Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

fordern nicht sämmtlich gleiche Größe des Raums. Die italienische Masken¬
pantomime ist in den kleinen Häusern aufgeblüht und abgelebt, die ernste
pantomimische Darstellung, eine Kunst von sehr eigenthümlichen und starken
Effecten, in Deutschland jetzt fast unbekannt, auch in ihrer Heimath Italien
im Untergange begriffen, hatte zu ihrer ersten Voraussetzung die allerfeinste
Detailmalerei, also kleine Häuser. Unser tanzendes Ballet dagegen wünscht
große Bühnen für die figurenreichen Chöre und den französischen Quirltanz
der Solotänzerinnen. Und es ist bezeichnend, daß aus großen Theatern ge¬
wisse Wagnisse in Toilette und Stellungen weniger peinlich wirken, als bei
der vertraulichen Nähe kleiner Bühnen, denn die Tanzenden erhalten in der
Entfernung größere Aehnlichkeit mit Puppen.

Ungleich kleiner ist der Raum, den das recitirende Drama der modernen
Völker für seine edelsten Aufgaben heischt. Ihm fehlen Orchester, Chöre, die wohl¬
gemessenen Schwingungen des musikalischen Tons. Auch die Ensemblescenen,
wie kunstvoll sie von dem Dichter eingerichtet sein mögen, entfalten nicht die
größten Wirkungen, diese liegen ausschließlich in dem detaillirten, charakteristi¬
schen Spiel der einzelnen Rollen, welche allein, zu zweien, oder in geringer
Mehrzahl Wesen und Erscheinung, alle Höhe und Tiefe der Menschennatur
darzustellen haben. Sprache, Ausdruck, Geberde sollen seit Shakespeare jede
für die Kunst irgend verwendbare Nuance in Charakter, Stimmung, Leiden¬
schaft mit Kunstwahrheit ausdrücken. Die Seelenprozesse, welche im Trauer¬
spiel wie im Lustspiel dargestellt werden, sind so tief und gewaltig, und
wieder so fein, complicirt und wechselnd, wie sie nur das wirkliche Leben
moderner Culturmenschen darstellt und geistvolle Beobachtung zu erfassen
vermag. Das moderne Drama kann daher nur einen Raum brauchen, wel¬
cher einem gesunden Auge auch auf den entferntesten Sitzen des Zuschauer¬
raumes jede Feinheit des Gesichtsausdrucks und dem Ohr die leisesten Accente
des gesprochenen Wortes verständlich macht.

Die deutsche Sprache ist nicht übermäßig wohltönend, der volle Klang
früherer Jahrhunderte verloren, die Endungen abgeschliffen oder ronarm,
ein Vortreten der Zischlaute und einige harte Consonantenverbindungen,
dazu die feinen Klangunterschiede, in denen die deutsche Wortflexion wandelt,
das Alles macht dem Deutschen schwer, in größerem Raume wirksam zu
sprechen. Auch die Modulation unserer Rede ist nicht reichlich, sie bewegt
sich nur in geringen Abstufungen des Tones und verlangt feste Aufmerksam¬
keit des Hörers. Dazu kommt der logische Accent unserer Wörter und Sätze,
diese edele Vergeistigung deutscher Rede, auch sie trägt dazu bei, daß Kraft,
und Feinheit deutscher Diction nur dem sicher gebildeten Sprecher und Hörer
zugänglich wird. Es ist deshalb dem deutschen Schauspieler überhaupt eine
mühevolle Arbeit, gut d. h. verständlich und ausdrucksvoll sprechen zu lernen,


fordern nicht sämmtlich gleiche Größe des Raums. Die italienische Masken¬
pantomime ist in den kleinen Häusern aufgeblüht und abgelebt, die ernste
pantomimische Darstellung, eine Kunst von sehr eigenthümlichen und starken
Effecten, in Deutschland jetzt fast unbekannt, auch in ihrer Heimath Italien
im Untergange begriffen, hatte zu ihrer ersten Voraussetzung die allerfeinste
Detailmalerei, also kleine Häuser. Unser tanzendes Ballet dagegen wünscht
große Bühnen für die figurenreichen Chöre und den französischen Quirltanz
der Solotänzerinnen. Und es ist bezeichnend, daß aus großen Theatern ge¬
wisse Wagnisse in Toilette und Stellungen weniger peinlich wirken, als bei
der vertraulichen Nähe kleiner Bühnen, denn die Tanzenden erhalten in der
Entfernung größere Aehnlichkeit mit Puppen.

