Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.anders zu verstehen waren, als daß man aufgelegt sei, für eine motivirte Die Fortschrittspartei hat mit ihren zwanzig Stimmen gewissermaßen anders zu verstehen waren, als daß man aufgelegt sei, für eine motivirte Die Fortschrittspartei hat mit ihren zwanzig Stimmen gewissermaßen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0278" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117810"/> <p xml:id="ID_878" prev="#ID_877"> anders zu verstehen waren, als daß man aufgelegt sei, für eine motivirte<lb/> Tagesordnung zu stimmen, entweder die der Freiconservativen und liberalen<lb/> Baiern oder irgend eine noch einzubringende eigne. Erst am Vorabend der<lb/> Debatte bestimmte ein Wink des Grafen Bismarck die preußischen Conser-<lb/> vativen für einfache Tagesordnung zu stimmen; und da gleichzeitig auch die<lb/> preußische Fortschrittspartei, wiewohl sie selbst eine motivirte Tagesordnung<lb/> eingebracht hatte, zu dem nämlichen Entschluß gediehen war, d. h. in erster<lb/> Linie für einfache Tagesordnung stimmte, so kam diese zur Annahme. Wäre sie<lb/> verworfen worden — was ohne diese doppelte Ueberraschung und dieses com-<lb/> binirte Eintreffen von UnWahrscheinlichkeiten sicher gewesen wäre —, so würde<lb/> es wenigstens zu einer eingehenden Debatte und folglich zu einer Aufdeckung<lb/> der jetzt verkuppelten unverträglichen Gegensätze gekommen sein. Wahrschein¬<lb/> lich hätte man sich dann auch im Schoße derjenigen Parteien, welche mit dem<lb/> Gange'der nationalen Partei im wesentlichen einverstanden sind, also den<lb/> beiden preußisch-conservativen Fractionen und der nationalliberalen, im Laufe<lb/> der Verhandlung über einen angemessenen Beschluß, sei es eine Adresse oder<lb/> eine motivirte Tagesordnung, geeinigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_879" next="#ID_880"> Die Fortschrittspartei hat mit ihren zwanzig Stimmen gewissermaßen<lb/> dem schon über dem Abhang schwebenden Stein nur den letzten schwachen<lb/> Stoß gegeben; ihre gegenwärtige Kraft und Bedeutung ist schon gering, ihre<lb/> zukünftige wird bei dem Mangel jedes frischen Nachwuchses für ihre werthen<lb/> Häupter gleich Null sein. Ungleich wichtiger und interessanter daher als die<lb/> Untersuchung, was dieses Häuflein politischer Unzufriedenen zu seinem sonder¬<lb/> baren und ganz unerklärt gebliebenen Verhalten in der Abstimmung vom<lb/> letzten Donnerstag bestimmt haben möge, erscheint die Frage nach den Mo¬<lb/> tiven des Grafen Bismarck. Er hat offenbar Worte fallen lassen, welche<lb/> den Eindruck hervorriefen konnten und vielleicht auch sollten, als habe fort¬<lb/> glimmender Unmuth über den von den Nationalliberalen veranlaßten Be¬<lb/> schluß des Reichstags hinsichtlich der finanziellen Verantwortlichkeit der Bun¬<lb/> desbeamten seine Stellung zu der Adreßfrage entschieden. Also eine persön¬<lb/> liche Rache. Gleichwohl wird es gestattet sein, an der bestimmenden Kraft<lb/> dieses von ihm vorgeschobenen Beweggrundes zu zweifeln. Bis zum Tage<lb/> vor der Verhandlung, wie schon bemerkt, spielte dieser Groll in der Berech¬<lb/> nung der Adreßschicksale keinerlei Rolle. Allerdings scheint es eine staats¬<lb/> männische Leidenschaft zu geben, die wie ein gezähmter Tiger nur los¬<lb/> bricht, wenn ihr Herr, der politische Verstand, eine solche gelinde und jeden<lb/> Augenblick zu beendigende Einschüchterung des Gegners gerade nützlich er¬<lb/> achtet. Man kann sie im Gegensatz zu dem Zorn des Achilles, den wir bei<lb/> Homer echt und unabhängig von jeder Berechnung toben sehen, den napo¬<lb/> leonischen Zorn nennen, wie ihn Metternich und andere Zeitgenossen des<lb/> ersten Napoleon empfunden haben, wenn diesen die Selbstbeherrschung nicht<lb/> immer ohne Absicht verließ. Ein solcher gelegener Zorn, scheint es, ist auch<lb/> derjenige des Grafen Bismarck; weit entfernt die Combinationen des Staats¬<lb/> manns zu stören, unterstützt er sie vielmehr, wie eine ungerufen zu Hilfe<lb/> eilende Naturgewalt. Am 7. Mai hat diese verkündigte Bosheit ihn der Noth¬<lb/> wendigkeit überhoben, die wirklichen Gründe seiner so plötzlich entscheiden¬<lb/> den Eingenommenheit gegen den Erlaß einer Adresse öffentlich oder selbst<lb/> nur vertraulich kundzuthun. Hätte er nicht umhin gekonnt, sich darüber aus¬<lb/> zulassen, wer weiß, ob er dann im Stande gewesen wäre, ihnen zu folgen.-<lb/> Vielleicht schien das fortwährend äußerst zarte und empfindliche Verhältniß zu<lb/> Frankreich diese weitgetriebene Schonung zu erheischen, oder die hier anwehen-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0278]
