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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Die berliner Bildergalerie und ihr Katalog.

Die Verwaltung der berliner Bildergallerie hat kürzlich den Unwillen
des Publikums auf sich gezogen, indem sie geschehen ließ, daß eins der Ge¬
mälde, welche ihrer Obhut anvertraut sind, ausgewaschen und darauf durch
einen unfähigen Restaurator übermalt wurde. Betrachten wir jenen Vor¬
fall nach dem Urtheile, das wir über die Sammlung im allgemeinen haben,
so ist dies nicht die erste Gelegenheit gewesen, bei welcher derartige Unbill
geübt worden ist. Bei all ihrem Werthe sind viele der Bilder in einem
Grade restaurirt, daß ihre Beurtheilung äußerst unsicher wird; etliche sind
ohne Zweifel in solchem Zustande erworben, andere dagegen sind erst im
Museum selbst "verbessert" worden. Man hat die ganze Gallerie einmal als
ein Hospital für heruntergebrachte Gemälde bezeichnet; wir theilen diese kahler.
liebe Meinung nicht, dennoch bekennen wir, auch in dieser Uebertreibung liegt
ein bittres Körnchen Wahrheit.

Bei der großen Vorliebe des Publicums für Andrea del Sarto erregte
die Mißhandlung seines Altarbildes v. I. 1S28 einen solchen Sturm der Ent¬
rüstung, daß die Autoritäten des Museums in sehr begreifliche Verwirrung
geriethen: Einer schob die Schuld auf den andern, wie alle öffentlichen Diener
zu thun pflegen, wenn sie sich eines Unrechts bewußt werden: dieser war ab¬
wesend, sonst hätte dergleichen nicht Passiren können, jener war zwar gegen¬
wärtig, hatte aber keine Ahnung von einem möglichen Unheil.

Wir geben zu bedenken, ob solche Entschuldigungen gelten können. Nach
unserer Ansicht trifft der Tadel die Abwesenden nicht minder wie die Anwe¬
senden; und sind die Pflichten der Herren Galleriebeamten so unerheblich,
daß sie monatelang auf Reisen geschickt werden oder auf eigene Hand unbe¬
stimmten Urlaub nehmen können, dann wird man versucht, ihre Zahl aus
ökonomischem Gesichtspunkte zu betrachten.

Dies führt uns auf die Frage, woher es kommen mag. daß der Kata¬
log der berliner Gallerie zu den ungenügendsten und unzuverlässigsten gehört,
die in öffentlichen Kunstsammlungen des Continents zu finden sind? Geheim¬
rath Dr. Waagen bereist die ganze Welt, Deutschland, England. Spanten.


Grenzboten II. 1868. 36
Die berliner Bildergalerie und ihr Katalog.

Die Verwaltung der berliner Bildergallerie hat kürzlich den Unwillen
des Publikums auf sich gezogen, indem sie geschehen ließ, daß eins der Ge¬
mälde, welche ihrer Obhut anvertraut sind, ausgewaschen und darauf durch
einen unfähigen Restaurator übermalt wurde. Betrachten wir jenen Vor¬
fall nach dem Urtheile, das wir über die Sammlung im allgemeinen haben,
so ist dies nicht die erste Gelegenheit gewesen, bei welcher derartige Unbill
geübt worden ist. Bei all ihrem Werthe sind viele der Bilder in einem
Grade restaurirt, daß ihre Beurtheilung äußerst unsicher wird; etliche sind
ohne Zweifel in solchem Zustande erworben, andere dagegen sind erst im
Museum selbst „verbessert" worden. Man hat die ganze Gallerie einmal als
ein Hospital für heruntergebrachte Gemälde bezeichnet; wir theilen diese kahler.
liebe Meinung nicht, dennoch bekennen wir, auch in dieser Uebertreibung liegt
ein bittres Körnchen Wahrheit.