Ungleich kleiner ist der Raum, den das recitirende Drama der modernen
Völker für seine edelsten Aufgaben heischt. Ihm fehlen Orchester, Chöre, die wohl¬
gemessenen Schwingungen des musikalischen Tons. Auch die Ensemblescenen,
wie kunstvoll sie von dem Dichter eingerichtet sein mögen, entfalten nicht die
größten Wirkungen, diese liegen ausschließlich in dem detaillirten, charakteristi¬
schen Spiel der einzelnen Rollen, welche allein, zu zweien, oder in geringer
Mehrzahl Wesen und Erscheinung, alle Höhe und Tiefe der Menschennatur
darzustellen haben. Sprache, Ausdruck, Geberde sollen seit Shakespeare jede
für die Kunst irgend verwendbare Nuance in Charakter, Stimmung, Leiden¬
schaft mit Kunstwahrheit ausdrücken. Die Seelenprozesse, welche im Trauer¬
spiel wie im Lustspiel dargestellt werden, sind so tief und gewaltig, und
wieder so fein, complicirt und wechselnd, wie sie nur das wirkliche Leben
moderner Culturmenschen darstellt und geistvolle Beobachtung zu erfassen
vermag. Das moderne Drama kann daher nur einen Raum brauchen, wel¬
cher einem gesunden Auge auch auf den entferntesten Sitzen des Zuschauer¬
raumes jede Feinheit des Gesichtsausdrucks und dem Ohr die leisesten Accente
des gesprochenen Wortes verständlich macht.

