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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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lischer Einflüsse namentlich bei der brittischen Pairie; die ihrem sonst viel ge¬
feierten Führer, dem Herzog von Wellington, seinen damals verübten Ver¬
rath an den Grundsätzen des alten England im Grunde niemals ver¬
geben hat/'

Einer der ältesten und bedeutendsten überlebenden Zeugen jener denk¬
würdigen Zeit, der 90jährige Henry Brougham (seit dem 22. November
1830 Lord Brougham and Vauz) ist bald nach dem denkwürdigen Siege
Gladstones auf seinem Landhause zu Cannes verstorben. Die Abschaffung des
Sclavenhandels, der Prozeß der Königin Caroline, der förmliche Bruch mit
den Castlereaghschen Reactionsprinzipien, die große Reformbill von 1831, die
Reform des Gerichtswesens, die Prozeß- und Bankerottordnung sind mit
dem Namen dieses denkwürdigen Mannes verknüpft, in dem einer der besten
englischen Charakterköpfe alten Gepräges dahin gegangen ist. Der Todfeind
des engherzigen Torythums, der Anwalt des vernachlässigten Volksunterrichts,
der Mann, der es zuerst gewagt, den Sclavenhandel als Capitalverbrechen
zu brandmarken, wurde während der zweiten Hälfte seines Lebens zum Geg¬
ner der Kyrngesetze und der Universitätsreform und stand schließlich an
der Spitze der Agitation für Anerkennung der amerikanischen Rebellen¬
staaten, ohne jemals zum Tory geworden zu sein oder sich von den Anschau¬
ungen seiner Jünglings- und Mannesjahre losgesagt zu haben. Uns Deut¬
schen hat Brougham sich zuletzt durch die lebhaften Sympathien ins
Gedächtniß gerufen, die er 1863 den Polen und 1864 den Dänen bewies,
beidemal ohne seine Landsleute zu directen Eingriffen in die Continentalpo-
litik bewegen zu können.

Wenn wir noch erwähnen, daß dem russischen Reich ein Thronerbe
geboren worden ist, daß das verdienstvolle Haupt der evangelischen Kirche
Rußlands, Bischof Ulmann, sein Amt niedergelegt hat und daß die An¬
wesenheit des berliner Naticmalöconomen Faucher in Petersburg zur Bele¬
bung der russischen freihändlerischen Agitation nicht unwesentlich beigetragen
hat (die einflußreiche Moskauische Zeitung hat sich an die Spitze der anti-
Protectionistischen Bewegung gestellt), so haben wir unsere Umschau über die
europäischen Hauptereignisse des Waimonats 1868 beendet. Das wichtigste der¬
selben ist, und nicht für Deutschland allein, die erste Session des ersten deutschen
Zollparlaments. So wenig wir uns mit den Rusultaten desselben zufrieden
Zu geben Ursache haben, so wenig können wir leugnen, daß die gewonnenen
Eindrücke lange in dem Bewußtsein des deutschen Volkes nachwirken werden.
Für den Augenblick steht noch die Befriedigung darüber im Vordergrunde,
daß die süddeutschen Abgeordneten nicht ganz als dieselben heimgekehrt sind,
als die sie kamen, aber wir können uns nicht vorstellen, daß man bei diesem
Resultat, welches zudem die verschiedensten Commentare zuläßt, lange stehen


Grenzboten II. 18K8. 45

lischer Einflüsse namentlich bei der brittischen Pairie; die ihrem sonst viel ge¬
feierten Führer, dem Herzog von Wellington, seinen damals verübten Ver¬
rath an den Grundsätzen des alten England im Grunde niemals ver¬
geben hat/'

Einer der ältesten und bedeutendsten überlebenden Zeugen jener denk¬
würdigen Zeit, der 90jährige Henry Brougham (seit dem 22. November
1830 Lord Brougham and Vauz) ist bald nach dem denkwürdigen Siege
Gladstones auf seinem Landhause zu Cannes verstorben. Die Abschaffung des
Sclavenhandels, der Prozeß der Königin Caroline, der förmliche Bruch mit
den Castlereaghschen Reactionsprinzipien, die große Reformbill von 1831, die
Reform des Gerichtswesens, die Prozeß- und Bankerottordnung sind mit
dem Namen dieses denkwürdigen Mannes verknüpft, in dem einer der besten
englischen Charakterköpfe alten Gepräges dahin gegangen ist. Der Todfeind
des engherzigen Torythums, der Anwalt des vernachlässigten Volksunterrichts,
der Mann, der es zuerst gewagt, den Sclavenhandel als Capitalverbrechen
zu brandmarken, wurde während der zweiten Hälfte seines Lebens zum Geg¬
ner der Kyrngesetze und der Universitätsreform und stand schließlich an
der Spitze der Agitation für Anerkennung der amerikanischen Rebellen¬
staaten, ohne jemals zum Tory geworden zu sein oder sich von den Anschau¬
ungen seiner Jünglings- und Mannesjahre losgesagt zu haben. Uns Deut¬
schen hat Brougham sich zuletzt durch die lebhaften Sympathien ins
Gedächtniß gerufen, die er 1863 den Polen und 1864 den Dänen bewies,
beidemal ohne seine Landsleute zu directen Eingriffen in die Continentalpo-
litik bewegen zu können.

