Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.dem populärsten aller französischen Volkslieder, Berangers unsterblichem Vor die größte aller zu überwindenden Schwierigkeiten ist die französische Aus so zahlreichen und so complicirten Schwierigkeiten (zu denen noch dem populärsten aller französischen Volkslieder, Berangers unsterblichem Vor die größte aller zu überwindenden Schwierigkeiten ist die französische Aus so zahlreichen und so complicirten Schwierigkeiten (zu denen noch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0041" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117573"/> <p xml:id="ID_144" prev="#ID_143"> dem populärsten aller französischen Volkslieder, Berangers unsterblichem<lb/> „König von Jvetot". Wie aber, wenn das Unbehagen der Nation täglich<lb/> zunimmt, und das Regierungsgeschäft doch kostbarer geworden ist, als es in<lb/> den besten Tagen war?</p><lb/> <p xml:id="ID_145"> Vor die größte aller zu überwindenden Schwierigkeiten ist die französische<lb/> Regierung noch nicht getreten und doch läßt sich die Erledigung derselben<lb/> nicht mehr lange verschieben. Die bereits für den Herbst v. I. angesagten<lb/> Neuwahlen zum Lorps I^ZisIatik stehen nunmehr vor der Thür. Die Rech¬<lb/> nung des Cavinets war auf die clericale Partei gestellt, der zu Liebe man<lb/> die zweite römische Expedition und den Conflict mit dem selbstgeschaffenen<lb/> Italien nicht gescheut hatte, und diese Rechnung hat sich als eine falsche aus¬<lb/> gewiesen. Ermuthigt durch ihre jüngsten Erfolge und gereizt durch den<lb/> Schiffbruch, den die Sache der Curie soeben in Wien erlitten hat, haben die<lb/> Ultramontanen ihre Forderungen zu einer Höhe heraufgeschraubt, an welche<lb/> die Gewalt des Kaisers, auch wenn sie sich fügen wollte, nicht reicht; der<lb/> Monde hat klar und deutlich ausgesprochen, daß kein guter Katholik Frank¬<lb/> reichs die Regierung unterstützen dürfe, bevor dieselbe nicht die alten Grenzen<lb/> des Kirchenstaats wiederhergestellt und principiell mit der italienischen Re¬<lb/> volution gebrochen habe. Nur die Restauration der vertriebenen italienischen<lb/> Fürsten, — so meint das katholische Blatt — sei im Stande die „Autono¬<lb/> mie" der Staaten Süddeutschlands auf die Dauer vor der drohenden Um¬<lb/> armung Preußens sicher zu stellen, der Anfang einer wahrhaft nationalen<lb/> und katholischen Politik Frankreichs müsse darum in Florenz gemacht werden.<lb/> Diesen Preis zu zahlen, ist das zweite Kaiserreich schon durch seine Vergangen¬<lb/> heit verhindert. Läßt sich die Geneigtheit der Clericalen nicht dennoch und<lb/> mit andern Mitteln erkaufen, fo hat die Regierung für die bevorstehenden<lb/> Neuwahlen lediglich auf den verbrauchten und discreditirten Apparat ihrer<lb/> Preisenden und Maires zu rechnen. Daß der Papst direct in einer dem Kaiser<lb/> wünschenswerthen Weise auf seine geistliche Armee wirken werde, ist nicht zu<lb/> erwarten. Rom hat aus seiner Unzufriedenheit mit der schwankenden Haltung<lb/> des Nachfolgers der allerchristlichsten Könige niemals ein Hehl gemacht und<lb/> glaubt überdies, für die zuletzt empfangenen Dienste durch Ertheilung der<lb/> Cardinalswürde an den Abbe Lucian Bonaparte vollständig liquidirt zu haben.<lb/> Und doch weiß Napoleon, daß auf den Ausfall gerade der nächsten Wahlen<lb/> außerordentlich viel ankommt, daß das Geschick seiner Dynastie beziehungs¬<lb/> weise von demselben abhängig sein wird. Stirbt der Kaiser im Verlauf der<lb/> nächsten sechs Jahre, so würde die 1868 gewählte Volksvertretung bis zur<lb/> Nolljährigkeitserklärung seines Sohnes in Function sein. Die loyale Majo¬<lb/> rität von heute verdient den Namen der elmwlws introuvMiz ebenso gut,<lb/> wie die bekannte Deputirtenkammer nach der Restauration — wird sie nicht<lb/> auf irgend welche Weise dennoch „wiedergefunden", so fehlen dem Kaiser alle<lb/> Garantien für die Zukunft seines Geschlechts.</p><lb/> <p xml:id="ID_146" next="#ID_147"> Aus so zahlreichen und so complicirten Schwierigkeiten (zu denen noch<lb/> die furchtbare Hungersnoth in Algerien kommt) führt ein Krieg noch nicht<lb/> heraus, auch wenn er glücklich geführt wird, und es gehört wenig Scharf¬<lb/> blick dazu, um die französische Kriegsgefahr mindestens für eine einstweilen<lb/> vertagte anzusehen. Hätte der Kaiser einen Krieg haben wollen, so wäre<lb/> derselbe noch zu Anfang des Monats ohne besondere Schwierigkeiten im<lb/> Orient zu haben gewesen. Der Lärm, welchen die ofsiciöse pariser Presse<lb/> wegen der „Bandenbildung" in Buckarest und Belgrad erhob, der geflissent¬<lb/> liche Eifer mit welchem dieselbe die feindlichen Erklärungen verbreitete, welche<lb/> der russische Gesandte Baron Budberg aus Petersburg mitbrachte, legen den<lb/> Schluß nah, daß dem Tuileriencabinet eine kriegerische Verwickelung im Süd-<lb/> Osten Europas höchst unbequem gewesen wäre. Daß es ohne eine solche nicht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0041]
dem populärsten aller französischen Volkslieder, Berangers unsterblichem
„König von Jvetot". Wie aber, wenn das Unbehagen der Nation täglich
zunimmt, und das Regierungsgeschäft doch kostbarer geworden ist, als es in
den besten Tagen war?
