Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Soll es eine neue konstitutionelle Negierung sein---davon später.

Soll es die jetzige Regierung sein, so rathen wir ihr einfach:

Dem Volke Rechtssicherheit zu geben.

"Wie? Rechtssicherheit? Gibt es denn in der Türkei keine?"

Nein! Man urtheile selbst: wenn Wittwen und Waisen, um der sich
an den Geldbeutel des ganzen Volks wendenden Negierung zu Hilfe zu kom-
men. Hab und Gut veräußern, um für den Erlös daraus osmanische Schatz¬
scheine zu kaufen, wenn man ihnen durch schöne Verheißungen den Glauben
beibringt, sie würden regelmäßig jeden Monat die Zinsen davon ausgezahlt
bekommen, wenn diese armen Leute zur Verfallzeit von der kaiserlichen Finanz¬
verwaltung statt ihres Geldes regelmäßig eine Vertröstung auf die Zukunft
erhalten, diese Zukunft aber nie zur Gegenwart wird: ist das Rechts¬
sicherheit?

Im DschumKda el-uta 1282 (September 1865) legte eine Feuersbrunst
einen Theil von Constantinopel in Asche und stürzte eine große Menge von
Familien in Noth und Elend. Der Großvezir setzte bei der hohen. Pforte
eine Unterstützungscommission ein und richtete zu Gunsten der Abgebrannten
einen Aufruf an die öffentliche Wohlthätigkeit. Jedermann freute sich über
diesen Humanitätseifer und steuerte sein Scherflein bei. Man brachte auf
diese Weise eine Summe von 8 Millionen Piaster (etwa 533,333 Thaler)
zusammen, -- die öffentlichen Blätter haben den Betrag verzeichnet --, und
die hohe Pforte übernahm die Vertheilung des Geldes. Bis auf den heutigen
Tag haben aber die armen Opfer jener Feuersbrunst nichts erhalten. Wo
ist das Geld? Kein Mensch kann oder darf das sagen. Ist das Rechts-
sicherheit?

Vor wenigen Jahren gab das Finanzministerium wiederum für eine be¬
deutende Summe Kassenscheine aus, unter der Zustcherung, sie das nächste
Jahr einzulösen. Bis jetzt sind sie es noch nicht. Vielleicht erscheint binnen
kurzem ein Befehl, sie beim Finanzministerium einzureichen, mit dem Ver¬
sprechen späterer Zahlung. Ist das Rechtssicherheit?

Viele Vezire und Statthalter waren seit Jahren mit der Abführung der
von ihnen eingetriebenen, sich auf viele Millionen belaufenden Steuern an
den Staatsschatz in Rückstand. Das Ministerium erstattete darüber Bericht
an den Sultan, der sogleich befahl, die ungetreuen Haushalter zu bestrafen
und ihre Güter einzuziehen. Es vergehen ein, zwei, drei Monate, und
siehe da: dieselben Beamten werden wieder zur Verwaltung der wichtigsten
Provinzen berufen. Wenn das Volk sieht, daß man Leute, die sich mit dem
Hin Abgenommenen bereichern, anstatt sie zu bestrafen, noch belohnt und
auszeichnet, muß es sich da nicht fragen: Ist das Rechtssicherheit?

Ein Bedienter, der vor etwa 10 Jahren nichts hatte als den Dienst-


Soll es eine neue konstitutionelle Negierung sein---davon später.

Soll es die jetzige Regierung sein, so rathen wir ihr einfach:

Dem Volke Rechtssicherheit zu geben.

„Wie? Rechtssicherheit? Gibt es denn in der Türkei keine?"

Nein! Man urtheile selbst: wenn Wittwen und Waisen, um der sich
an den Geldbeutel des ganzen Volks wendenden Negierung zu Hilfe zu kom-
men. Hab und Gut veräußern, um für den Erlös daraus osmanische Schatz¬
scheine zu kaufen, wenn man ihnen durch schöne Verheißungen den Glauben
beibringt, sie würden regelmäßig jeden Monat die Zinsen davon ausgezahlt
bekommen, wenn diese armen Leute zur Verfallzeit von der kaiserlichen Finanz¬
verwaltung statt ihres Geldes regelmäßig eine Vertröstung auf die Zukunft
erhalten, diese Zukunft aber nie zur Gegenwart wird: ist das Rechts¬
sicherheit?

