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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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des Vaterlandes. Hatten sie doch nach dem Zeugniß des Demosthenes selbst
an dem größten bürgerlichen Recht, der Freiheit der Rede, Antheil und zwar
einen größeren, als er sogar Bürgern anderer Staaten verstattet war. Zwar
stand den Herren das Recht körperlicher Züchtigung zu, doch schützte das Ge¬
setz den Sclaven gegen Mißhandlung. Todesstrafe dagegen konnte nur der
Staat verhängen. Zu schonender Behandlung der Sclaven mußte überdies
außer den Rücksichten der Humanität auch die Klugheit auffordern, da die
Zahl derselben eine sehr große war. Nach der Schätzung unseres scharfsinnigsten
Alterthumsgelehrten, des unvergeßlichen Böckh, waren in Attica um die
Zeit des Hyperides etwa 210,000 erwachsene männliche Sclaven, von denen
60,000 auf die Stadt kamen, mit 155,000 Weibern und Kindern gegenüber
einer Zahl von 135,000 Freien, sodaß sich das Verhältniß der Freien zu
den Unfreien etwa wie 1 : 4 stellte, was nur in den Plantagen der ameri¬
kanischen Sclavenhalter (1 : 6) übertroffen wurde. Hatten die Athener bet
solcher Behandlung auch nicht gerade Aufstände zu befürchten, so war doch
das Entfliehen, zumal in Kriegszeiten leicht, wie wir denn wissen, daß wäh¬
rend des Peloponnesischen Krieges 20,000 Sclaven zu der dekeleischen Be¬
satzung übergegangen sind. Die Sclaven wurden zunächst vielfach im Hause
verwendet, wo sie die Bedienung zu versehen hatten. Aus Ausgängen be¬
gleiteten sie ihren Herrn, ein Luxus, den sich auch der Aermere nicht ver¬
sagte, während der Reiche durch die Zahl der Begleiter glänzte. Weniger
gut hatten es die Feldarbeiter, am schlimmsten die in den attischen Berg¬
werken, wohin auch sonst unbrauchbare oder ungehorsame Sclaven geschickt
wurden. Endlich aber vertraten sie die Stelle unserer Fabrikarbeiter. Als
solche wurden sie von ihren Herren entweder in der eigenen Fabrik beschäf¬
tigt oder- für Geld an fremde Meister vermiethet. Es scheint aber auch an
solchen nicht gefehlt zU haben, die auf eigene Hand ein Gewerbe betrieben,
wofür sie ihren Herren eine Abgabe zu entrichten hatten. So konnten sie
die Mittel erlangen, sich frei zu kaufen, was sie jedoch nicht gänzlich von
ihrem Herrn unabhängig machte. Vom Staat wurden sie unter der Klasse
der "abgesondert Wohnenden" im Rechte den Schutzverwandten gleich gestellt.
Am günstigsten war die Lage der Staatssclaven, die Subalternposten beklei¬
deten und als Herolde, Gerichtsdiener oder Polizeisoldaten der Schaarwache
fungirten. In solchen Stellungen konnten sie es, wie das Beispiel des
Sittalakus bei Aeschines beweist, nicht nur bis zu einer gewissen Wohlhaben¬
heit bringen, sondern auch den noblen Passionen der vornehmen Athener
huldigen. In Fällen der Noth wurden auch Sclaven zu Kriegsdiensten
herangezogen, wie sie denn schon bei Marathon mitgefochten haben sollen.
Sicher steht fest, daß sie am Siege bei den Arginussen theilnahmen und als
Bürger "von Plataeae" in den attischen Staatsverband aufgenommen our-


des Vaterlandes. Hatten sie doch nach dem Zeugniß des Demosthenes selbst
an dem größten bürgerlichen Recht, der Freiheit der Rede, Antheil und zwar
einen größeren, als er sogar Bürgern anderer Staaten verstattet war. Zwar
stand den Herren das Recht körperlicher Züchtigung zu, doch schützte das Ge¬
setz den Sclaven gegen Mißhandlung. Todesstrafe dagegen konnte nur der
Staat verhängen. Zu schonender Behandlung der Sclaven mußte überdies
außer den Rücksichten der Humanität auch die Klugheit auffordern, da die
Zahl derselben eine sehr große war. Nach der Schätzung unseres scharfsinnigsten
Alterthumsgelehrten, des unvergeßlichen Böckh, waren in Attica um die
Zeit des Hyperides etwa 210,000 erwachsene männliche Sclaven, von denen
60,000 auf die Stadt kamen, mit 155,000 Weibern und Kindern gegenüber
einer Zahl von 135,000 Freien, sodaß sich das Verhältniß der Freien zu
den Unfreien etwa wie 1 : 4 stellte, was nur in den Plantagen der ameri¬
kanischen Sclavenhalter (1 : 6) übertroffen wurde. Hatten die Athener bet
solcher Behandlung auch nicht gerade Aufstände zu befürchten, so war doch
das Entfliehen, zumal in Kriegszeiten leicht, wie wir denn wissen, daß wäh¬
rend des Peloponnesischen Krieges 20,000 Sclaven zu der dekeleischen Be¬
satzung übergegangen sind. Die Sclaven wurden zunächst vielfach im Hause
verwendet, wo sie die Bedienung zu versehen hatten. Aus Ausgängen be¬
gleiteten sie ihren Herrn, ein Luxus, den sich auch der Aermere nicht ver¬
sagte, während der Reiche durch die Zahl der Begleiter glänzte. Weniger
gut hatten es die Feldarbeiter, am schlimmsten die in den attischen Berg¬
werken, wohin auch sonst unbrauchbare oder ungehorsame Sclaven geschickt
wurden. Endlich aber vertraten sie die Stelle unserer Fabrikarbeiter. Als
solche wurden sie von ihren Herren entweder in der eigenen Fabrik beschäf¬
tigt oder- für Geld an fremde Meister vermiethet. Es scheint aber auch an
solchen nicht gefehlt zU haben, die auf eigene Hand ein Gewerbe betrieben,
wofür sie ihren Herren eine Abgabe zu entrichten hatten. So konnten sie
die Mittel erlangen, sich frei zu kaufen, was sie jedoch nicht gänzlich von
ihrem Herrn unabhängig machte. Vom Staat wurden sie unter der Klasse
der „abgesondert Wohnenden" im Rechte den Schutzverwandten gleich gestellt.
