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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Dies läßt uns ahnen, daß eine noch viel größere Continuität in der Cultur¬
entwickelung der Menschen stattgefunden hat, als wir sie aus den vorhan¬
denen Denkmälern nachzuweisen im Stande sind.




Die Reorganisation der vairischen Armee.

Mit nicht geringerer Spannung als im vorigen Monat den Verhandlun-
lungen des norddeutschen Zollparlaments, wendet unsere Nation jetzt die
Blicke auf die militärischen Umgestaltungen, welche sich im Süden und na¬
mentlich in Baiern vollziehen. Baiern, das als das stärkste Glied im Bereiche
der Südstaaten gilt und daher voraussichtlich der Tonangebende sein sollte,
mithin mit gutem Beispiele hätte vorausgehen müssen, kam wider alles Er¬
warten xost lvstum, und scheint auch hier dem Spruche "Eile mit Weile!"
treu geblieben zu sein. Doch die Bescheerung ist nun endlich da und möge
sich in Baierns und Gesammtdeutschlands Interesse auch das andere deutsche
Sprichwort bestätigen: "Was lange währt, wird gut." --

Während die anderen Südstaaten die Institutionen der preußischen oder
vielmehr der jetzigen norddeutschen Bundesarmee mehr oder weniger pure
annahmen, verfolgte man an der Jsar wie immer seinen eigenen Weg. Und
doch scheint man noch in dem Wahne befangen zu sein, man habe bei schwer¬
ankommendem Verzicht aus so manches specifisch Bajuvarische ein Gleiches
gethan, um zu Gunsten des Ganzen auch hier Gleichförmigkeit zu erzie¬
len. So wenigstens lassen sich bairische Blätter bis jetzt vernehmen. Das
klingt wie Ironie, wenn man nur einige Vergleiche zwischen dem jetzigen
bairischen und dem norddeutschen Heerwesen anstellt. Man hat nicht einmal
nöthig, sich in die neue bairische Organisation zu vertiefen, um herauszufinden,
daß hier im wesentlichsten so ziemlich alles beim Alten geblieben, nur bei
der Infanterie etwas mehr aus dem bisherigen Geleise gebogen worden ist.

Bei den neueren Institutionen im Heerwesen sucht man allenthalben den
Mechanismus so viel als möglich zu vereinfachen, um, abgesehen von allen
unnöthigen Kosten, das Ganze so mobil als möglich zu machen. Man wirst
daher allen veralteten und hindernden Ballast unbarmherzig über Bord,
damit das Fahrzeug flotter wird. In dieser Beziehung ist man namentlich
in Preußen mit gutem Beispiel vorangegangen, was sich im letzten Kriege
auf das glänzendste gezeigt hat. In Baiern scheint man den Anlauf noch
nicht stark genug genommen zu haben, um mit dem überlebten Herkom-


Dies läßt uns ahnen, daß eine noch viel größere Continuität in der Cultur¬
entwickelung der Menschen stattgefunden hat, als wir sie aus den vorhan¬
denen Denkmälern nachzuweisen im Stande sind.




Die Reorganisation der vairischen Armee.

Mit nicht geringerer Spannung als im vorigen Monat den Verhandlun-
lungen des norddeutschen Zollparlaments, wendet unsere Nation jetzt die
Blicke auf die militärischen Umgestaltungen, welche sich im Süden und na¬
mentlich in Baiern vollziehen. Baiern, das als das stärkste Glied im Bereiche
der Südstaaten gilt und daher voraussichtlich der Tonangebende sein sollte,
mithin mit gutem Beispiele hätte vorausgehen müssen, kam wider alles Er¬
warten xost lvstum, und scheint auch hier dem Spruche „Eile mit Weile!"
treu geblieben zu sein. Doch die Bescheerung ist nun endlich da und möge
sich in Baierns und Gesammtdeutschlands Interesse auch das andere deutsche
Sprichwort bestätigen: „Was lange währt, wird gut." —