Vor die größte aller zu überwindenden Schwierigkeiten ist die französische
Regierung noch nicht getreten und doch läßt sich die Erledigung derselben
nicht mehr lange verschieben. Die bereits für den Herbst v. I. angesagten
Neuwahlen zum Lorps I^ZisIatik stehen nunmehr vor der Thür. Die Rech¬
nung des Cavinets war auf die clericale Partei gestellt, der zu Liebe man
die zweite römische Expedition und den Conflict mit dem selbstgeschaffenen
Italien nicht gescheut hatte, und diese Rechnung hat sich als eine falsche aus¬
gewiesen. Ermuthigt durch ihre jüngsten Erfolge und gereizt durch den
Schiffbruch, den die Sache der Curie soeben in Wien erlitten hat, haben die
Ultramontanen ihre Forderungen zu einer Höhe heraufgeschraubt, an welche
die Gewalt des Kaisers, auch wenn sie sich fügen wollte, nicht reicht; der
Monde hat klar und deutlich ausgesprochen, daß kein guter Katholik Frank¬
reichs die Regierung unterstützen dürfe, bevor dieselbe nicht die alten Grenzen
des Kirchenstaats wiederhergestellt und principiell mit der italienischen Re¬
volution gebrochen habe. Nur die Restauration der vertriebenen italienischen
Fürsten, — so meint das katholische Blatt — sei im Stande die „Autono¬
mie" der Staaten Süddeutschlands auf die Dauer vor der drohenden Um¬
armung Preußens sicher zu stellen, der Anfang einer wahrhaft nationalen
und katholischen Politik Frankreichs müsse darum in Florenz gemacht werden.
Diesen Preis zu zahlen, ist das zweite Kaiserreich schon durch seine Vergangen¬
heit verhindert. Läßt sich die Geneigtheit der Clericalen nicht dennoch und
mit andern Mitteln erkaufen, fo hat die Regierung für die bevorstehenden
Neuwahlen lediglich auf den verbrauchten und discreditirten Apparat ihrer
Preisenden und Maires zu rechnen. Daß der Papst direct in einer dem Kaiser
wünschenswerthen Weise auf seine geistliche Armee wirken werde, ist nicht zu
erwarten. Rom hat aus seiner Unzufriedenheit mit der schwankenden Haltung
des Nachfolgers der allerchristlichsten Könige niemals ein Hehl gemacht und
glaubt überdies, für die zuletzt empfangenen Dienste durch Ertheilung der
Cardinalswürde an den Abbe Lucian Bonaparte vollständig liquidirt zu haben.
Und doch weiß Napoleon, daß auf den Ausfall gerade der nächsten Wahlen
außerordentlich viel ankommt, daß das Geschick seiner Dynastie beziehungs¬
weise von demselben abhängig sein wird. Stirbt der Kaiser im Verlauf der
nächsten sechs Jahre, so würde die 1868 gewählte Volksvertretung bis zur
Nolljährigkeitserklärung seines Sohnes in Function sein. Die loyale Majo¬
rität von heute verdient den Namen der elmwlws introuvMiz ebenso gut,
wie die bekannte Deputirtenkammer nach der Restauration — wird sie nicht
auf irgend welche Weise dennoch „wiedergefunden", so fehlen dem Kaiser alle
Garantien für die Zukunft seines Geschlechts.
Aus so zahlreichen und so complicirten Schwierigkeiten (zu denen noch
die furchtbare Hungersnoth in Algerien kommt) führt ein Krieg noch nicht
heraus, auch wenn er glücklich geführt wird, und es gehört wenig Scharf¬
blick dazu, um die französische Kriegsgefahr mindestens für eine einstweilen
vertagte anzusehen. Hätte der Kaiser einen Krieg haben wollen, so wäre
derselbe noch zu Anfang des Monats ohne besondere Schwierigkeiten im
Orient zu haben gewesen. Der Lärm, welchen die ofsiciöse pariser Presse
wegen der „Bandenbildung" in Buckarest und Belgrad erhob, der geflissent¬
liche Eifer mit welchem dieselbe die feindlichen Erklärungen verbreitete, welche
der russische Gesandte Baron Budberg aus Petersburg mitbrachte, legen den
Schluß nah, daß dem Tuileriencabinet eine kriegerische Verwickelung im Süd-
Osten Europas höchst unbequem gewesen wäre. Daß es ohne eine solche nicht
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