Die deutsche Sprache ist nicht übermäßig wohltönend, der volle Klang
früherer Jahrhunderte verloren, die Endungen abgeschliffen oder ronarm,
ein Vortreten der Zischlaute und einige harte Consonantenverbindungen,
dazu die feinen Klangunterschiede, in denen die deutsche Wortflexion wandelt,
das Alles macht dem Deutschen schwer, in größerem Raume wirksam zu
sprechen. Auch die Modulation unserer Rede ist nicht reichlich, sie bewegt
sich nur in geringen Abstufungen des Tones und verlangt feste Aufmerksam¬
keit des Hörers. Dazu kommt der logische Accent unserer Wörter und Sätze,
diese edele Vergeistigung deutscher Rede, auch sie trägt dazu bei, daß Kraft,
und Feinheit deutscher Diction nur dem sicher gebildeten Sprecher und Hörer
zugänglich wird. Es ist deshalb dem deutschen Schauspieler überhaupt eine
mühevolle Arbeit, gut d. h. verständlich und ausdrucksvoll sprechen zu lernen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117950"/>
          <p xml:id="ID_1322" prev="#ID_1321"> fordern nicht sämmtlich gleiche Größe des Raums. Die italienische Masken¬<lb/>
pantomime ist in den kleinen Häusern aufgeblüht und abgelebt, die ernste<lb/>
pantomimische Darstellung, eine Kunst von sehr eigenthümlichen und starken<lb/>
Effecten, in Deutschland jetzt fast unbekannt, auch in ihrer Heimath Italien<lb/>
im Untergange begriffen, hatte zu ihrer ersten Voraussetzung die allerfeinste<lb/>
Detailmalerei, also kleine Häuser. Unser tanzendes Ballet dagegen wünscht<lb/>
große Bühnen für die figurenreichen Chöre und den französischen Quirltanz<lb/>
der Solotänzerinnen. Und es ist bezeichnend, daß aus großen Theatern ge¬<lb/>
wisse Wagnisse in Toilette und Stellungen weniger peinlich wirken, als bei<lb/>
der vertraulichen Nähe kleiner Bühnen, denn die Tanzenden erhalten in der<lb/>
Entfernung größere Aehnlichkeit mit Puppen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1323"> Ungleich kleiner ist der Raum, den das recitirende Drama der modernen<lb/>
Völker für seine edelsten Aufgaben heischt. Ihm fehlen Orchester, Chöre, die wohl¬<lb/>
gemessenen Schwingungen des musikalischen Tons. Auch die Ensemblescenen,<lb/>
wie kunstvoll sie von dem Dichter eingerichtet sein mögen, entfalten nicht die<lb/>
größten Wirkungen, diese liegen ausschließlich in dem detaillirten, charakteristi¬<lb/>
schen Spiel der einzelnen Rollen, welche allein, zu zweien, oder in geringer<lb/>
Mehrzahl Wesen und Erscheinung, alle Höhe und Tiefe der Menschennatur<lb/>
darzustellen haben. Sprache, Ausdruck, Geberde sollen seit Shakespeare jede<lb/>
für die Kunst irgend verwendbare Nuance in Charakter, Stimmung, Leiden¬<lb/>
schaft mit Kunstwahrheit ausdrücken. Die Seelenprozesse, welche im Trauer¬<lb/>
spiel wie im Lustspiel dargestellt werden, sind so tief und gewaltig, und<lb/>
wieder so fein, complicirt und wechselnd, wie sie nur das wirkliche Leben<lb/>
moderner Culturmenschen darstellt und geistvolle Beobachtung zu erfassen<lb/>
vermag. Das moderne Drama kann daher nur einen Raum brauchen, wel¬<lb/>
cher einem gesunden Auge auch auf den entferntesten Sitzen des Zuschauer¬<lb/>
raumes jede Feinheit des Gesichtsausdrucks und dem Ohr die leisesten Accente<lb/>
des gesprochenen Wortes verständlich macht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1324" next="#ID_1325"> Die deutsche Sprache ist nicht übermäßig wohltönend, der volle Klang<lb/>
früherer Jahrhunderte verloren, die Endungen abgeschliffen oder ronarm,<lb/>
ein Vortreten der Zischlaute und einige harte Consonantenverbindungen,<lb/>
dazu die feinen Klangunterschiede, in denen die deutsche Wortflexion wandelt,<lb/>
das Alles macht dem Deutschen schwer, in größerem Raume wirksam zu<lb/>
sprechen. Auch die Modulation unserer Rede ist nicht reichlich, sie bewegt<lb/>
sich nur in geringen Abstufungen des Tones und verlangt feste Aufmerksam¬<lb/>
keit des Hörers. Dazu kommt der logische Accent unserer Wörter und Sätze,<lb/>
diese edele Vergeistigung deutscher Rede, auch sie trägt dazu bei, daß Kraft,<lb/>
und Feinheit deutscher Diction nur dem sicher gebildeten Sprecher und Hörer<lb/>
zugänglich wird. Es ist deshalb dem deutschen Schauspieler überhaupt eine<lb/>
mühevolle Arbeit, gut d. h. verständlich und ausdrucksvoll sprechen zu lernen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0418] fordern nicht sämmtlich gleiche Größe des Raums. Die italienische Masken¬ pantomime ist in den kleinen Häusern aufgeblüht und abgelebt, die ernste pantomimische Darstellung, eine Kunst von sehr eigenthümlichen und starken Effecten, in Deutschland jetzt fast unbekannt, auch in ihrer Heimath Italien im Untergange begriffen, hatte zu ihrer ersten Voraussetzung die allerfeinste Detailmalerei, also kleine Häuser. Unser tanzendes Ballet dagegen wünscht große Bühnen für die figurenreichen Chöre und den französischen Quirltanz der Solotänzerinnen. Und es ist bezeichnend, daß aus großen Theatern ge¬ wisse Wagnisse in Toilette und Stellungen weniger peinlich wirken, als bei der vertraulichen Nähe kleiner Bühnen, denn die Tanzenden erhalten in der Entfernung größere Aehnlichkeit mit Puppen. Ungleich kleiner ist der Raum, den das recitirende Drama der modernen Völker für seine edelsten Aufgaben heischt. Ihm fehlen Orchester, Chöre, die wohl¬ gemessenen Schwingungen des musikalischen Tons. Auch die Ensemblescenen, wie kunstvoll sie von dem Dichter eingerichtet sein mögen, entfalten nicht die größten Wirkungen, diese liegen ausschließlich in dem detaillirten, charakteristi¬ schen Spiel der einzelnen Rollen, welche allein, zu zweien, oder in geringer Mehrzahl Wesen und Erscheinung, alle Höhe und Tiefe der Menschennatur darzustellen haben. Sprache, Ausdruck, Geberde sollen seit Shakespeare jede für die Kunst irgend verwendbare Nuance in Charakter, Stimmung, Leiden¬ schaft mit Kunstwahrheit ausdrücken. Die Seelenprozesse, welche im Trauer¬ spiel wie im Lustspiel dargestellt werden, sind so tief und gewaltig, und wieder so fein, complicirt und wechselnd, wie sie nur das wirkliche Leben moderner Culturmenschen darstellt und geistvolle Beobachtung zu erfassen vermag. Das moderne Drama kann daher nur einen Raum brauchen, wel¬ cher einem gesunden Auge auch auf den entferntesten Sitzen des Zuschauer¬ raumes jede Feinheit des Gesichtsausdrucks und dem Ohr die leisesten Accente des gesprochenen Wortes verständlich macht. Die deutsche Sprache ist nicht übermäßig wohltönend, der volle Klang früherer Jahrhunderte verloren, die Endungen abgeschliffen oder ronarm, ein Vortreten der Zischlaute und einige harte Consonantenverbindungen, dazu die feinen Klangunterschiede, in denen die deutsche Wortflexion wandelt, das Alles macht dem Deutschen schwer, in größerem Raume wirksam zu sprechen. Auch die Modulation unserer Rede ist nicht reichlich, sie bewegt sich nur in geringen Abstufungen des Tones und verlangt feste Aufmerksam¬ keit des Hörers. Dazu kommt der logische Accent unserer Wörter und Sätze, diese edele Vergeistigung deutscher Rede, auch sie trägt dazu bei, daß Kraft, und Feinheit deutscher Diction nur dem sicher gebildeten Sprecher und Hörer zugänglich wird. Es ist deshalb dem deutschen Schauspieler überhaupt eine mühevolle Arbeit, gut d. h. verständlich und ausdrucksvoll sprechen zu lernen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/418
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/418>, abgerufen am 15.01.2025.