Während die anderen Südstaaten die Institutionen der preußischen oder
vielmehr der jetzigen norddeutschen Bundesarmee mehr oder weniger pure
annahmen, verfolgte man an der Jsar wie immer seinen eigenen Weg. Und
doch scheint man noch in dem Wahne befangen zu sein, man habe bei schwer¬
ankommendem Verzicht aus so manches specifisch Bajuvarische ein Gleiches
gethan, um zu Gunsten des Ganzen auch hier Gleichförmigkeit zu erzie¬
len. So wenigstens lassen sich bairische Blätter bis jetzt vernehmen. Das
klingt wie Ironie, wenn man nur einige Vergleiche zwischen dem jetzigen
bairischen und dem norddeutschen Heerwesen anstellt. Man hat nicht einmal
nöthig, sich in die neue bairische Organisation zu vertiefen, um herauszufinden,
daß hier im wesentlichsten so ziemlich alles beim Alten geblieben, nur bei
der Infanterie etwas mehr aus dem bisherigen Geleise gebogen worden ist.

Bei den neueren Institutionen im Heerwesen sucht man allenthalben den
Mechanismus so viel als möglich zu vereinfachen, um, abgesehen von allen
unnöthigen Kosten, das Ganze so mobil als möglich zu machen. Man wirst
daher allen veralteten und hindernden Ballast unbarmherzig über Bord,
damit das Fahrzeug flotter wird. In dieser Beziehung ist man namentlich
in Preußen mit gutem Beispiel vorangegangen, was sich im letzten Kriege
auf das glänzendste gezeigt hat. In Baiern scheint man den Anlauf noch
nicht stark genug genommen zu haben, um mit dem überlebten Herkom-


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[0396] Dies läßt uns ahnen, daß eine noch viel größere Continuität in der Cultur¬ entwickelung der Menschen stattgefunden hat, als wir sie aus den vorhan¬ denen Denkmälern nachzuweisen im Stande sind. Die Reorganisation der vairischen Armee. Mit nicht geringerer Spannung als im vorigen Monat den Verhandlun- lungen des norddeutschen Zollparlaments, wendet unsere Nation jetzt die Blicke auf die militärischen Umgestaltungen, welche sich im Süden und na¬ mentlich in Baiern vollziehen. Baiern, das als das stärkste Glied im Bereiche der Südstaaten gilt und daher voraussichtlich der Tonangebende sein sollte, mithin mit gutem Beispiele hätte vorausgehen müssen, kam wider alles Er¬ warten xost lvstum, und scheint auch hier dem Spruche „Eile mit Weile!" treu geblieben zu sein. Doch die Bescheerung ist nun endlich da und möge sich in Baierns und Gesammtdeutschlands Interesse auch das andere deutsche Sprichwort bestätigen: „Was lange währt, wird gut." — Während die anderen Südstaaten die Institutionen der preußischen oder vielmehr der jetzigen norddeutschen Bundesarmee mehr oder weniger pure annahmen, verfolgte man an der Jsar wie immer seinen eigenen Weg. Und doch scheint man noch in dem Wahne befangen zu sein, man habe bei schwer¬ ankommendem Verzicht aus so manches specifisch Bajuvarische ein Gleiches gethan, um zu Gunsten des Ganzen auch hier Gleichförmigkeit zu erzie¬ len. So wenigstens lassen sich bairische Blätter bis jetzt vernehmen. Das klingt wie Ironie, wenn man nur einige Vergleiche zwischen dem jetzigen bairischen und dem norddeutschen Heerwesen anstellt. Man hat nicht einmal nöthig, sich in die neue bairische Organisation zu vertiefen, um herauszufinden, daß hier im wesentlichsten so ziemlich alles beim Alten geblieben, nur bei der Infanterie etwas mehr aus dem bisherigen Geleise gebogen worden ist. Bei den neueren Institutionen im Heerwesen sucht man allenthalben den Mechanismus so viel als möglich zu vereinfachen, um, abgesehen von allen unnöthigen Kosten, das Ganze so mobil als möglich zu machen. Man wirst daher allen veralteten und hindernden Ballast unbarmherzig über Bord, damit das Fahrzeug flotter wird. In dieser Beziehung ist man namentlich in Preußen mit gutem Beispiel vorangegangen, was sich im letzten Kriege auf das glänzendste gezeigt hat. In Baiern scheint man den Anlauf noch nicht stark genug genommen zu haben, um mit dem überlebten Herkom-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/396>, abgerufen am 15.01.2025.