Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

der- und Völkermasse, die Oestreich Jahrhunderte hindurch auf die und jene
Art sich erwarb und zusammenerbte, und die sich nach und nach schichtweise
auf beliebige Art rings um das Mutterland ansetzte, hat es sich unbehilf¬
lichen Schritts zwar bis auf unsere Zeiten hereingeschleppt, versteht aber
nicht mehr, sich in sie hineinzufinden. Sein ganzes Streben geht dahin, was
es zusammengebracht hat, nothdürftig zusammenzuhalten, und das erfordert,
nebst der Verwaltung seiner trotz allen Reichthums seiner Staaten zerrütteten
Finanzen, seine ganze Thätigkeit und alle seine Kraft. Immer preißt es
mit viel Gutmüthigkeit seinen Völkern an. wie warm und hübsch es sich
unter den schützenden Fittigen seiner mütterlichen Regierung ruhen lasse, das
geht aber nur. so lange die Völker noch schweigsam sind und ein ermahnendes
Wort sich zu Herzen nehmen; lernen sie erst ihre eigene Kraft fühlen, so
werden sie nicht mehr darauf hören, jedes von ihnen geht dann seinen eige¬
nen Weg*).

Was sollen wir nun noch von den andern, wir möchten sagen in phy¬
sisch und moralisch abnehmender Progression Oestreich sich anschließenden
Staaten Süddeutschlands sagen, das nicht oft schon in unsern Tagen gesagt
worden wäre? Als die Franzosen bei uns hausten, warfen sie überall Funken
des höchsten Verderbuisses aus, damit sie zur Flamme würden und unser
Vaterland verzehrten. In dem guten und treuen Sinne des deutschen Volks
verlöschten diese Funken, bei den Regierungen Süddeutschlands aber fingen
sie Feuer, das auch noch jetzt, nach Nerjagung der Brandstifter, fortbrennt.
Von Baiern, Würtemberg, Baden und Darmstadt, ist unbezweifelt das
erstere das gefährlichste, einmal, weil es das bedeutendste ist, denn es zählt
über 4 Millionen Bewohner, und strebt noch nach weit mehr, dann aber
auch, weil es unter allen das Böse und Verderbliche aufrichtig will**), und
den Ruhm muß man ihm lassen, es fein und sich gleichbleibend durchzuführen
versteht. Unter sich sind diese Staaten nicht weiter verbunden, im Gegen¬
theil, sie sind neidisch und eifersüchtig auseinander***), und der eine möchte
sich gern auf Kosten des andern bereichern; sie haben nichts mit einander
gemein, als ihr Streben nach souveräner Unabhängigkeit und europäischer
Selbständigkeit, und nach allem, was Deutschlands Heil und Wohl unter¬
graben würde, wenn man ihrem Beginnen nicht Schranken zu setzen ver-,
stehen sollte. Mit Oestreich aber stehen sie insofern in inniger Verbindung.





') Diese prophetischen Worte haben sich seit 1866 auf das vollständigste erfüllt. Der
Frieden mit Ungarn ist noch nicht definitiv geschlossen. Wäre es aber auch, so bleibt noch
Regulirung mit den Polen und den sonstigen Slave" übrig. Das Calmirungssystem des
Fürsten Metternich ist seit 1848 zu Ende. -- und ein neues System ist noch nicht erfunden,
trotz der Gewandtheit und dem Geist des Herrn von Beiist.
Das paßt heutzutage nicht mehr. Fürst Hohenlohe ist kein Mongelas.
"
Deshalb hat es mit dem "Südbund auch jetzt noch gute Wege.

der- und Völkermasse, die Oestreich Jahrhunderte hindurch auf die und jene
Art sich erwarb und zusammenerbte, und die sich nach und nach schichtweise
auf beliebige Art rings um das Mutterland ansetzte, hat es sich unbehilf¬
lichen Schritts zwar bis auf unsere Zeiten hereingeschleppt, versteht aber
nicht mehr, sich in sie hineinzufinden. Sein ganzes Streben geht dahin, was
es zusammengebracht hat, nothdürftig zusammenzuhalten, und das erfordert,
nebst der Verwaltung seiner trotz allen Reichthums seiner Staaten zerrütteten
Finanzen, seine ganze Thätigkeit und alle seine Kraft. Immer preißt es
mit viel Gutmüthigkeit seinen Völkern an. wie warm und hübsch es sich
unter den schützenden Fittigen seiner mütterlichen Regierung ruhen lasse, das
geht aber nur. so lange die Völker noch schweigsam sind und ein ermahnendes
Wort sich zu Herzen nehmen; lernen sie erst ihre eigene Kraft fühlen, so
werden sie nicht mehr darauf hören, jedes von ihnen geht dann seinen eige¬
nen Weg*).