Bei der großen Vorliebe des Publicums für Andrea del Sarto erregte
die Mißhandlung seines Altarbildes v. I. 1S28 einen solchen Sturm der Ent¬
rüstung, daß die Autoritäten des Museums in sehr begreifliche Verwirrung
geriethen: Einer schob die Schuld auf den andern, wie alle öffentlichen Diener
zu thun pflegen, wenn sie sich eines Unrechts bewußt werden: dieser war ab¬
wesend, sonst hätte dergleichen nicht Passiren können, jener war zwar gegen¬
wärtig, hatte aber keine Ahnung von einem möglichen Unheil.

Wir geben zu bedenken, ob solche Entschuldigungen gelten können. Nach
unserer Ansicht trifft der Tadel die Abwesenden nicht minder wie die Anwe¬
senden; und sind die Pflichten der Herren Galleriebeamten so unerheblich,
daß sie monatelang auf Reisen geschickt werden oder auf eigene Hand unbe¬
stimmten Urlaub nehmen können, dann wird man versucht, ihre Zahl aus
ökonomischem Gesichtspunkte zu betrachten.

Dies führt uns auf die Frage, woher es kommen mag. daß der Kata¬
log der berliner Gallerie zu den ungenügendsten und unzuverlässigsten gehört,
die in öffentlichen Kunstsammlungen des Continents zu finden sind? Geheim¬
rath Dr. Waagen bereist die ganze Welt, Deutschland, England. Spanten.


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[0285] Die berliner Bildergalerie und ihr Katalog. Die Verwaltung der berliner Bildergallerie hat kürzlich den Unwillen des Publikums auf sich gezogen, indem sie geschehen ließ, daß eins der Ge¬ mälde, welche ihrer Obhut anvertraut sind, ausgewaschen und darauf durch einen unfähigen Restaurator übermalt wurde. Betrachten wir jenen Vor¬ fall nach dem Urtheile, das wir über die Sammlung im allgemeinen haben, so ist dies nicht die erste Gelegenheit gewesen, bei welcher derartige Unbill geübt worden ist. Bei all ihrem Werthe sind viele der Bilder in einem Grade restaurirt, daß ihre Beurtheilung äußerst unsicher wird; etliche sind ohne Zweifel in solchem Zustande erworben, andere dagegen sind erst im Museum selbst „verbessert" worden. Man hat die ganze Gallerie einmal als ein Hospital für heruntergebrachte Gemälde bezeichnet; wir theilen diese kahler. liebe Meinung nicht, dennoch bekennen wir, auch in dieser Uebertreibung liegt ein bittres Körnchen Wahrheit. Bei der großen Vorliebe des Publicums für Andrea del Sarto erregte die Mißhandlung seines Altarbildes v. I. 1S28 einen solchen Sturm der Ent¬ rüstung, daß die Autoritäten des Museums in sehr begreifliche Verwirrung geriethen: Einer schob die Schuld auf den andern, wie alle öffentlichen Diener zu thun pflegen, wenn sie sich eines Unrechts bewußt werden: dieser war ab¬ wesend, sonst hätte dergleichen nicht Passiren können, jener war zwar gegen¬ wärtig, hatte aber keine Ahnung von einem möglichen Unheil. Wir geben zu bedenken, ob solche Entschuldigungen gelten können. Nach unserer Ansicht trifft der Tadel die Abwesenden nicht minder wie die Anwe¬ senden; und sind die Pflichten der Herren Galleriebeamten so unerheblich, daß sie monatelang auf Reisen geschickt werden oder auf eigene Hand unbe¬ stimmten Urlaub nehmen können, dann wird man versucht, ihre Zahl aus ökonomischem Gesichtspunkte zu betrachten. Dies führt uns auf die Frage, woher es kommen mag. daß der Kata¬ log der berliner Gallerie zu den ungenügendsten und unzuverlässigsten gehört, die in öffentlichen Kunstsammlungen des Continents zu finden sind? Geheim¬ rath Dr. Waagen bereist die ganze Welt, Deutschland, England. Spanten. Grenzboten II. 1868. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/285>, abgerufen am 15.01.2025.