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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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übrigen Staaten zugeschrieben wird, geht schon aus dem Umstände hervor,
daß seit Monaten nicht mehr nach der Stellung gefragt wird, welche die
Regierung Viktor Emanuels zu einem etwaigen preußisch-französischem Cor<
flickt annehmen würde, und daß die unfreundliche Aufnahme, welche der
Prinz Napoleon bei seinem letzten florentiner Besuch gefunden, ebenso fol¬
genlos geblieben zu sein scheint, wie der patriotische Jubel, mit welchem der
Thronerbe des preußischen Staats von den Bewohnern der nord- und Mittel-
italienischen Provinzen begrüßt wurde. Der Zwischenfall, der neuerdings
durch den Konflikt zwischen dem Ministerialsekretär Martin und dem an¬
spruchsvollen Vertreter Frankreichs Herrn Malaret herbeigeführt worden ist,
wird schwerlich dazu beitragen, die Anthipathien der Italiener gegen ihre
Bundesgenossen von 1869 zu besänftigen. Kommt es wirklich dazu, daß
Italien beim Ausbruch einer preußisch-französischen Vermittelung den uneigen¬
nützigen jüngeren Bundesgenossen über dem ungroßmüthigen älteren Alliirten
vergißt, so können wir erleben, daß das italienische Volk -- wie das grie¬
chische im Jahre 1854 -- auf eigne Hand auswärtige Politik treibt, um die
Ketten endlich zu brechen, welche ihm durch das kaiserliche Frankreich an¬
gelegt worden sind. Ueber kurz oder lang wird die Lebensfähigkeit des
apenninischen Einheitsstaats sicher noch ein Mal durch die Ungeduld der
Nation und ihres Führers Garibaldi auf die Probe gestellt werden.

In Frankreich ist dem sicher aber langsam sinkenden Credit des zweiten
Kaiserreichs durch den unerwartet glänzenden Ausgang der abyssinischen
Expedition eine neue Wunde geschlagen worden. Die mit den Nachrichten
aus Magdala zeitlich zusammenfaltende Eröffnung des Zollparlaments
hat der öffentliche Aufmerksamkeit allerdings nur wenig Zeit zu Parallelen
zwischen englischen und französischen Expeditionen in fremde Welttheile übrig
gelassen, aber diese Zeit ist keineswegs unbenutzt geblieben, weder von der
Opposition noch von der chauvenistischen Hofparthei, welche durch den Mund
des Generals de Failly ein so vernehmliches "üevanZö pour?avis" gerufen
hat, daß der Moniteur Ah l'al-in^e hinterher officiös erklären mußte, gro߬
sprecherische Kriegs- und Siegesreden gehörten einmal zu dem nothwendigen
Apparat kaiserlich französischen Lagerlebens. Die gleichzeitigen Fanfaronaden,
mit denen die pariser Presse die Eröffnung des Zollparlamentes und die Adreß-
debatte desselben begleiteten, und die wenigstens bei den Propst und Genossen
ihre Wirkung nicht verfehlt haben, sind nicht im Stande gewesen, den Lärm zu
übertönen, der über die wiedrigen Skandalgeschichten erhoben wurde, welche be¬
züglich Prereires und der Wirthschaft des Credit immobilier ans Tageslicht ge¬
zogen wurden. Selbst auf den gefeierten Namens Michel Chevaliers ist ein
zweideutiger Schatten geworfen werden. Freilich sind die Pariser es so gewohnt,
der Regierung nahestehende Männer in schmutzige Börsengeschäfte verwickelt zu


übrigen Staaten zugeschrieben wird, geht schon aus dem Umstände hervor,
daß seit Monaten nicht mehr nach der Stellung gefragt wird, welche die
Regierung Viktor Emanuels zu einem etwaigen preußisch-französischem Cor<
flickt annehmen würde, und daß die unfreundliche Aufnahme, welche der
Prinz Napoleon bei seinem letzten florentiner Besuch gefunden, ebenso fol¬
genlos geblieben zu sein scheint, wie der patriotische Jubel, mit welchem der
Thronerbe des preußischen Staats von den Bewohnern der nord- und Mittel-
italienischen Provinzen begrüßt wurde. Der Zwischenfall, der neuerdings
durch den Konflikt zwischen dem Ministerialsekretär Martin und dem an¬
spruchsvollen Vertreter Frankreichs Herrn Malaret herbeigeführt worden ist,
wird schwerlich dazu beitragen, die Anthipathien der Italiener gegen ihre
Bundesgenossen von 1869 zu besänftigen. Kommt es wirklich dazu, daß
Italien beim Ausbruch einer preußisch-französischen Vermittelung den uneigen¬
nützigen jüngeren Bundesgenossen über dem ungroßmüthigen älteren Alliirten
vergißt, so können wir erleben, daß das italienische Volk — wie das grie¬
chische im Jahre 1854 — auf eigne Hand auswärtige Politik treibt, um die
Ketten endlich zu brechen, welche ihm durch das kaiserliche Frankreich an¬
gelegt worden sind. Ueber kurz oder lang wird die Lebensfähigkeit des
apenninischen Einheitsstaats sicher noch ein Mal durch die Ungeduld der
Nation und ihres Führers Garibaldi auf die Probe gestellt werden.