Was sollen wir nun noch von den andern, wir möchten sagen in phy¬
sisch und moralisch abnehmender Progression Oestreich sich anschließenden
Staaten Süddeutschlands sagen, das nicht oft schon in unsern Tagen gesagt
worden wäre? Als die Franzosen bei uns hausten, warfen sie überall Funken
des höchsten Verderbuisses aus, damit sie zur Flamme würden und unser
Vaterland verzehrten. In dem guten und treuen Sinne des deutschen Volks
verlöschten diese Funken, bei den Regierungen Süddeutschlands aber fingen
sie Feuer, das auch noch jetzt, nach Nerjagung der Brandstifter, fortbrennt.
Von Baiern, Würtemberg, Baden und Darmstadt, ist unbezweifelt das
erstere das gefährlichste, einmal, weil es das bedeutendste ist, denn es zählt
über 4 Millionen Bewohner, und strebt noch nach weit mehr, dann aber
auch, weil es unter allen das Böse und Verderbliche aufrichtig will**), und
den Ruhm muß man ihm lassen, es fein und sich gleichbleibend durchzuführen
versteht. Unter sich sind diese Staaten nicht weiter verbunden, im Gegen¬
theil, sie sind neidisch und eifersüchtig auseinander***), und der eine möchte
sich gern auf Kosten des andern bereichern; sie haben nichts mit einander
gemein, als ihr Streben nach souveräner Unabhängigkeit und europäischer
Selbständigkeit, und nach allem, was Deutschlands Heil und Wohl unter¬
graben würde, wenn man ihrem Beginnen nicht Schranken zu setzen ver-,
stehen sollte. Mit Oestreich aber stehen sie insofern in inniger Verbindung.