Am günstigsten war die Lage der Staatssclaven, die Subalternposten beklei¬
deten und als Herolde, Gerichtsdiener oder Polizeisoldaten der Schaarwache
fungirten. In solchen Stellungen konnten sie es, wie das Beispiel des
Sittalakus bei Aeschines beweist, nicht nur bis zu einer gewissen Wohlhaben¬
heit bringen, sondern auch den noblen Passionen der vornehmen Athener
huldigen. In Fällen der Noth wurden auch Sclaven zu Kriegsdiensten
herangezogen, wie sie denn schon bei Marathon mitgefochten haben sollen.
Sicher steht fest, daß sie am Siege bei den Arginussen theilnahmen und als
Bürger „von Plataeae" in den attischen Staatsverband aufgenommen our-


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[0380] des Vaterlandes. Hatten sie doch nach dem Zeugniß des Demosthenes selbst an dem größten bürgerlichen Recht, der Freiheit der Rede, Antheil und zwar einen größeren, als er sogar Bürgern anderer Staaten verstattet war. Zwar stand den Herren das Recht körperlicher Züchtigung zu, doch schützte das Ge¬ setz den Sclaven gegen Mißhandlung. Todesstrafe dagegen konnte nur der Staat verhängen. Zu schonender Behandlung der Sclaven mußte überdies außer den Rücksichten der Humanität auch die Klugheit auffordern, da die Zahl derselben eine sehr große war. Nach der Schätzung unseres scharfsinnigsten Alterthumsgelehrten, des unvergeßlichen Böckh, waren in Attica um die Zeit des Hyperides etwa 210,000 erwachsene männliche Sclaven, von denen 60,000 auf die Stadt kamen, mit 155,000 Weibern und Kindern gegenüber einer Zahl von 135,000 Freien, sodaß sich das Verhältniß der Freien zu den Unfreien etwa wie 1 : 4 stellte, was nur in den Plantagen der ameri¬ kanischen Sclavenhalter (1 : 6) übertroffen wurde. Hatten die Athener bet solcher Behandlung auch nicht gerade Aufstände zu befürchten, so war doch das Entfliehen, zumal in Kriegszeiten leicht, wie wir denn wissen, daß wäh¬ rend des Peloponnesischen Krieges 20,000 Sclaven zu der dekeleischen Be¬ satzung übergegangen sind. Die Sclaven wurden zunächst vielfach im Hause verwendet, wo sie die Bedienung zu versehen hatten. Aus Ausgängen be¬ gleiteten sie ihren Herrn, ein Luxus, den sich auch der Aermere nicht ver¬ sagte, während der Reiche durch die Zahl der Begleiter glänzte. Weniger gut hatten es die Feldarbeiter, am schlimmsten die in den attischen Berg¬ werken, wohin auch sonst unbrauchbare oder ungehorsame Sclaven geschickt wurden. Endlich aber vertraten sie die Stelle unserer Fabrikarbeiter. Als solche wurden sie von ihren Herren entweder in der eigenen Fabrik beschäf¬ tigt oder- für Geld an fremde Meister vermiethet. Es scheint aber auch an solchen nicht gefehlt zU haben, die auf eigene Hand ein Gewerbe betrieben, wofür sie ihren Herren eine Abgabe zu entrichten hatten. So konnten sie die Mittel erlangen, sich frei zu kaufen, was sie jedoch nicht gänzlich von ihrem Herrn unabhängig machte. Vom Staat wurden sie unter der Klasse der „abgesondert Wohnenden" im Rechte den Schutzverwandten gleich gestellt. Am günstigsten war die Lage der Staatssclaven, die Subalternposten beklei¬ deten und als Herolde, Gerichtsdiener oder Polizeisoldaten der Schaarwache fungirten. In solchen Stellungen konnten sie es, wie das Beispiel des Sittalakus bei Aeschines beweist, nicht nur bis zu einer gewissen Wohlhaben¬ heit bringen, sondern auch den noblen Passionen der vornehmen Athener huldigen. In Fällen der Noth wurden auch Sclaven zu Kriegsdiensten herangezogen, wie sie denn schon bei Marathon mitgefochten haben sollen. Sicher steht fest, daß sie am Siege bei den Arginussen theilnahmen und als Bürger „von Plataeae" in den attischen Staatsverband aufgenommen our-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/380>, abgerufen am 16.01.2025.