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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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gering neben dem der übrigen Elemente, die sich hier zur Geltung bringen
können. Mainz ist der einzige Ort in Hessen, wo sich die demokratische oder
VoWpartei zu etwas mehr als einer soldatenlosen Schaar von Führern er¬
hoben hat. Diese demokratische Partei war es, die in Mainz die Führung
im Wahlkampf gegen die Fortschrittspartei übernahm. Wie selten wahrhaft
parlamentarische Talente bei uns vorkommen, hat sich in der Parteigeschichte
mit merkwürdiger Deutlichkeit gezeigt. Der Sturm von 1848 und die auf
diesen folgende Reaction hatte beinahe alle hervorragenden Führer der popu¬
lären Partei aus der politischen Carriere und in das Ausland getrieben; an
einem Nachwuchs fehlte es gänzlich. So trat in die verwaiste Stelle eines
mainzer Volkstribuns zu Ende der fünfziger Jahre Advokat Dumont ein,
ein Mann, der neben den Koryphäen von 1848 niemals zur Geltung ge¬
kommen war. Bis zum Jahre 1866 mit den Führern des Nationalvereins
verbunden, wandte Dumont sich nach der Krisis der antipreußischen Partei
zu. Sein unpraktischer Sinn konnte sich mit den Ereignissen des großen
Jahres nicht versöhnen: sein politisches Wirken ist demgemäß mehr ein fort¬
gesetzter Protest gegen die Vergangenheit als eine Thätigkeit für die Gegen¬
wart und Zukunft gewesen. Dumont ist eine aristokratisch angelegte Natur,
und die Schärfe, mit der er die Fortschrittspartei bekämpft, während gegen
die alten Parteien bereitwilligste Schonung zur Schau getragen wird, hat
ihn, den angeblichen Demokraten, zum verhätschelten Liebling aller reaktionären
und antinationalen Parteien des Landes gemacht. Ja, Herr v. Dalwigk hat
durch eine Serie von, freilich refüsirten, Einladungen Annäherung an ihn ver¬
sucht und ihn in der Kammersitzung im pointirter Gegensatz gegen die Fort¬
schrittspartei seiner Hochachtung versichert. Die Fortschrittspartei hatte für
Mainz gleichsam ihren geborenen Candidaten in der Person von Ludwig
Bamberger. In die Ereignisse von 1848 und 1849 griff er als blut¬
junger Accessist ein, redigirte die Mainzer Zeitung und war in Volksver¬
sammlungen u. s. w. unermüdlich thätig. An dem verfehlten pfälzischen Auf¬
stand betheiligt, mußte er fliehen, wurde in contumaciam als Hochverräther
verurtheilt, ging dann nach Paris, wo er in ein Bankgeschäft trat und sich
ein beträchtliches Vermögen erwarb. Im Jahre 1866 wurde er amnestirt.
Wie viele der ins Ausland geflüchteten Republikaner des Jahres 1848, wandte
Bamberger sich der Seite zu, von der aus endlich einmal die Phrase von
deutscher Einheit in die Wirklichkeit übersetzt wurde. Wäre der Kampf zwischen
den liberalen Fractionen allein auszufechten gewesen, an dem Siege L. Bam-
bergers wäre nie zu zweifeln gewesen. Es schien anfangs wirklich, als ob
die ultramontane Partei sich jeder Einmischung in die Wahlen enthalten
wolle. Dazu kam, daß Dumont dieser Partei unliebsam war, er hatte einen
Haupttheil seines liberalen Ansehens dem Kampfe gegen ultramontane Ueber-


gering neben dem der übrigen Elemente, die sich hier zur Geltung bringen
können. Mainz ist der einzige Ort in Hessen, wo sich die demokratische oder
VoWpartei zu etwas mehr als einer soldatenlosen Schaar von Führern er¬
hoben hat. Diese demokratische Partei war es, die in Mainz die Führung
im Wahlkampf gegen die Fortschrittspartei übernahm. Wie selten wahrhaft
parlamentarische Talente bei uns vorkommen, hat sich in der Parteigeschichte
mit merkwürdiger Deutlichkeit gezeigt. Der Sturm von 1848 und die auf
diesen folgende Reaction hatte beinahe alle hervorragenden Führer der popu¬
lären Partei aus der politischen Carriere und in das Ausland getrieben; an
einem Nachwuchs fehlte es gänzlich. So trat in die verwaiste Stelle eines
mainzer Volkstribuns zu Ende der fünfziger Jahre Advokat Dumont ein,
ein Mann, der neben den Koryphäen von 1848 niemals zur Geltung ge¬
kommen war. Bis zum Jahre 1866 mit den Führern des Nationalvereins
verbunden, wandte Dumont sich nach der Krisis der antipreußischen Partei
zu. Sein unpraktischer Sinn konnte sich mit den Ereignissen des großen
Jahres nicht versöhnen: sein politisches Wirken ist demgemäß mehr ein fort¬
gesetzter Protest gegen die Vergangenheit als eine Thätigkeit für die Gegen¬
wart und Zukunft gewesen. Dumont ist eine aristokratisch angelegte Natur,
und die Schärfe, mit der er die Fortschrittspartei bekämpft, während gegen
die alten Parteien bereitwilligste Schonung zur Schau getragen wird, hat
ihn, den angeblichen Demokraten, zum verhätschelten Liebling aller reaktionären
und antinationalen Parteien des Landes gemacht. Ja, Herr v. Dalwigk hat
durch eine Serie von, freilich refüsirten, Einladungen Annäherung an ihn ver¬
sucht und ihn in der Kammersitzung im pointirter Gegensatz gegen die Fort¬
schrittspartei seiner Hochachtung versichert. Die Fortschrittspartei hatte für
Mainz gleichsam ihren geborenen Candidaten in der Person von Ludwig
Bamberger. In die Ereignisse von 1848 und 1849 griff er als blut¬
junger Accessist ein, redigirte die Mainzer Zeitung und war in Volksver¬
sammlungen u. s. w. unermüdlich thätig. An dem verfehlten pfälzischen Auf¬
stand betheiligt, mußte er fliehen, wurde in contumaciam als Hochverräther
verurtheilt, ging dann nach Paris, wo er in ein Bankgeschäft trat und sich
ein beträchtliches Vermögen erwarb. Im Jahre 1866 wurde er amnestirt.
Wie viele der ins Ausland geflüchteten Republikaner des Jahres 1848, wandte
Bamberger sich der Seite zu, von der aus endlich einmal die Phrase von
deutscher Einheit in die Wirklichkeit übersetzt wurde. Wäre der Kampf zwischen
den liberalen Fractionen allein auszufechten gewesen, an dem Siege L. Bam-
bergers wäre nie zu zweifeln gewesen. Es schien anfangs wirklich, als ob
die ultramontane Partei sich jeder Einmischung in die Wahlen enthalten
wolle. Dazu kam, daß Dumont dieser Partei unliebsam war, er hatte einen
Haupttheil seines liberalen Ansehens dem Kampfe gegen ultramontane Ueber-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/30>, abgerufen am 15.01.2025.