Im DschumKda el-uta 1282 (September 1865) legte eine Feuersbrunst
einen Theil von Constantinopel in Asche und stürzte eine große Menge von
Familien in Noth und Elend. Der Großvezir setzte bei der hohen. Pforte
eine Unterstützungscommission ein und richtete zu Gunsten der Abgebrannten
einen Aufruf an die öffentliche Wohlthätigkeit. Jedermann freute sich über
diesen Humanitätseifer und steuerte sein Scherflein bei. Man brachte auf
diese Weise eine Summe von 8 Millionen Piaster (etwa 533,333 Thaler)
zusammen, — die öffentlichen Blätter haben den Betrag verzeichnet —, und
die hohe Pforte übernahm die Vertheilung des Geldes. Bis auf den heutigen
Tag haben aber die armen Opfer jener Feuersbrunst nichts erhalten. Wo
ist das Geld? Kein Mensch kann oder darf das sagen. Ist das Rechts-
sicherheit?

Vor wenigen Jahren gab das Finanzministerium wiederum für eine be¬
deutende Summe Kassenscheine aus, unter der Zustcherung, sie das nächste
Jahr einzulösen. Bis jetzt sind sie es noch nicht. Vielleicht erscheint binnen
kurzem ein Befehl, sie beim Finanzministerium einzureichen, mit dem Ver¬
sprechen späterer Zahlung. Ist das Rechtssicherheit?

Viele Vezire und Statthalter waren seit Jahren mit der Abführung der
von ihnen eingetriebenen, sich auf viele Millionen belaufenden Steuern an
den Staatsschatz in Rückstand. Das Ministerium erstattete darüber Bericht
an den Sultan, der sogleich befahl, die ungetreuen Haushalter zu bestrafen
und ihre Güter einzuziehen. Es vergehen ein, zwei, drei Monate, und
siehe da: dieselben Beamten werden wieder zur Verwaltung der wichtigsten
Provinzen berufen. Wenn das Volk sieht, daß man Leute, die sich mit dem
Hin Abgenommenen bereichern, anstatt sie zu bestrafen, noch belohnt und
auszeichnet, muß es sich da nicht fragen: Ist das Rechtssicherheit?

