regensburger Reichstag und des eorxus estlioliLoi-um und evau- Zsliovruiu erinnerte. Dies zeigte sich am hellsten bei der Adreßangelegenheit; denn dem Veto der süddeutschen Fraction beugte sich das gesammte Parla¬ ment. Wir billigen prinzipiell den Antrag auf Erlaß einer Adresse. Diejenigen aber, die ihn verwirklichen wollten, mußten mehr in das Auge fassen als richtige Prinzipien, sie mußten sich vor allem verantwortlich wissen für den Erfolg. Wenn man keinen Sieg erringen konnte, mußte man wenigstens eine Niederlage vermeiden. Die Adresse war nur einer der Wege welche zum Ziel führen konnte, allerdings der kürzeste und Nächstliegende, aber konnte er nicht mit Sicherheit beschritten werden, so mußte man sich nach anderen um¬ sehen. Den Stier bei den Hörnern zu fassen ist ein Wagstück, das man nur unternehmen darf, wenn man die gehörige Kraft dazu fühlt — zur bloßen Ausmessung der Kräfte ist dieses Mittel zu gefährlich. Daß die süddeutsche Fraction sich mit allen Kräften gegen die Adresse stemmen würde, wußte man im voraus, ohne eine „Majorisirung" war dieselbe unter keinen Um¬ ständen durchzubringen. scheute man eine solche, hielt man es (um mit Volk zu reden) für ein unwürdiges Schauspiel, daß die Süddeutschen ein¬ ander vor den Augen des Nordens zerfleischten, so durste man den Adreß- antrag gar nicht einbringen. Die Wortgefechte, welche durch denselben ver¬ anlaßt wurden, waren des hohen Einsatzes nicht werth und der Rückzug, der das schließliche Resultat war, wurde zugleich präjudicirlich für alle übrigen Gelegenheiten, die politische Bedeutung des Zollparlaments hervor¬ zukehren. Vor der Adreßdebatte ließ sich geradezu behaupten, diese Gelegen¬ heiten wuchsen an allen Zäunen. Daß man aus sie rekurriren werde, davon sind wir auch gegenwärtig überzeugt. Es ist allerdings leichter kritisiren als besser machen, und wenn die Kritik von Solchen geübt wird, welche die Vorgänge in Berlin nur aus der Vogel¬ perspektive beobachtet haben, so ist die Gefahr vorhanden, daß manches über¬ sehen wird, dessen Erwägung des Resultat wesentlich modificirt. Wir kön¬ nen daher nur den Eindruck referiren, den man vielfach in Süddeutschland von dem Verlauf der Session empfing. Konnte man die Art von Deserenz nicht begreifen, welche die Majorität den süddeutschen Frondeurs entgegen» brachte, so konnte man sich doch auch mit der Tonart nicht befreunden, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/474>, abgerufen am 15.01.2025.