anders zu verstehen waren, als daß man aufgelegt sei, für eine motivirte
Tagesordnung zu stimmen, entweder die der Freiconservativen und liberalen
Baiern oder irgend eine noch einzubringende eigne. Erst am Vorabend der
Debatte bestimmte ein Wink des Grafen Bismarck die preußischen Conser-
vativen für einfache Tagesordnung zu stimmen; und da gleichzeitig auch die
preußische Fortschrittspartei, wiewohl sie selbst eine motivirte Tagesordnung
eingebracht hatte, zu dem nämlichen Entschluß gediehen war, d. h. in erster
Linie für einfache Tagesordnung stimmte, so kam diese zur Annahme. Wäre sie
verworfen worden — was ohne diese doppelte Ueberraschung und dieses com-
binirte Eintreffen von UnWahrscheinlichkeiten sicher gewesen wäre —, so würde
es wenigstens zu einer eingehenden Debatte und folglich zu einer Aufdeckung
der jetzt verkuppelten unverträglichen Gegensätze gekommen sein. Wahrschein¬
lich hätte man sich dann auch im Schoße derjenigen Parteien, welche mit dem
Gange'der nationalen Partei im wesentlichen einverstanden sind, also den
beiden preußisch-conservativen Fractionen und der nationalliberalen, im Laufe
der Verhandlung über einen angemessenen Beschluß, sei es eine Adresse oder
eine motivirte Tagesordnung, geeinigt.
Die Fortschrittspartei hat mit ihren zwanzig Stimmen gewissermaßen
dem schon über dem Abhang schwebenden Stein nur den letzten schwachen
Stoß gegeben; ihre gegenwärtige Kraft und Bedeutung ist schon gering, ihre
zukünftige wird bei dem Mangel jedes frischen Nachwuchses für ihre werthen
Häupter gleich Null sein. Ungleich wichtiger und interessanter daher als die
Untersuchung, was dieses Häuflein politischer Unzufriedenen zu seinem sonder¬
baren und ganz unerklärt gebliebenen Verhalten in der Abstimmung vom
letzten Donnerstag bestimmt haben möge, erscheint die Frage nach den Mo¬
tiven des Grafen Bismarck. Er hat offenbar Worte fallen lassen, welche
den Eindruck hervorriefen konnten und vielleicht auch sollten, als habe fort¬
glimmender Unmuth über den von den Nationalliberalen veranlaßten Be¬
schluß des Reichstags hinsichtlich der finanziellen Verantwortlichkeit der Bun¬
desbeamten seine Stellung zu der Adreßfrage entschieden. Also eine persön¬
liche Rache. Gleichwohl wird es gestattet sein, an der bestimmenden Kraft
dieses von ihm vorgeschobenen Beweggrundes zu zweifeln. Bis zum Tage
vor der Verhandlung, wie schon bemerkt, spielte dieser Groll in der Berech¬
nung der Adreßschicksale keinerlei Rolle. Allerdings scheint es eine staats¬
männische Leidenschaft zu geben, die wie ein gezähmter Tiger nur los¬
bricht, wenn ihr Herr, der politische Verstand, eine solche gelinde und jeden
Augenblick zu beendigende Einschüchterung des Gegners gerade nützlich er¬
achtet. Man kann sie im Gegensatz zu dem Zorn des Achilles, den wir bei
Homer echt und unabhängig von jeder Berechnung toben sehen, den napo¬
leonischen Zorn nennen, wie ihn Metternich und andere Zeitgenossen des
ersten Napoleon empfunden haben, wenn diesen die Selbstbeherrschung nicht
immer ohne Absicht verließ. Ein solcher gelegener Zorn, scheint es, ist auch
derjenige des Grafen Bismarck; weit entfernt die Combinationen des Staats¬
manns zu stören, unterstützt er sie vielmehr, wie eine ungerufen zu Hilfe
eilende Naturgewalt. Am 7. Mai hat diese verkündigte Bosheit ihn der Noth¬
wendigkeit überhoben, die wirklichen Gründe seiner so plötzlich entscheiden¬
den Eingenommenheit gegen den Erlaß einer Adresse öffentlich oder selbst
nur vertraulich kundzuthun. Hätte er nicht umhin gekonnt, sich darüber aus¬
zulassen, wer weiß, ob er dann im Stande gewesen wäre, ihnen zu folgen.-
Vielleicht schien das fortwährend äußerst zarte und empfindliche Verhältniß zu
Frankreich diese weitgetriebene Schonung zu erheischen, oder die hier anwehen-
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