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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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sich um die Geburt des Welterlösers herum gelagert haben, nichts anders,
als eine sich immer mehr anhäufende Masse von sinnlichen Bildern übrig,
die den einfachen Kern der wirklichen Großartigkeit der Erscheinung Jesu
mehr und mehr verhüllt haben. Jedenfalls aber läuft jedes derartige Suchen
nach einem Sagen bildenden Tiefsinn Gefahr, in Spielerei und Allegorie zu
verfallen. Die Religion hat allerdings ihren Antheil an den mythischen
Bildungen; aber die Religion wäre reiner und tiefsinniger, wenn sie, wie
sie's heutzutage thut, dieses Gestalten unterließe und sich an die einfache, vor¬
liegende Thatsache, hier an den ewigen Gehalt eines ethischerseits in Gott
wurzelnden Lebens hielte. Durch ihre Phantasiezuthaten verliert sie in dem¬
selben Maß, in welchem sie an Breite der Anschauung gewinnt, an Tiefe
der Auffassung. Wirklich geräth auch der Verfasser mit seiner Ausdeutung
der Sage in Irrthümer, mit seiner Verehrung derselben in eine gewisse Zie¬
rerei hinein. Jenes, indem er S. 377 in dem Stern der Weisen .eine ideale
Geschichte sieht, "deren Sinnlichkeit der Erzähler gebunden und frei bildete,
deren Wahrheitsgehalt er aus der wirklichen Anschauung entnahm, wie sie
dem Christenthum aller Jahrhunderte vor Augen steht". Dieses, indem über
die Legende von der Geburt des Täufers S. 472 gesagt wird: "Um leere
Geschichtsräume auszufüllen und wohl noch mehr, um einer schönen Er¬
zählung uns zu freuen, greifen wir zuerst begierig nach den Thatsachen des
dritten Evangeliums über des Täufers Geburt", und wenn es gar S. 478
heißt:"Alles ist gut und alles ist sinnig, wenn man nicht um Geschichte martlet
und die fromme Dichtung ehrt, wie sie aus demselben jüdischen Volksgeist
strömt, der im Buche Sohar bei den Wundern am rothen Meer von den
Embryonen erzählt, die im Mutterleibe die Großthaten Gottes mit schauten
und priesen." Die Jdealisirung des Sterns des Weisen ginge in der erbau¬
lichen Rhetorik an, die Verherrlichung der Johanneslegende würde sicher
manches Gewissen selbst an diesem Orte beschweren. Man verstehe uns nicht
falsch, als ob wir damit aller Phantasie baar jeder frommen Dichtung ab¬
sagen würden. Wir theilen z. B. ganz den Geschmack des Verfassers, wenn
er die Schilderung des Alexandriners Philo mit den Worten schließt, S. 225:
"Daher der schöne Glaube der Kirche: Philo der Jude ein Christ, ein Freund
des Petrus." Denn diese Sage kommt direct aus einer ethischen Quelle,
aus wissenschaftlicher und religiöser Weitherzigkeit.

Schlimmer ists, wenn an den Vorgängen, die bei der Taufe Jesu
am Jordan vorgekommen sein sollen, das hier aufgegangene Messias¬
bewußtsein als ein Ueberrest des Geschichtlichen glaublich gemacht wer¬
den will. Wie läßt es sich denken, daß einem normalen, gewissenhaften
Menschen, der bis dahin vor Antritt des Lehramts noch garnicht die Kräfte
gehörig messen konnte, die er in diesem Beruf erproben sollte, auf einmal


Grenzboten II. 1868. 28

sich um die Geburt des Welterlösers herum gelagert haben, nichts anders,
als eine sich immer mehr anhäufende Masse von sinnlichen Bildern übrig,
die den einfachen Kern der wirklichen Großartigkeit der Erscheinung Jesu
mehr und mehr verhüllt haben. Jedenfalls aber läuft jedes derartige Suchen
nach einem Sagen bildenden Tiefsinn Gefahr, in Spielerei und Allegorie zu
verfallen. Die Religion hat allerdings ihren Antheil an den mythischen
Bildungen; aber die Religion wäre reiner und tiefsinniger, wenn sie, wie
sie's heutzutage thut, dieses Gestalten unterließe und sich an die einfache, vor¬
liegende Thatsache, hier an den ewigen Gehalt eines ethischerseits in Gott
wurzelnden Lebens hielte. Durch ihre Phantasiezuthaten verliert sie in dem¬
selben Maß, in welchem sie an Breite der Anschauung gewinnt, an Tiefe
der Auffassung. Wirklich geräth auch der Verfasser mit seiner Ausdeutung
der Sage in Irrthümer, mit seiner Verehrung derselben in eine gewisse Zie¬
rerei hinein. Jenes, indem er S. 377 in dem Stern der Weisen .eine ideale
Geschichte sieht, „deren Sinnlichkeit der Erzähler gebunden und frei bildete,
deren Wahrheitsgehalt er aus der wirklichen Anschauung entnahm, wie sie
dem Christenthum aller Jahrhunderte vor Augen steht". Dieses, indem über
die Legende von der Geburt des Täufers S. 472 gesagt wird: „Um leere
Geschichtsräume auszufüllen und wohl noch mehr, um einer schönen Er¬
zählung uns zu freuen, greifen wir zuerst begierig nach den Thatsachen des
dritten Evangeliums über des Täufers Geburt", und wenn es gar S. 478
heißt:„Alles ist gut und alles ist sinnig, wenn man nicht um Geschichte martlet
und die fromme Dichtung ehrt, wie sie aus demselben jüdischen Volksgeist
strömt, der im Buche Sohar bei den Wundern am rothen Meer von den
Embryonen erzählt, die im Mutterleibe die Großthaten Gottes mit schauten
und priesen." Die Jdealisirung des Sterns des Weisen ginge in der erbau¬
lichen Rhetorik an, die Verherrlichung der Johanneslegende würde sicher
manches Gewissen selbst an diesem Orte beschweren. Man verstehe uns nicht
falsch, als ob wir damit aller Phantasie baar jeder frommen Dichtung ab¬
sagen würden. Wir theilen z. B. ganz den Geschmack des Verfassers, wenn
er die Schilderung des Alexandriners Philo mit den Worten schließt, S. 225:
„Daher der schöne Glaube der Kirche: Philo der Jude ein Christ, ein Freund
des Petrus." Denn diese Sage kommt direct aus einer ethischen Quelle,
aus wissenschaftlicher und religiöser Weitherzigkeit.

