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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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werden, welcher uns zu dem Punkte geführt hat, auf welchem wir stehen.
Es ist jetzt ganz gleichgültig, darüber zu rechten, ob es Preußen möglich ge¬
wesen wäre, an der Hand der Zollvereinsverträge den widerstrebenden Par¬
teien ein größeres Stück Freiheit zu oktroyiren oder nicht. Die Aussicht, um¬
fassendere Verträge abzuschließen, erachten wir im Augenblicke für sehr
gering, wenn auch die Kreuzzeitung und die norddeutsche Allgemeine das
Recht zu solchen ausdrücklich verwahren. Das Stuttgarter Programm vom
August v. I., bei dessen Abfassung die nationale Partei aller vier Südstaaten
vertreten war, hat gerade die Entwickelung des Zollparlaments in erste
Linie gestellt und eine Competenzerweiterung auf die allgemeine Gesetzgebung
gefordert. Soll dieses Program aufgegeben oder soll es festgehalten werden?
Man spricht davon, daß alle Anstrengungen sich jetzt darauf concentriren
müßten, Südhessen und Baden in den norddeutschen Bund zu bringen. Will
man aber in Berlin augenblicklich diesen Eintritt? Hat man nicht in dieser
Beziehung und im Hinblick auf die daraus folgende Jsolirung Baierns
dem Fürsten Hohenlohe Zusicherungen gemacht und zwar gerade bei Abschluß
der Zollparlamentsverträge? Eine wohl aufzuwerfende Frage. Die natio¬
nale Partei in Baden und Südhessen wird die Agitation für den Eintritt
dieser Länder in den Nordbund in dem Augenblick mit Entschiedenheit auf¬
nehmen, wo sie auf Seite der leitenden Staatsmänner des Nordens den
entschiedenen Willen sieht, diesen Eintritt auch wirklich zu vollziehen. Jede
Agitation, die diesen festen Hintergrund nicht hat. ist mehr wie nutzlos, sie ist
schädlich; sie verbraucht Kräfte, die nicht sorgfältig genug auf den entschei¬
denden Moment aufgespart werden können.

Ehe man das Instrument des Zollparlaments als werthlos in die Ecke
stellt, wird man untersuchen müssen, wie es gespielt worden. Daß es ent¬
schiedene Gegner einer engeren Verbindung der Südstaaten mit dem Norden
auch unter den norddeutschen Abgeordneten gibt, wissen wir. Wir lassen sie
aber außer Betracht, weil sie keine Majorität bilden. Wir sprechen nur von
den nationalgesinnten Mitgliedern. Diese waren von Anfang an von eines
Gedankens Blässe angekränkelt, der Furcht vor gewaltsamer Majorisirung
der Süddeutschen. Man wollte dieselben schonen und gewinnen und man
hat gerade das Gegentheil erreicht. Die ihnen gewährte Schonung hielten
die Betreffenden für Schwäche; als sie sahen, wie zart man ihnen gegenüber¬
trat, kamen sie sich auf einmal ungemein stark und gewaltig vor. Da die
Majorität des Zollparlaments vor einer Handvoll Frondeurs gleichsam ab-
UcKte. gebehrdete sich diese Minorität als eigentliche Majorität. Die süd¬
deutsche Fraction gerirte sich, als gebe es gar keine nationalen Vertreter
vom linken Mainufer, sie sprachen von "uns Süddeutschen", als wären Barth.


werden, welcher uns zu dem Punkte geführt hat, auf welchem wir stehen.
Es ist jetzt ganz gleichgültig, darüber zu rechten, ob es Preußen möglich ge¬
wesen wäre, an der Hand der Zollvereinsverträge den widerstrebenden Par¬
teien ein größeres Stück Freiheit zu oktroyiren oder nicht. Die Aussicht, um¬
fassendere Verträge abzuschließen, erachten wir im Augenblicke für sehr
gering, wenn auch die Kreuzzeitung und die norddeutsche Allgemeine das
Recht zu solchen ausdrücklich verwahren. Das Stuttgarter Programm vom
August v. I., bei dessen Abfassung die nationale Partei aller vier Südstaaten
vertreten war, hat gerade die Entwickelung des Zollparlaments in erste
Linie gestellt und eine Competenzerweiterung auf die allgemeine Gesetzgebung
gefordert. Soll dieses Program aufgegeben oder soll es festgehalten werden?
Man spricht davon, daß alle Anstrengungen sich jetzt darauf concentriren
müßten, Südhessen und Baden in den norddeutschen Bund zu bringen. Will
man aber in Berlin augenblicklich diesen Eintritt? Hat man nicht in dieser
Beziehung und im Hinblick auf die daraus folgende Jsolirung Baierns
dem Fürsten Hohenlohe Zusicherungen gemacht und zwar gerade bei Abschluß
der Zollparlamentsverträge? Eine wohl aufzuwerfende Frage. Die natio¬
nale Partei in Baden und Südhessen wird die Agitation für den Eintritt
dieser Länder in den Nordbund in dem Augenblick mit Entschiedenheit auf¬
nehmen, wo sie auf Seite der leitenden Staatsmänner des Nordens den
entschiedenen Willen sieht, diesen Eintritt auch wirklich zu vollziehen. Jede
Agitation, die diesen festen Hintergrund nicht hat. ist mehr wie nutzlos, sie ist
schädlich; sie verbraucht Kräfte, die nicht sorgfältig genug auf den entschei¬
denden Moment aufgespart werden können.

Ehe man das Instrument des Zollparlaments als werthlos in die Ecke
stellt, wird man untersuchen müssen, wie es gespielt worden. Daß es ent¬
schiedene Gegner einer engeren Verbindung der Südstaaten mit dem Norden
auch unter den norddeutschen Abgeordneten gibt, wissen wir. Wir lassen sie
aber außer Betracht, weil sie keine Majorität bilden. Wir sprechen nur von
den nationalgesinnten Mitgliedern. Diese waren von Anfang an von eines
Gedankens Blässe angekränkelt, der Furcht vor gewaltsamer Majorisirung
der Süddeutschen. Man wollte dieselben schonen und gewinnen und man
hat gerade das Gegentheil erreicht. Die ihnen gewährte Schonung hielten
die Betreffenden für Schwäche; als sie sahen, wie zart man ihnen gegenüber¬
trat, kamen sie sich auf einmal ungemein stark und gewaltig vor. Da die
Majorität des Zollparlaments vor einer Handvoll Frondeurs gleichsam ab-
UcKte. gebehrdete sich diese Minorität als eigentliche Majorität. Die süd¬
deutsche Fraction gerirte sich, als gebe es gar keine nationalen Vertreter
vom linken Mainufer, sie sprachen von „uns Süddeutschen", als wären Barth.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/473>, abgerufen am 15.01.2025.