In Frankreich ist dem sicher aber langsam sinkenden Credit des zweiten
Kaiserreichs durch den unerwartet glänzenden Ausgang der abyssinischen
Expedition eine neue Wunde geschlagen worden. Die mit den Nachrichten
aus Magdala zeitlich zusammenfaltende Eröffnung des Zollparlaments
hat der öffentliche Aufmerksamkeit allerdings nur wenig Zeit zu Parallelen
zwischen englischen und französischen Expeditionen in fremde Welttheile übrig
gelassen, aber diese Zeit ist keineswegs unbenutzt geblieben, weder von der
Opposition noch von der chauvenistischen Hofparthei, welche durch den Mund
des Generals de Failly ein so vernehmliches „üevanZö pour?avis" gerufen
hat, daß der Moniteur Ah l'al-in^e hinterher officiös erklären mußte, gro߬
sprecherische Kriegs- und Siegesreden gehörten einmal zu dem nothwendigen
Apparat kaiserlich französischen Lagerlebens. Die gleichzeitigen Fanfaronaden,
mit denen die pariser Presse die Eröffnung des Zollparlamentes und die Adreß-
debatte desselben begleiteten, und die wenigstens bei den Propst und Genossen
ihre Wirkung nicht verfehlt haben, sind nicht im Stande gewesen, den Lärm zu
übertönen, der über die wiedrigen Skandalgeschichten erhoben wurde, welche be¬
züglich Prereires und der Wirthschaft des Credit immobilier ans Tageslicht ge¬
zogen wurden. Selbst auf den gefeierten Namens Michel Chevaliers ist ein
zweideutiger Schatten geworfen werden. Freilich sind die Pariser es so gewohnt,
der Regierung nahestehende Männer in schmutzige Börsengeschäfte verwickelt zu


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[0354] übrigen Staaten zugeschrieben wird, geht schon aus dem Umstände hervor, daß seit Monaten nicht mehr nach der Stellung gefragt wird, welche die Regierung Viktor Emanuels zu einem etwaigen preußisch-französischem Cor< flickt annehmen würde, und daß die unfreundliche Aufnahme, welche der Prinz Napoleon bei seinem letzten florentiner Besuch gefunden, ebenso fol¬ genlos geblieben zu sein scheint, wie der patriotische Jubel, mit welchem der Thronerbe des preußischen Staats von den Bewohnern der nord- und Mittel- italienischen Provinzen begrüßt wurde. Der Zwischenfall, der neuerdings durch den Konflikt zwischen dem Ministerialsekretär Martin und dem an¬ spruchsvollen Vertreter Frankreichs Herrn Malaret herbeigeführt worden ist, wird schwerlich dazu beitragen, die Anthipathien der Italiener gegen ihre Bundesgenossen von 1869 zu besänftigen. Kommt es wirklich dazu, daß Italien beim Ausbruch einer preußisch-französischen Vermittelung den uneigen¬ nützigen jüngeren Bundesgenossen über dem ungroßmüthigen älteren Alliirten vergißt, so können wir erleben, daß das italienische Volk — wie das grie¬ chische im Jahre 1854 — auf eigne Hand auswärtige Politik treibt, um die Ketten endlich zu brechen, welche ihm durch das kaiserliche Frankreich an¬ gelegt worden sind. Ueber kurz oder lang wird die Lebensfähigkeit des apenninischen Einheitsstaats sicher noch ein Mal durch die Ungeduld der Nation und ihres Führers Garibaldi auf die Probe gestellt werden. In Frankreich ist dem sicher aber langsam sinkenden Credit des zweiten Kaiserreichs durch den unerwartet glänzenden Ausgang der abyssinischen Expedition eine neue Wunde geschlagen worden. Die mit den Nachrichten aus Magdala zeitlich zusammenfaltende Eröffnung des Zollparlaments hat der öffentliche Aufmerksamkeit allerdings nur wenig Zeit zu Parallelen zwischen englischen und französischen Expeditionen in fremde Welttheile übrig gelassen, aber diese Zeit ist keineswegs unbenutzt geblieben, weder von der Opposition noch von der chauvenistischen Hofparthei, welche durch den Mund des Generals de Failly ein so vernehmliches „üevanZö pour?avis" gerufen hat, daß der Moniteur Ah l'al-in^e hinterher officiös erklären mußte, gro߬ sprecherische Kriegs- und Siegesreden gehörten einmal zu dem nothwendigen Apparat kaiserlich französischen Lagerlebens. Die gleichzeitigen Fanfaronaden, mit denen die pariser Presse die Eröffnung des Zollparlamentes und die Adreß- debatte desselben begleiteten, und die wenigstens bei den Propst und Genossen ihre Wirkung nicht verfehlt haben, sind nicht im Stande gewesen, den Lärm zu übertönen, der über die wiedrigen Skandalgeschichten erhoben wurde, welche be¬ züglich Prereires und der Wirthschaft des Credit immobilier ans Tageslicht ge¬ zogen wurden. Selbst auf den gefeierten Namens Michel Chevaliers ist ein zweideutiger Schatten geworfen werden. Freilich sind die Pariser es so gewohnt, der Regierung nahestehende Männer in schmutzige Börsengeschäfte verwickelt zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/354>, abgerufen am 15.01.2025.