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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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der ehemaligen Generalzollconferenz die vorzüglichste Bürgschaft, welche das
Parlament dafür gewährt, daß so leicht keinem größeren volkswirtschaftlichen
Interesse Unrecht geschehen werde, trotz des von ihm zu erwartenden viel
rascheren Fortschritts einer befreienden und vereinfachenden Reform. Eine
fernere, leicht übersehene Bürgschaft liegt aber eben in der gleichzeitigen Vor¬
nahme vieler Zollermäßigungen. Eine einzelne Maßregel-der Art wird zwar
den Consumenten, also der Masse zu Gute kommen/ die Producenten aber
doch vielleicht nicht ohne Gefahr für ihr Capital und ihre wirthschaftliche
Existenz benachtheiligen; eine Mehrzahl solcher Maßregeln gleicht für Jeden
einigermaßen vermöge seiner Consumtion aus, was er in seiner Production
etwa keltre.

Der deutsch-östreichische Handelsvertrag hat diesmal der eigentlichen, selb¬
ständigen, in ihren Entschlüssen freien Tarifberathung des Parlaments das
meiste vorweggenommen. In Zukunft darf es wünschen, seine nationale
Prärogative nicht mehr so beschnitten zu sehen. Die Epoche, welche fast
keinen anderen Fortschritt als durch Handelsverträge, d. h. durch die handels¬
politische Dictatur einer einzelnen Regierung offen ließ, ist mit der Umge¬
staltung des Zollvereins in einen bewegungsfähig organisirten Bund vorüber.
Ehre den innerhalb derselben so erfolgreich'thätig gewesenen Männern, fortan
aber freien Raum für die gesetzliche Vertretung der Nation!




Literatur.

Michelangelos und Rafaels Gedichte. Bon Hermann Harrys. Hannover. C. Rümp-
ler. 1868.

Eine neue Uebersetzung der Gedichte Michelangelos bedarf keiner Rechtfertigung.
Deutschland besitzt zwar eine Uebertragung von G. Regis (Berlin 1842); aber diese
ließ viel zu wünschen übrig, abgesehen davon, daß sie nur den damals bekannten,
seit dem 17. Jahrhundert überlieferten Text vor sich hatte, während bekanntlich erst
durch die neue von Cesare Guasti besorgte Ausgabe (Florenz 1863) aus dem ge¬
sammelten Material des handschriftlichen Nachlasses die Gedichte in ihrer ursprüng¬
lichen Gestalt bekannt gemacht und zugleich um zahlreiche neue Stücke vermehrt
worden sind, die' vom höchsten Interesse für die Kenntniß des äußeren und inneren
Lebens des Künstlers sind und sein Bild von manchen Seiten in überraschender
Weise schärfer beleuchten. Zwar hat auch Harrys offenbar eine große Zahl nach
dem älteren, durch den Großneffen Michelangelos bearbeiteten Text übersetzt, ohne
Zweifel vor dem Bekanntwerden der neuen Ausgabe. Allein für den Uebersetzer
hatte dies überall da, wo der Großneffe blos -formelle, stylistische Veränderungen vor¬
genommen hatte, wenig zu sagen. Wo die Abweichungen stärker sind und in den
Sinn selbst eingreifen, hat Harrys stets den echten Text zu Rath gezogen und na¬
mentlich alle jetzt erst ans Licht gebrachten Stücke, die für Michelangelo besonders
charakteristisch sind und z. B. seine republikanische Gesinnung schärfer hervortreten
lassen, seiner Sammlung einverleibt, die überhaupt, ohne ganz so vollständig zu
sein wie der Text Guastis. der alles, auch die kleinsten Fragmente und sämmtliche
Varianten aufnahm, doch nichts wesentliches vermissen läßt.


der ehemaligen Generalzollconferenz die vorzüglichste Bürgschaft, welche das
Parlament dafür gewährt, daß so leicht keinem größeren volkswirtschaftlichen
Interesse Unrecht geschehen werde, trotz des von ihm zu erwartenden viel
rascheren Fortschritts einer befreienden und vereinfachenden Reform. Eine
fernere, leicht übersehene Bürgschaft liegt aber eben in der gleichzeitigen Vor¬
nahme vieler Zollermäßigungen. Eine einzelne Maßregel-der Art wird zwar
den Consumenten, also der Masse zu Gute kommen/ die Producenten aber
doch vielleicht nicht ohne Gefahr für ihr Capital und ihre wirthschaftliche
Existenz benachtheiligen; eine Mehrzahl solcher Maßregeln gleicht für Jeden
einigermaßen vermöge seiner Consumtion aus, was er in seiner Production
etwa keltre.

Der deutsch-östreichische Handelsvertrag hat diesmal der eigentlichen, selb¬
ständigen, in ihren Entschlüssen freien Tarifberathung des Parlaments das
meiste vorweggenommen. In Zukunft darf es wünschen, seine nationale
Prärogative nicht mehr so beschnitten zu sehen. Die Epoche, welche fast
keinen anderen Fortschritt als durch Handelsverträge, d. h. durch die handels¬
politische Dictatur einer einzelnen Regierung offen ließ, ist mit der Umge¬
staltung des Zollvereins in einen bewegungsfähig organisirten Bund vorüber.
Ehre den innerhalb derselben so erfolgreich'thätig gewesenen Männern, fortan
aber freien Raum für die gesetzliche Vertretung der Nation!




Literatur.

Michelangelos und Rafaels Gedichte. Bon Hermann Harrys. Hannover. C. Rümp-
ler. 1868.

Eine neue Uebersetzung der Gedichte Michelangelos bedarf keiner Rechtfertigung.
Deutschland besitzt zwar eine Uebertragung von G. Regis (Berlin 1842); aber diese
ließ viel zu wünschen übrig, abgesehen davon, daß sie nur den damals bekannten,
seit dem 17. Jahrhundert überlieferten Text vor sich hatte, während bekanntlich erst
durch die neue von Cesare Guasti besorgte Ausgabe (Florenz 1863) aus dem ge¬
sammelten Material des handschriftlichen Nachlasses die Gedichte in ihrer ursprüng¬
lichen Gestalt bekannt gemacht und zugleich um zahlreiche neue Stücke vermehrt
worden sind, die' vom höchsten Interesse für die Kenntniß des äußeren und inneren
Lebens des Künstlers sind und sein Bild von manchen Seiten in überraschender
Weise schärfer beleuchten. Zwar hat auch Harrys offenbar eine große Zahl nach
dem älteren, durch den Großneffen Michelangelos bearbeiteten Text übersetzt, ohne
Zweifel vor dem Bekanntwerden der neuen Ausgabe. Allein für den Uebersetzer
hatte dies überall da, wo der Großneffe blos -formelle, stylistische Veränderungen vor¬
genommen hatte, wenig zu sagen. Wo die Abweichungen stärker sind und in den
Sinn selbst eingreifen, hat Harrys stets den echten Text zu Rath gezogen und na¬
mentlich alle jetzt erst ans Licht gebrachten Stücke, die für Michelangelo besonders
charakteristisch sind und z. B. seine republikanische Gesinnung schärfer hervortreten
lassen, seiner Sammlung einverleibt, die überhaupt, ohne ganz so vollständig zu
sein wie der Text Guastis. der alles, auch die kleinsten Fragmente und sämmtliche
Varianten aufnahm, doch nichts wesentliches vermissen läßt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/283>, abgerufen am 15.01.2025.