Ein Bedienter, der vor etwa 10 Jahren nichts hatte als den Dienst-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117839"/>
          <p xml:id="ID_992"> Soll es eine neue konstitutionelle Negierung sein---davon später.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_993"> Soll es die jetzige Regierung sein, so rathen wir ihr einfach:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_994"> Dem Volke Rechtssicherheit zu geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_995"> &#x201E;Wie? Rechtssicherheit? Gibt es denn in der Türkei keine?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_996"> Nein! Man urtheile selbst: wenn Wittwen und Waisen, um der sich<lb/>
an den Geldbeutel des ganzen Volks wendenden Negierung zu Hilfe zu kom-<lb/>
men. Hab und Gut veräußern, um für den Erlös daraus osmanische Schatz¬<lb/>
scheine zu kaufen, wenn man ihnen durch schöne Verheißungen den Glauben<lb/>
beibringt, sie würden regelmäßig jeden Monat die Zinsen davon ausgezahlt<lb/>
bekommen, wenn diese armen Leute zur Verfallzeit von der kaiserlichen Finanz¬<lb/>
verwaltung statt ihres Geldes regelmäßig eine Vertröstung auf die Zukunft<lb/>
erhalten, diese Zukunft aber nie zur Gegenwart wird: ist das Rechts¬<lb/>
sicherheit?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_997"> Im DschumKda el-uta 1282 (September 1865) legte eine Feuersbrunst<lb/>
einen Theil von Constantinopel in Asche und stürzte eine große Menge von<lb/>
Familien in Noth und Elend. Der Großvezir setzte bei der hohen. Pforte<lb/>
eine Unterstützungscommission ein und richtete zu Gunsten der Abgebrannten<lb/>
einen Aufruf an die öffentliche Wohlthätigkeit. Jedermann freute sich über<lb/>
diesen Humanitätseifer und steuerte sein Scherflein bei. Man brachte auf<lb/>
diese Weise eine Summe von 8 Millionen Piaster (etwa 533,333 Thaler)<lb/>
zusammen, &#x2014; die öffentlichen Blätter haben den Betrag verzeichnet &#x2014;, und<lb/>
die hohe Pforte übernahm die Vertheilung des Geldes. Bis auf den heutigen<lb/>
Tag haben aber die armen Opfer jener Feuersbrunst nichts erhalten. Wo<lb/>
ist das Geld? Kein Mensch kann oder darf das sagen. Ist das Rechts-<lb/>
sicherheit?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_998"> Vor wenigen Jahren gab das Finanzministerium wiederum für eine be¬<lb/>
deutende Summe Kassenscheine aus, unter der Zustcherung, sie das nächste<lb/>
Jahr einzulösen. Bis jetzt sind sie es noch nicht. Vielleicht erscheint binnen<lb/>
kurzem ein Befehl, sie beim Finanzministerium einzureichen, mit dem Ver¬<lb/>
sprechen späterer Zahlung. Ist das Rechtssicherheit?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_999"> Viele Vezire und Statthalter waren seit Jahren mit der Abführung der<lb/>
von ihnen eingetriebenen, sich auf viele Millionen belaufenden Steuern an<lb/>
den Staatsschatz in Rückstand. Das Ministerium erstattete darüber Bericht<lb/>
an den Sultan, der sogleich befahl, die ungetreuen Haushalter zu bestrafen<lb/>
und ihre Güter einzuziehen. Es vergehen ein, zwei, drei Monate, und<lb/>
siehe da: dieselben Beamten werden wieder zur Verwaltung der wichtigsten<lb/>
Provinzen berufen. Wenn das Volk sieht, daß man Leute, die sich mit dem<lb/>
Hin Abgenommenen bereichern, anstatt sie zu bestrafen, noch belohnt und<lb/>
auszeichnet, muß es sich da nicht fragen: Ist das Rechtssicherheit?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1000" next="#ID_1001"> Ein Bedienter, der vor etwa 10 Jahren nichts hatte als den Dienst-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0307] Soll es eine neue konstitutionelle Negierung sein---davon später. Soll es die jetzige Regierung sein, so rathen wir ihr einfach: Dem Volke Rechtssicherheit zu geben. „Wie? Rechtssicherheit? Gibt es denn in der Türkei keine?" Nein! Man urtheile selbst: wenn Wittwen und Waisen, um der sich an den Geldbeutel des ganzen Volks wendenden Negierung zu Hilfe zu kom- men. Hab und Gut veräußern, um für den Erlös daraus osmanische Schatz¬ scheine zu kaufen, wenn man ihnen durch schöne Verheißungen den Glauben beibringt, sie würden regelmäßig jeden Monat die Zinsen davon ausgezahlt bekommen, wenn diese armen Leute zur Verfallzeit von der kaiserlichen Finanz¬ verwaltung statt ihres Geldes regelmäßig eine Vertröstung auf die Zukunft erhalten, diese Zukunft aber nie zur Gegenwart wird: ist das Rechts¬ sicherheit? Im DschumKda el-uta 1282 (September 1865) legte eine Feuersbrunst einen Theil von Constantinopel in Asche und stürzte eine große Menge von Familien in Noth und Elend. Der Großvezir setzte bei der hohen. Pforte eine Unterstützungscommission ein und richtete zu Gunsten der Abgebrannten einen Aufruf an die öffentliche Wohlthätigkeit. Jedermann freute sich über diesen Humanitätseifer und steuerte sein Scherflein bei. Man brachte auf diese Weise eine Summe von 8 Millionen Piaster (etwa 533,333 Thaler) zusammen, — die öffentlichen Blätter haben den Betrag verzeichnet —, und die hohe Pforte übernahm die Vertheilung des Geldes. Bis auf den heutigen Tag haben aber die armen Opfer jener Feuersbrunst nichts erhalten. Wo ist das Geld? Kein Mensch kann oder darf das sagen. Ist das Rechts- sicherheit? Vor wenigen Jahren gab das Finanzministerium wiederum für eine be¬ deutende Summe Kassenscheine aus, unter der Zustcherung, sie das nächste Jahr einzulösen. Bis jetzt sind sie es noch nicht. Vielleicht erscheint binnen kurzem ein Befehl, sie beim Finanzministerium einzureichen, mit dem Ver¬ sprechen späterer Zahlung. Ist das Rechtssicherheit? Viele Vezire und Statthalter waren seit Jahren mit der Abführung der von ihnen eingetriebenen, sich auf viele Millionen belaufenden Steuern an den Staatsschatz in Rückstand. Das Ministerium erstattete darüber Bericht an den Sultan, der sogleich befahl, die ungetreuen Haushalter zu bestrafen und ihre Güter einzuziehen. Es vergehen ein, zwei, drei Monate, und siehe da: dieselben Beamten werden wieder zur Verwaltung der wichtigsten Provinzen berufen. Wenn das Volk sieht, daß man Leute, die sich mit dem Hin Abgenommenen bereichern, anstatt sie zu bestrafen, noch belohnt und auszeichnet, muß es sich da nicht fragen: Ist das Rechtssicherheit? Ein Bedienter, der vor etwa 10 Jahren nichts hatte als den Dienst-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/307
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/307>, abgerufen am 15.01.2025.