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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Dummheit, zu viel Fanatismus, zu viel Romantik; und dies alles an der
großen Heerstraße. Statt dessen stößt er gleich bei der Ankunft auf kleine,
aber nicht bedeutungslose Neuerungen. Weder Wirth noch Kellner, weder
Koch noch Kutscher fragen nach seinem Glaubensbekenntniß, denn durch eine
Ministerialverordnung ist die Confessionsrubrik aus Reisepässen, Meldezetteln
und Wanderbüchern verschwunden. Im östreichischen Hof zu Innsbruck liegt
ein neues, nach dem nie'ramontanen Sprachgebrauch "gott- und religions¬
loses" Fremdenbuch von gewaltigem Leibesumfang, es scheint also auf eine
längere Dauer der neuen Aera berechnet. Noch andere merkwürdige Zeichen
trägt die Wirthstafel: liberale Landeszeitungen. Drei, vier kecke Blättchen
laufen Sturm gegen das Concordat; auf den Zinnen der belagerten Beste
steht eine dicke ultramontanische Zeitung und kämpft mit großem Geschrei; sie
schleudert grobe Felsblöcke; sie zerschmettert die "Gottesmörder", die "Mutter¬
gottesleugner" und die schrecklichen "Freimaurer". An reichlicher Verköstigung
scheint es ihr dabei noch nicht zu fehlen, aber ihre Angst und Wuth dar¬
über, daß der weltliche Arm, daß der Staatsgensdarm untreu werden will,
kann man sich gern gefallen lassen. Dann rutscht der Reisende über den Brenner
nach dem südlich angehauchten Etschlande und dem wegen seiner milden Luft
berühmten Meran. Curorte sind von jeher duldsam gewesen, und ein mäch¬
tiger Versöhner ist der harte Thaler in der ganzen Welt. Dem schwindsüch¬
tiger Ketzer winkt dort ein evangelischer Friedhof, und ein todter Jude
braucht nur nach Bozen oder Innsbruck zu fahren, und er kann sich begraben
lassen. Sogar die Niederlassung lebendiger Juden und Protestanten ist nicht
mehr durch das Landesgesetz verboten. Und die Forellen sind gut, die Wirthe
freundlich, der Himmel heiter, die Rechnungen menschlich. Unserem Touristen
und Patienten wird wohl und warm. Ich sehe keine Finsterniß, denkt er;
wo steckt sie? -- Wo? Nur Geduld!

Einzelne Menschen, die nicht an Wunder glauben, hat es überall und
ewig, vor und nach der Sündfluth, zur Scheiterhaufen- und schon zur Stein¬
zeit gegeben. Aber Kirchen und Synagogen erzittern nicht darob. Leben
.doch in sogenannten Weltstädten, in der größten Stadt der Welt zum Bei¬
spiel, heute noch Tausende, deren Prophetensucht an Altbabylon und Ni-
niveh erinnert. Endlich fehlt es nirgendswo an einer gebildeten und ehr¬
baren Bürgerschaft, die zwar den gemeinen Haufen der Alltagsmirakel
verachtet, aber jene großen Urwunder, ohne die wir keine geoffenbarte Reli¬
gion hätten, sich um keinen Preis rauben läßt. Dies Alles gilt auch von
Meran. Wie viele Anhänger der Liberalismus der Orte zählen mag,
ist schwer zu bestimmen. Alle sind gut katholisch; nur den Jesuiten trauen
sie nicht über den Steg, und keiner will ultramontan heißen. Sie gönnen
dem Papste seine weltliche Herrschaft in Rom; nur in ihren eigenen weit-


Dummheit, zu viel Fanatismus, zu viel Romantik; und dies alles an der
großen Heerstraße. Statt dessen stößt er gleich bei der Ankunft auf kleine,
aber nicht bedeutungslose Neuerungen. Weder Wirth noch Kellner, weder
Koch noch Kutscher fragen nach seinem Glaubensbekenntniß, denn durch eine
Ministerialverordnung ist die Confessionsrubrik aus Reisepässen, Meldezetteln
und Wanderbüchern verschwunden. Im östreichischen Hof zu Innsbruck liegt
ein neues, nach dem nie'ramontanen Sprachgebrauch „gott- und religions¬
loses" Fremdenbuch von gewaltigem Leibesumfang, es scheint also auf eine
längere Dauer der neuen Aera berechnet. Noch andere merkwürdige Zeichen
trägt die Wirthstafel: liberale Landeszeitungen. Drei, vier kecke Blättchen
laufen Sturm gegen das Concordat; auf den Zinnen der belagerten Beste
steht eine dicke ultramontanische Zeitung und kämpft mit großem Geschrei; sie
schleudert grobe Felsblöcke; sie zerschmettert die „Gottesmörder", die „Mutter¬
gottesleugner" und die schrecklichen „Freimaurer". An reichlicher Verköstigung
scheint es ihr dabei noch nicht zu fehlen, aber ihre Angst und Wuth dar¬
über, daß der weltliche Arm, daß der Staatsgensdarm untreu werden will,
kann man sich gern gefallen lassen. Dann rutscht der Reisende über den Brenner
nach dem südlich angehauchten Etschlande und dem wegen seiner milden Luft
berühmten Meran. Curorte sind von jeher duldsam gewesen, und ein mäch¬
tiger Versöhner ist der harte Thaler in der ganzen Welt. Dem schwindsüch¬
tiger Ketzer winkt dort ein evangelischer Friedhof, und ein todter Jude
braucht nur nach Bozen oder Innsbruck zu fahren, und er kann sich begraben
lassen. Sogar die Niederlassung lebendiger Juden und Protestanten ist nicht
mehr durch das Landesgesetz verboten. Und die Forellen sind gut, die Wirthe
freundlich, der Himmel heiter, die Rechnungen menschlich. Unserem Touristen
und Patienten wird wohl und warm. Ich sehe keine Finsterniß, denkt er;
wo steckt sie? — Wo? Nur Geduld!

Einzelne Menschen, die nicht an Wunder glauben, hat es überall und
ewig, vor und nach der Sündfluth, zur Scheiterhaufen- und schon zur Stein¬
zeit gegeben. Aber Kirchen und Synagogen erzittern nicht darob. Leben
.doch in sogenannten Weltstädten, in der größten Stadt der Welt zum Bei¬
spiel, heute noch Tausende, deren Prophetensucht an Altbabylon und Ni-
niveh erinnert. Endlich fehlt es nirgendswo an einer gebildeten und ehr¬
baren Bürgerschaft, die zwar den gemeinen Haufen der Alltagsmirakel
verachtet, aber jene großen Urwunder, ohne die wir keine geoffenbarte Reli¬
gion hätten, sich um keinen Preis rauben läßt. Dies Alles gilt auch von
Meran. Wie viele Anhänger der Liberalismus der Orte zählen mag,
ist schwer zu bestimmen. Alle sind gut katholisch; nur den Jesuiten trauen
sie nicht über den Steg, und keiner will ultramontan heißen. Sie gönnen
dem Papste seine weltliche Herrschaft in Rom; nur in ihren eigenen weit-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/198>, abgerufen am 15.01.2025.