') Diese prophetischen Worte haben sich seit 1866 auf das vollständigste erfüllt. Der
Frieden mit Ungarn ist noch nicht definitiv geschlossen. Wäre es aber auch, so bleibt noch
Regulirung mit den Polen und den sonstigen Slave» übrig. Das Calmirungssystem des
Fürsten Metternich ist seit 1848 zu Ende. — und ein neues System ist noch nicht erfunden,
trotz der Gewandtheit und dem Geist des Herrn von Beiist.
Das paßt heutzutage nicht mehr. Fürst Hohenlohe ist kein Mongelas.
"
Deshalb hat es mit dem „Südbund auch jetzt noch gute Wege.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0211" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117743"/>
          <p xml:id="ID_661" prev="#ID_660"> der- und Völkermasse, die Oestreich Jahrhunderte hindurch auf die und jene<lb/>
Art sich erwarb und zusammenerbte, und die sich nach und nach schichtweise<lb/>
auf beliebige Art rings um das Mutterland ansetzte, hat es sich unbehilf¬<lb/>
lichen Schritts zwar bis auf unsere Zeiten hereingeschleppt, versteht aber<lb/>
nicht mehr, sich in sie hineinzufinden. Sein ganzes Streben geht dahin, was<lb/>
es zusammengebracht hat, nothdürftig zusammenzuhalten, und das erfordert,<lb/>
nebst der Verwaltung seiner trotz allen Reichthums seiner Staaten zerrütteten<lb/>
Finanzen, seine ganze Thätigkeit und alle seine Kraft. Immer preißt es<lb/>
mit viel Gutmüthigkeit seinen Völkern an. wie warm und hübsch es sich<lb/>
unter den schützenden Fittigen seiner mütterlichen Regierung ruhen lasse, das<lb/>
geht aber nur. so lange die Völker noch schweigsam sind und ein ermahnendes<lb/>
Wort sich zu Herzen nehmen; lernen sie erst ihre eigene Kraft fühlen, so<lb/>
werden sie nicht mehr darauf hören, jedes von ihnen geht dann seinen eige¬<lb/>
nen Weg*).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_662" next="#ID_663"> Was sollen wir nun noch von den andern, wir möchten sagen in phy¬<lb/>
sisch und moralisch abnehmender Progression Oestreich sich anschließenden<lb/>
Staaten Süddeutschlands sagen, das nicht oft schon in unsern Tagen gesagt<lb/>
worden wäre? Als die Franzosen bei uns hausten, warfen sie überall Funken<lb/>
des höchsten Verderbuisses aus, damit sie zur Flamme würden und unser<lb/>
Vaterland verzehrten. In dem guten und treuen Sinne des deutschen Volks<lb/>
verlöschten diese Funken, bei den Regierungen Süddeutschlands aber fingen<lb/>
sie Feuer, das auch noch jetzt, nach Nerjagung der Brandstifter, fortbrennt.<lb/>
Von Baiern, Würtemberg, Baden und Darmstadt, ist unbezweifelt das<lb/>
erstere das gefährlichste, einmal, weil es das bedeutendste ist, denn es zählt<lb/>
über 4 Millionen Bewohner, und strebt noch nach weit mehr, dann aber<lb/>
auch, weil es unter allen das Böse und Verderbliche aufrichtig will**), und<lb/>
den Ruhm muß man ihm lassen, es fein und sich gleichbleibend durchzuführen<lb/>
versteht. Unter sich sind diese Staaten nicht weiter verbunden, im Gegen¬<lb/>
theil, sie sind neidisch und eifersüchtig auseinander***), und der eine möchte<lb/>
sich gern auf Kosten des andern bereichern; sie haben nichts mit einander<lb/>
gemein, als ihr Streben nach souveräner Unabhängigkeit und europäischer<lb/>
Selbständigkeit, und nach allem, was Deutschlands Heil und Wohl unter¬<lb/>
graben würde, wenn man ihrem Beginnen nicht Schranken zu setzen ver-,<lb/>
stehen sollte. Mit Oestreich aber stehen sie insofern in inniger Verbindung.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_16" place="foot"> ') Diese prophetischen Worte haben sich seit 1866 auf das vollständigste erfüllt. Der<lb/>
Frieden mit Ungarn ist noch nicht definitiv geschlossen.  Wäre es aber auch, so bleibt noch<lb/>
Regulirung mit den Polen und den sonstigen Slave» übrig.  Das Calmirungssystem des<lb/>
Fürsten Metternich ist seit 1848 zu Ende. &#x2014; und ein neues System ist noch nicht erfunden,<lb/>
trotz der Gewandtheit und dem Geist des Herrn von Beiist.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_17" place="foot"> Das paßt heutzutage nicht mehr.  Fürst Hohenlohe ist kein Mongelas.<lb/>
"</note><lb/>
          <note xml:id="FID_18" place="foot"> Deshalb hat es mit dem &#x201E;Südbund auch jetzt noch gute Wege.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0211] der- und Völkermasse, die Oestreich Jahrhunderte hindurch auf die und jene Art sich erwarb und zusammenerbte, und die sich nach und nach schichtweise auf beliebige Art rings um das Mutterland ansetzte, hat es sich unbehilf¬ lichen Schritts zwar bis auf unsere Zeiten hereingeschleppt, versteht aber nicht mehr, sich in sie hineinzufinden. Sein ganzes Streben geht dahin, was es zusammengebracht hat, nothdürftig zusammenzuhalten, und das erfordert, nebst der Verwaltung seiner trotz allen Reichthums seiner Staaten zerrütteten Finanzen, seine ganze Thätigkeit und alle seine Kraft. Immer preißt es mit viel Gutmüthigkeit seinen Völkern an. wie warm und hübsch es sich unter den schützenden Fittigen seiner mütterlichen Regierung ruhen lasse, das geht aber nur. so lange die Völker noch schweigsam sind und ein ermahnendes Wort sich zu Herzen nehmen; lernen sie erst ihre eigene Kraft fühlen, so werden sie nicht mehr darauf hören, jedes von ihnen geht dann seinen eige¬ nen Weg*). Was sollen wir nun noch von den andern, wir möchten sagen in phy¬ sisch und moralisch abnehmender Progression Oestreich sich anschließenden Staaten Süddeutschlands sagen, das nicht oft schon in unsern Tagen gesagt worden wäre? Als die Franzosen bei uns hausten, warfen sie überall Funken des höchsten Verderbuisses aus, damit sie zur Flamme würden und unser Vaterland verzehrten. In dem guten und treuen Sinne des deutschen Volks verlöschten diese Funken, bei den Regierungen Süddeutschlands aber fingen sie Feuer, das auch noch jetzt, nach Nerjagung der Brandstifter, fortbrennt. Von Baiern, Würtemberg, Baden und Darmstadt, ist unbezweifelt das erstere das gefährlichste, einmal, weil es das bedeutendste ist, denn es zählt über 4 Millionen Bewohner, und strebt noch nach weit mehr, dann aber auch, weil es unter allen das Böse und Verderbliche aufrichtig will**), und den Ruhm muß man ihm lassen, es fein und sich gleichbleibend durchzuführen versteht. Unter sich sind diese Staaten nicht weiter verbunden, im Gegen¬ theil, sie sind neidisch und eifersüchtig auseinander***), und der eine möchte sich gern auf Kosten des andern bereichern; sie haben nichts mit einander gemein, als ihr Streben nach souveräner Unabhängigkeit und europäischer Selbständigkeit, und nach allem, was Deutschlands Heil und Wohl unter¬ graben würde, wenn man ihrem Beginnen nicht Schranken zu setzen ver-, stehen sollte. Mit Oestreich aber stehen sie insofern in inniger Verbindung. ') Diese prophetischen Worte haben sich seit 1866 auf das vollständigste erfüllt. Der Frieden mit Ungarn ist noch nicht definitiv geschlossen. Wäre es aber auch, so bleibt noch Regulirung mit den Polen und den sonstigen Slave» übrig. Das Calmirungssystem des Fürsten Metternich ist seit 1848 zu Ende. — und ein neues System ist noch nicht erfunden, trotz der Gewandtheit und dem Geist des Herrn von Beiist. Das paßt heutzutage nicht mehr. Fürst Hohenlohe ist kein Mongelas. " Deshalb hat es mit dem „Südbund auch jetzt noch gute Wege.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/211
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/211>, abgerufen am 15.01.2025.