Wenn wir noch erwähnen, daß dem russischen Reich ein Thronerbe
geboren worden ist, daß das verdienstvolle Haupt der evangelischen Kirche
Rußlands, Bischof Ulmann, sein Amt niedergelegt hat und daß die An¬
wesenheit des berliner Naticmalöconomen Faucher in Petersburg zur Bele¬
bung der russischen freihändlerischen Agitation nicht unwesentlich beigetragen
hat (die einflußreiche Moskauische Zeitung hat sich an die Spitze der anti-
Protectionistischen Bewegung gestellt), so haben wir unsere Umschau über die
europäischen Hauptereignisse des Waimonats 1868 beendet. Das wichtigste der¬
selben ist, und nicht für Deutschland allein, die erste Session des ersten deutschen
Zollparlaments. So wenig wir uns mit den Rusultaten desselben zufrieden
Zu geben Ursache haben, so wenig können wir leugnen, daß die gewonnenen
Eindrücke lange in dem Bewußtsein des deutschen Volkes nachwirken werden.
Für den Augenblick steht noch die Befriedigung darüber im Vordergrunde,
daß die süddeutschen Abgeordneten nicht ganz als dieselben heimgekehrt sind,
als die sie kamen, aber wir können uns nicht vorstellen, daß man bei diesem
Resultat, welches zudem die verschiedensten Commentare zuläßt, lange stehen


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[0357] lischer Einflüsse namentlich bei der brittischen Pairie; die ihrem sonst viel ge¬ feierten Führer, dem Herzog von Wellington, seinen damals verübten Ver¬ rath an den Grundsätzen des alten England im Grunde niemals ver¬ geben hat/' Einer der ältesten und bedeutendsten überlebenden Zeugen jener denk¬ würdigen Zeit, der 90jährige Henry Brougham (seit dem 22. November 1830 Lord Brougham and Vauz) ist bald nach dem denkwürdigen Siege Gladstones auf seinem Landhause zu Cannes verstorben. Die Abschaffung des Sclavenhandels, der Prozeß der Königin Caroline, der förmliche Bruch mit den Castlereaghschen Reactionsprinzipien, die große Reformbill von 1831, die Reform des Gerichtswesens, die Prozeß- und Bankerottordnung sind mit dem Namen dieses denkwürdigen Mannes verknüpft, in dem einer der besten englischen Charakterköpfe alten Gepräges dahin gegangen ist. Der Todfeind des engherzigen Torythums, der Anwalt des vernachlässigten Volksunterrichts, der Mann, der es zuerst gewagt, den Sclavenhandel als Capitalverbrechen zu brandmarken, wurde während der zweiten Hälfte seines Lebens zum Geg¬ ner der Kyrngesetze und der Universitätsreform und stand schließlich an der Spitze der Agitation für Anerkennung der amerikanischen Rebellen¬ staaten, ohne jemals zum Tory geworden zu sein oder sich von den Anschau¬ ungen seiner Jünglings- und Mannesjahre losgesagt zu haben. Uns Deut¬ schen hat Brougham sich zuletzt durch die lebhaften Sympathien ins Gedächtniß gerufen, die er 1863 den Polen und 1864 den Dänen bewies, beidemal ohne seine Landsleute zu directen Eingriffen in die Continentalpo- litik bewegen zu können. Wenn wir noch erwähnen, daß dem russischen Reich ein Thronerbe geboren worden ist, daß das verdienstvolle Haupt der evangelischen Kirche Rußlands, Bischof Ulmann, sein Amt niedergelegt hat und daß die An¬ wesenheit des berliner Naticmalöconomen Faucher in Petersburg zur Bele¬ bung der russischen freihändlerischen Agitation nicht unwesentlich beigetragen hat (die einflußreiche Moskauische Zeitung hat sich an die Spitze der anti- Protectionistischen Bewegung gestellt), so haben wir unsere Umschau über die europäischen Hauptereignisse des Waimonats 1868 beendet. Das wichtigste der¬ selben ist, und nicht für Deutschland allein, die erste Session des ersten deutschen Zollparlaments. So wenig wir uns mit den Rusultaten desselben zufrieden Zu geben Ursache haben, so wenig können wir leugnen, daß die gewonnenen Eindrücke lange in dem Bewußtsein des deutschen Volkes nachwirken werden. Für den Augenblick steht noch die Befriedigung darüber im Vordergrunde, daß die süddeutschen Abgeordneten nicht ganz als dieselben heimgekehrt sind, als die sie kamen, aber wir können uns nicht vorstellen, daß man bei diesem Resultat, welches zudem die verschiedensten Commentare zuläßt, lange stehen Grenzboten II. 18K8. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/357>, abgerufen am 15.01.2025.