Schlimmer ists, wenn an den Vorgängen, die bei der Taufe Jesu
am Jordan vorgekommen sein sollen, das hier aufgegangene Messias¬
bewußtsein als ein Ueberrest des Geschichtlichen glaublich gemacht wer¬
den will. Wie läßt es sich denken, daß einem normalen, gewissenhaften
Menschen, der bis dahin vor Antritt des Lehramts noch garnicht die Kräfte
gehörig messen konnte, die er in diesem Beruf erproben sollte, auf einmal


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[0221] sich um die Geburt des Welterlösers herum gelagert haben, nichts anders, als eine sich immer mehr anhäufende Masse von sinnlichen Bildern übrig, die den einfachen Kern der wirklichen Großartigkeit der Erscheinung Jesu mehr und mehr verhüllt haben. Jedenfalls aber läuft jedes derartige Suchen nach einem Sagen bildenden Tiefsinn Gefahr, in Spielerei und Allegorie zu verfallen. Die Religion hat allerdings ihren Antheil an den mythischen Bildungen; aber die Religion wäre reiner und tiefsinniger, wenn sie, wie sie's heutzutage thut, dieses Gestalten unterließe und sich an die einfache, vor¬ liegende Thatsache, hier an den ewigen Gehalt eines ethischerseits in Gott wurzelnden Lebens hielte. Durch ihre Phantasiezuthaten verliert sie in dem¬ selben Maß, in welchem sie an Breite der Anschauung gewinnt, an Tiefe der Auffassung. Wirklich geräth auch der Verfasser mit seiner Ausdeutung der Sage in Irrthümer, mit seiner Verehrung derselben in eine gewisse Zie¬ rerei hinein. Jenes, indem er S. 377 in dem Stern der Weisen .eine ideale Geschichte sieht, „deren Sinnlichkeit der Erzähler gebunden und frei bildete, deren Wahrheitsgehalt er aus der wirklichen Anschauung entnahm, wie sie dem Christenthum aller Jahrhunderte vor Augen steht". Dieses, indem über die Legende von der Geburt des Täufers S. 472 gesagt wird: „Um leere Geschichtsräume auszufüllen und wohl noch mehr, um einer schönen Er¬ zählung uns zu freuen, greifen wir zuerst begierig nach den Thatsachen des dritten Evangeliums über des Täufers Geburt", und wenn es gar S. 478 heißt:„Alles ist gut und alles ist sinnig, wenn man nicht um Geschichte martlet und die fromme Dichtung ehrt, wie sie aus demselben jüdischen Volksgeist strömt, der im Buche Sohar bei den Wundern am rothen Meer von den Embryonen erzählt, die im Mutterleibe die Großthaten Gottes mit schauten und priesen." Die Jdealisirung des Sterns des Weisen ginge in der erbau¬ lichen Rhetorik an, die Verherrlichung der Johanneslegende würde sicher manches Gewissen selbst an diesem Orte beschweren. Man verstehe uns nicht falsch, als ob wir damit aller Phantasie baar jeder frommen Dichtung ab¬ sagen würden. Wir theilen z. B. ganz den Geschmack des Verfassers, wenn er die Schilderung des Alexandriners Philo mit den Worten schließt, S. 225: „Daher der schöne Glaube der Kirche: Philo der Jude ein Christ, ein Freund des Petrus." Denn diese Sage kommt direct aus einer ethischen Quelle, aus wissenschaftlicher und religiöser Weitherzigkeit. Schlimmer ists, wenn an den Vorgängen, die bei der Taufe Jesu am Jordan vorgekommen sein sollen, das hier aufgegangene Messias¬ bewußtsein als ein Ueberrest des Geschichtlichen glaublich gemacht wer¬ den will. Wie läßt es sich denken, daß einem normalen, gewissenhaften Menschen, der bis dahin vor Antritt des Lehramts noch garnicht die Kräfte gehörig messen konnte, die er in diesem Beruf erproben sollte, auf einmal Grenzboten II. 1868. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/221>, abgerufen am 15.01.2025.